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17. Prozesstag Brandanschlag in Solingen – vorsätzliche Brandstiftung

Drei Jahre nach dem Brand wurde nun – erstmals – ein Brandsachverständiger beauftragt, die Ursache des Feuers in der Normannenstraße zu untersuchen. Der Gutachter kam sehr schnell zu dem Ergebnis, dass es sich eindeutig um vorsätzliche Brandstiftung handelt.

 
Ein rechtsextremer Täter zündet in Solingen (NRW) ein Wohnhaus an, in dem vor allem migrantische Menschen leben. Ein dreijähriges Kind, ein Säugling sowie ihre Eltern kommen bei dem Anschlag ums Leben. (Quelle: Adalet Solingen)

Die Prozessberichterstattung stammt von Adalet Solingen und wurde dort zuerst veröffentlicht.

Rückblick:

In der letzten Sitzung am 11. Juni 2025 wurde deutlich: Daniel S. ist nicht nur verantwortlich für den Brandanschlag vom 25. März 2024 in der Grünewalderstraße in Solingen, sondern hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auch den Brandanschlag vom 5. Januar 2022 in der Normannenstraße in Wuppertal begangen. Diese Erkenntnis stammt jedoch nicht von Polizei oder Staatsanwaltschaft, sondern wurde durch die Nebenklageanwältin Seda Başay-Yıldız ermittelt und in das Verfahren gegen Daniel S. eingebracht.

Zu Beginn der heutigen Sitzung präsentierte Richter Kötter den aktuellen Stand der Nachermittlungen, die seit dem letzten Termin durchgeführt wurden.

Brandstiftung in der Normannenstraße in Wuppertal durch Gutachten bestätigt

Drei Jahre nach dem Brand wurde nun – erstmals – ein Brandsachverständiger beauftragt, die Ursache des Feuers in der Normannenstraße zu untersuchen. Der Gutachter kam sehr schnell zu dem Ergebnis, dass es sich eindeutig um vorsätzliche Brandstiftung handelt: Im Keller wurden zwei voneinander unabhängige Brandherde festgestellt. Während die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung die entsprechenden Akten bereits per Post erhalten haben, warten die Anwält:innen der Nebenklage seit neun Tagen auf die Zustellung. Warum?

Im Zuge dieser Nachermittlungen wurden zwei Personen durch die Polizei befragt: Jessica B., die Partnerin des Täters Daniel S., sowie Luisa Maria P., eine Ex-Partnerin von Daniel S., die bislang im Prozess keine Rolle spielte.

Jessica B. bestätigte bei ihrer Vernehmung, was bereits durch die bei der letzten Sitzung vorgestellten Chatverläufe zwischen ihr und Daniel S. belegt wurde: Daniel S. hatte einen Schlüssel zur Wohnung in der Normannenstraße und hielt sich am Tatabend im Haus auf, um persönliche Gegenstände abzuholen.

Schwerer Verdacht auf eine dritte Brandstiftung

Auch die Ex-Partnerin Luisa Maria P. wurde von der Polizei vernommen. Sie berichtete von einem Vorfall, bei dem die Reifen ihres Autos zerstochen und ein Brandsatz aus Grillanzündern unter ihrem Fahrzeug platziert wurde – der nur durch Zufall von einem Zeugen rechtzeitig entdeckt und entfernt werden konnte. Ein Brand des Autos konnte so verhindert werden. Auch sie verdächtigt Daniel S. der Tat.

Dieser Verdacht wird durch die Auswertung von Funkzellenabfragen gestützt: Daniel S. hielt sich demnach während der Tatzeit in der Nähe des Fahrzeugs auf. Zudem wurde bekannt, dass er mindestens fünf verschiedene Mobiltelefone bzw. SIM-Karten genutzt hat. Warum sind nicht alle von ihm genutzten Mobiltelefone systematisch untersucht worden?

Psychiatrisches Gutachten und Partnerin belasten Daniel S. als notorischen Lügner – doch die Staatsanwaltschaft glaubt ihm weiterhin

Seda Başay-Yıldız beantragte, dass das psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. Faustmann in der nächsten Sitzung verlesen wird. Hintergrund sind ihre Zweifel an dem von Daniel S. behaupteten Motiv, der Brand in der Grünewalderstraße sei aus einem Streit mit der Vermieterin hervorgegangen.

Jessica B. beschreibt ihren Partner Daniel S. als chronischen Lügner, der ihr unter anderem lange verheimlicht habe, keiner Arbeit nachzugehen. Das deckt sich mit dem Gutachten, wo ein erhöhter Wert bei „unaufrichtigem Antwortverhalten“ festgestellt wurde – daneben erzielte Daniel S. den zweithöchsten Wert bei „Furchtlosigkeit“ und den dritthöchsten bei „Kaltherzigkeit“.

Für Seda Başay-Yıldız ist klar: Das Gutachten zeigt, dass es keinerlei Anlass gibt, den Angaben des Angeklagten zu seinem Tatmotiv zu glauben. Umso unverständlicher ist es, dass die Staatsanwaltschaft weiterhin am angeblichen persönlichen Motiv festhält – und sich weigert, ein rassistisches Motiv auch nur in Betracht zu ziehen. Warum wird ein rassistisches Motiv nicht zugelassen?

Wer hatte zuletzt Zugriff auf die Festplatte mit den rechtsextremen Inhalten?

Ein weiterer Antrag von Seda Başay-Yıldız betrifft die Sichtung diverser Ordner und Dateien auf einer externen Toshiba-Festplatte, die von der Staatsanwaltschaft weiterhin der Partnerin Jessica B. zugeordnet wird. Zudem beantragt sie die Prüfung der Soundcloud- und Mixcloud-Accounts von Daniel S. – Plattformen, auf denen elektronische Musik hochgeladen wird. Die Festplatte war zuletzt an seinen DJ-Mischpult angeschlossen worden, und Daniel S. gab an, seit seinem zwölften Lebensjahr elektronische Musik zu produzieren. Es spricht also vieles dafür, dass die Festplatte – und damit auch die rechtsextremen Inhalte darauf – ihm zuzurechnen sind. Dennoch weigert sich die Staatsanwaltschaft, diesen naheliegenden Zusammenhang näher zu untersuchen. Auch hier stellt sich die Frage: warum?

Wer hatte zuletzt Zugriff auf die Festplatte mit Nachbarn zeigen Daniel S. wegen gefährlicher Körperverletzung an – Polizei bleibt untätig rechtsextremen Inhalten?

Weitere mögliche Straftaten von Daniel S. sind inzwischen bekannt geworden. Zwei Nachbarn aus Solingen – beide mit Migrationshintergrund – haben ihn wegen Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung angezeigt. In einem Fall wurde ein älterer Nachbar mit einem Metallzaun beworfen. Dennoch verweigerte die Polizei Ermittlungen und verwies lediglich auf die Möglichkeit einer Privatklage. Keine der betroffenen Personen wurde jemals polizeilich befragt.

Kurz nachdem er von seinen Nachbarn angezeigt wurde, suchte Daniel S. auf Google unter anderem nach folgenden Begriffen: „Tod des Privatklägers“, „Anzeiger verstorben“, „Anzeiger stirbt nach Anzeige“, „Jeder kann anonym eine Waffe kaufen im Darknet“ und „Waffenkauf Darknet“. All dies hat im bisherigen Prozess und den polizeilichen Ermittlungen keine Rolle gespielt. Daher beantragte Nebenklageanwalt Athanasios Antonakis, die beiden Nachbarn in künftigen Sitzungen als Zeug:innen zu laden.

Jobcenter-Akten bleiben unter Verschluss – warum?

Ein weiterer Antrag von Seda Başay-Yıldız fordert, die Akten des Jobcenters zu Daniel S. in das Verfahren einzubeziehen, um aufzuklären, ob Daniel S. Zugang zu allen Wohnungen im Haus seines Vaters hatte – insbesondere zu jener Dachgeschosswohnung, in der NS-Devotionalien und weitere politische Beweismittel gefunden worden waren.

Die Staatsanwaltschaft beharrt darauf, dass allein der Vater in dieser Wohnung gelebt und die Schlüsselgewalt gehabt habe. Doch zahlreiche Indizien sprechen dagegen: Jessica B. sagte in einer Befragung, dass Daniel S. im Haus ständig aktiv gewesen sei und Renovierungen vorgenommen habe – eine Aussage, die auch Daniel S. selbst bestätigt hat. In der Wohnung wurden zudem Malerutensilien, ein Kalender von 2024, eine Zahnbürste und eine Tabakdose gefunden – identisch zu denjenigen, die Daniel S. zur Aufbewahrung von Brandbeschleunigern verwendete.

Die Einsicht in Akten des Jobcenters und dem dort vorgelegten Mietvertrag könnte zur Klärung der Frage beitragen, wo Daniel S. tatsächlich gelebt hat – und wo nicht. Warum verweigert die Staatsanwaltschaft diesen naheliegenden Schritt?

Zunehmende Zweifel an der Aufklärungsabsicht der Staatsanwaltschaft

Alle Anträge werden von der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen und lächerlich gemacht – so auch die Hinweise auf ein mögliches rassistisches Tatmotiv. Bei den Anträgen von Seda Başay-Yıldız handele es sich „noch nicht mal um richtige Anträge“… Die Staatsanwaltschaft glaubt weiterhin dem Täter, seiner Partnerin und seinem Vater – und weigert sich nach wie vor, die Wohnsituation von Daniel S. mithilfe der Jobcenter-Akten evidenzbasiert zu prüfen.

Auch die Tatsache, dass die Festplatte mit einem DJ-Mischpult verbunden wurde, scheint für die Staatsanwaltschaft kein Anhaltspunkt für einen möglichen Zugriff oder gar Besitz zu sein – obwohl Daniel S. seit seiner Kindheit elektronische Musik produziert und seine Partnerin verneint hat, die rassistischen Bilder auf der Festplatte zu kennen. Warum?

Suchanfragen mit nationalsozialistischem Bezug und das wiederholte Hören von NS-Liedern werden weiterhin als Ausdruck „geschichtlichen Interesses“ verharmlost. Warum wird dieser Kontext so konsequent entpolitisiert – nachdem vier Menschen verbrannt und viele weitere teils schwer verletzt wurden?

Seda Başay-Yıldız resümiert: Die „Ermittlungen“ von Polizei und Staatsanwaltschaft seien an Dilettantismus kaum zu überbieten und hätten mit rechtsstaatlichem Vorgehen nichts mehr zu tun. Es gebe zahlreiche Hinweise auf eine rechtsextreme Gesinnung des Täters, die bewusst ignoriert oder geleugnet würden. Ein ernsthafter Wille zur Aufklärung sei nicht erkennbar, und noch nie in ihrer Karriere habe sie ein derart niedriges Niveau von Seiten der Justiz erlebt.

Unser Fazit:

Hätte die Polizei den Brand in der Normannenstraße in Wuppertal Aufgeklärt, würden vier Menschen heute noch leben. Die Unfähigkeit und Unwilligkeit von Polizei und Justiz, ihre Arbeit zu erledigen, werden immer offensichtlicher und beschädigen ohne Not das Vertrauen in diejenigen Institutionen, die uns ein Leben in Sicherheit und Gerechtigkeit ermöglichen sollen.

  • Warum wurden Verfahren gegen Daniel S. in der Vergangenheit immer wieder eingestellt?
  • Warum hat die Polizei bei mehreren Brandstiftungen die Ermittlungen verschleppt? Hat es eine Rolle gespielt, dass die Häuser von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnt waren?
  • Warum wurde das Wohnhaus von Daniel S. nicht vollständig durchsucht, wie das bei einem Mordverdacht geboten ist?
  • Warum ist die Position der Staatsanwaltschaft identisch mit der Position der Verteidigung von Daniel S.
  • Warum lehnt die Staatsanwaltschaft die Einbeziehung wichtiger Beweismittel in den Prozess wiederholt ab?
  • Warum wurden alle substantiellen Erkenntnisgewinne im Prozess gegen Daniel S. von der Nebenklageanwältin Seda Başay-Yıldız geleistet – und nicht von der Polizei?
  • Wer hat den Eintrag „rechtsmotivert“ aus der Akte des Staatsschutzes per Hand gestrichen, und warum?
  • Warum wurde kein Protokoll der (nur teils durchgeführten) Hausdurchsuchung von der Polizei angelegt?
  • Wer hat dafür gesorgt, dass alle Fotos mit rechtsextremen Beweismitteln aus den Prozessakten herausgehalten wurden, und warum?

Ausblick:

Die im März 2024 „versäumten“ Nachermittlungen sowie das forensische IT-Gutachten laufen nach Richter Kötter weiterhin im Hintergrund und sollen in der nächsten Sitzung vorgestellt werden. Zudem erwägt das Gericht, die Ex-Partnerin Luisa Maria P. als Zeugin zu laden. Weitere polizeiliche Ermittlungen bleiben abzuwarten.

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