Weiter zum Inhalt

Anetta Kahane Ein Journalismuspreis und die antisemitische Schlagseite

Der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis und die Auszeichnung von Sophie von der Tann belohnen „eine Berichterstattung, die parteiisch und somit nicht neutral und nicht an Quellen und Recherchen interessiert ist“. Ein Kommentar von Anetta Kahane.

 
ADR-Korrespondentin Sophie von der Tann wird am 4. Dezember mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet. Dabei hagelt es Kritik. (Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress | Thomas Bartilla/Geisler-Fotopres)

Dieses Jahr wird der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für herausragende Leistungen im Fernsehjournalismus an Sophie von der Tann vergeben. Sie ist die ARD Korrespondentin in Tel Aviv. Ihr obliegt die die Berichterstattung über Israel und den Gazakrieg seit dem 7. Oktober. Der Begleittext zur Entscheidung der Jury beschreibt Sophie von der Tann als „cool, aber nicht kalt“.  Ich habe sie anders erlebt. Eher umgekehrt, eher kalt, wenn es um ihre Berichterstattung aus Israel geht und gar nicht cool im Umgang mit den vom Massaker des 7. Oktober betroffenen Menschen. Besonders in Erinnerung ist mir dabei ihr Auftritt bei Maischberger im Oktober 2024. Die ehemalige Geisel Aviva Siegel schilderte in einer Schalte ihr eigenes Martyrium und das einiger junger Frauen, die geschlagen und vergewaltigt wurden. Sophie von der Tanns Gesicht blieb vollkommen reglos, während Frau Siegel weinend um Worte rang. Sie war kaum fertig als die Moderatorin und Frau von Tann übergangslos Netanjahu beschuldigten, sich kein bisschen um die Geiseln zu scheren. In diesem Moment löst sich die Starre und ein zynischer Lacher huschte über das Gesicht von Frau von der Tann. Und von beiden, Frau Maischberger und Frau von der Tann, kein Blick, kein Wort, kein Gedanke an die Frau auf dem Monitor, die noch immer um Fassung rang als die Schalte beendet wurde.

Das erinnerte mich auch an ihre Berichte gleich nach dem 7. Oktober. Sophie von der Tann gehörte zu jenen, die unmittelbar nach dem Massaker begannen, Israel für alles verantwortlich zu machen und jede mögliche Reaktion auf das Massaker bereits präventiv zu verurteilen. Selbst als noch nicht klar war, wie viele Menschen den Terror überlebt hatten und wie viele Geiseln entführt worden waren, warnte sie bereits vor der „Vergeltung“ Israels. Die Einseitigkeit ihrer Sorge um die Palästinenser*innen, ihre sorgsam sortierte Empathie machte mir in diesem Moment klar, wohin die Reise gehen würde. Je grausamer der Angriff auf Jüdinnen*Juden oder den jüdischen Staat, desto kälter und hasserfüllter würde der Blick auf Israel und die Juden gerichtet, wie ein Rückprall, eine paradoxe Kompensation, das war schon immer so. Ich hatte mir nur nicht vorstellen können, solche Töne in der Tagesschau sehen zu müssen.

Wenn von der Tann andererseits über das palästinensische Leid berichtet, änderte sich die Temperatur, sie wirkt menschlich und ist voller Empathie. Ereignisse und Personen über die sie berichtet sind konkret und persönlich. Sie bleiben nicht in abstrakten Begriffen stecken, wie es bei ihren Berichten aus Israel oft der Fall ist. Doch ihre Unausgewogenheit ist nicht nur emotionaler, sondern auch sachlicher Natur. Sie folgt den Propagandapfaden der Hamas, übernimmt ihre Angaben und Zahlen ohne Quellen, bei israelischen Belegen jedoch betont sie stets den Vorbehalt. Selbst als sie in einem Tunnel direkt unter einer Schule der UNWRA stand, bezweifelte sie, was sie mit eigenen Augen sah und was ihr die israelischen Soldaten über palästinensische Zivilisten sagten, die diese Tunnel nicht betreten durften, sondern als menschliche Schutzschilde herhalten mussten.

Ich habe mir viele Beiträge von Sophie von der Tann angeschaut. Jeden einzelnen Beitrag empfand ich als belastend, manipulativ und oft auch unverschämt. „Die halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge“, heißt es in einem jüdischen Sprichwort. Alle Beiträge zusammen zeigen wie erfolgreich eine Berichterstattung sein kann, die Hass und Aggressionen gegenüber Israel und Israelis generell zu schüren vermag. Man muss nicht unbedingt selbst Jude sein, um zu merken wie aufgeheizt die Stimmung in Deutschland gegen Israel und gegen Jüdinnen*Juden inzwischen geworden ist. Wie viele von uns hoffe ich, dass nach Ende des Krieges und der Rückkehr der Geiseln das Schlimmste vorbei sein könnte. Nein, es ist nicht vorbei. Es geht immer weiter.

Der Antisemitismus ist mit dem 7. Oktober 2023 aus seinen Schachteln gekrochen, wo er in den guten Zeiten zu schlummern pflegte. Man nennt ihn in dem Zustand latenten Antisemitismus. In Deutschland liegt er, wenn gerade nichts los ist mit den Juden, bei etwa 20 Prozent, was ich immer als hoch empfand. Doch sobald sich etwas Interessantes regt, ein Skandal, eine Debatte um Beschneidung, Restitution von geraubtem jüdischen Eigentum, dann gehen die Schachteln auf und die Antisemitismen krabbeln ans Tageslicht. Die Prozentzahl steigt dann, hält sich eine Weile, aber mildert sich wieder ab, sobald der Anlass vorbeigezogen ist. Bei Israel eskaliert der Antisemitismus schneller. Denn Israel zu kritisieren, bedeutet ja nicht gleich die Juden zu hassen, so heißt es, ganz gleich wie unverhältnismäßig die Kritik ausfällt. Auf die Weise jedoch kann auch jeder Antisemit in Deutschland beteuern, dass „Nie wieder!“ ein Holocaust kommen soll und jüdisches Leben hier gern aufblühen darf. In den zwei Jahren seit dem 7. Oktober hat sich jedoch gezeigt, wie die anti-israelische Hysterie ihren Antisemitismus nicht einmal mehr zu verbergen gedenkt. Der Hass auf den Straßen, den Unis, im Kulturbereich hat längst die Kontrolle übernommen. Auf mich wie für viele Jüdinnen und Juden wirkt diese Irrationalität wie ein riesiges Menetekel unserer Existenz. Die dummen, oft bösartigen Umkehrungen der Tatsachen, wenn es um Israel geht, sind das Fundament für den Antisemitismus der Zukunft und für den Abschied von jeder Vernunft.

Dass es nicht vorbei ist, zeigt der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis. Er würdigt jene journalistischen Leistungen als herausragend, die von Sophie von der Tann gebracht würden. Die Jury belohnt damit eine Berichterstattung, die parteiisch und somit nicht neutral und nicht an Quellen und Recherchen interessiert ist. In der Begründung stellt die Jury heraus, diese Berichterstattung sei besonders bemerkenswert unter den Bedingungen des „Vormarschs totalitärer und autokratischer Regime, die mit Meinungs- und Pressefreiheit eine der tragenden Säulen demokratischer Ordnung zerstören wollen“. Damit scheinen weder die Hamas noch alle anderen Regime in der Region gemeint zu sein, sondern Israel. Ausgerechnet Israel, wo die Menschen täglich für Frieden, für die Geiseln und auch gegen die Regierung demonstrieren. Meinungs- und Pressefreiheit machen das Land aus, sind Teil seiner Kultur. Versuche, daran etwas zu ändern, stoßen vor Ort auf heftigen Widerstand. Israel als Regime: Das stellt auch hier die Tatsachen auf den Kopf und zeigt Gesinnung, statt Kenntnis.

Und es zeigt das Bedürfnis, Opfer zu sein. Das empört mich besonders. Nicht nur einmal hatte Frau von der Tann in ihren Kommentaren, mit dem Anspruch für Deutschland zu sprechen, Israel die Leviten gelesen. Vor allem wie es mit den Lehren des Holocaust umzugehen habe. Dass vom Botschafter des Staates Israel und anderen jüdischen Stimmen darauf Kritik geäußert wurde, interpretierte die Jury als Versuch, Druck auszuüben. Deswegen lobt sie in hohem Ton, dass Frau von der Tann sich davon nicht hat einschüchtern lassen. Der Begriff der jüdischen Lobby fiel in dem Schreiben nicht, doch wer die Tapferkeit der adligen Journalistin so dringend hervorhebt, muss wohl einen mächtigen Gegner befürchten.

Die Verantwortung für realistischen, guten Journalismus, der interessiert aber neutral und eben nicht einseitig und aggressiv vorgeht, ist heute wichtiger denn je. Denn es geht um die Glaubwürdigkeit und die Zukunft sowohl des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als auch der Demokratie.

Belltower.News macht gemeinnützigen Journalismus, denn wir klären auf und machen das Wissen von Expert*innen zu Antisemitismus, Rassismus und
Rechtsextremismus und allen anderen Themen der Amadeu Antonio Stiftung für alle zugänglich.
Unsere Reportagen, Recherchen und Hintergründe sind immer frei verfügbar und verschwinden nie hinter einer Paywall. Dafür brauchen wir aber auch deine Hilfe.
Bitte unterstütze unseren Journalismus, du hilfst damit der digitalen Zivilgesellschaft!

Weiterlesen

mick-haupt-F4zLTQgWLB0-unsplash

Anetta Kahane Es lebe die Resilienz!

„Wir haben den Rechtsextremismus nicht aufhalten können. Trotzdem sind wir nicht gescheitert.“ Anetta Kahane über Resilienz in schwer zu ertragenden Zeiten.

Von
Kolumnen

Rezension „Von Nazis und Forellen“ – Neuer Band von Anetta Kahane

Anetta Kahane hat einen Kolumnenband veröffentlicht. Es sind Texte aus 15 Jahren, von 2009 bis 2024. Kolumnen, die in der…

Von
cole-keister-pOCQuo4b-3E-unsplash

[tacheles_4] Israels Wunden vor und nach dem 7. Oktober

Das Pogrom vom 7. Oktober 2023 hat tiefe Spuren hinterlassen. Das zeigt sich auch im Gedenken an den Holocaust.

Von

Schlagen Sie Wissenswertes in unserem Lexikon nach.