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Antifeminismus Die Neue Rechte und die „Krise der Männlichkeit“

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Der Mann als "Beschützer" der heteronormativen Kleinfamilie. Doch die "Neuen Rechten" sieht diese Männlichkeitsvorstellung in Gefahr
Der Mann als "Beschützer" der heteronormativen Kleinfamilie. Doch die "Neuen Rechten" sieht diese Männlichkeitsvorstellung in Gefahr (Quelle: Sandy Millar/Unsplash)

Die gesellschaftlichen Zustände sind laut der „Neuen Rechten“ von einer durch Schwäche und Weichheit gezeichneten Dekadenz durchwachsen. Es wird der Verlust „wahrer Männlichkeit“ beklagt. Der Feminismus habe eine regelrechte „Krise der Männlichkeit“ verursacht, welche eine Bedrohung für die patriarchalische Ordnung der Familie darstelle. Damit würde eine Existenzbedrohung für die gesamte Nation entstehen und es entwickelt sich eine Paranoia vom vermeintlichen Untergang derselben. Was es braucht, um sich dieser vermeintlichen Krise und deren verheerenden Ende entgegenzustellen, beschreibt Björn Höcke 2015 in einer Rede in Erfurt:

„Das große Problem ist, dass Deutschland, dass Europa ihre Männlichkeit verloren haben. Ich sage: Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft! […] und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft. Und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!“ 

Es ist das Bild einer soldatischen Männlichkeit, der sie hegemoniale Ansprüche zuschreiben. Dieses zeichnet sich durch eine starke Abgrenzung vom weiblich Konnotierten aus und steht für Kraft, Stolz, Potenz und Widerstand. Dabei ist die Annahme von heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit zentral. Es wird von einer natürlichen Gegensätzlichkeit und Komplementarität der Geschlechter ausgegangen, an welche verschiedene Tätigkeits- und Wirkungsbereiche gebunden sind: Hierbei wird dem Mann das Agieren in der öffentlichen Sphäre und die Verteidigung westlicher Werte zugesprochen, die Frau hingegen auf die häusliche Sphäre, vor allem die Mutterschaft, zurückgeworfen. Basierend darauf sieht die „Neue Rechte“ die männliche Vorherrschaft innerhalb einer patriarchalen Geschlechterordnung berechtigt. Diese wird von ihnen als beständig und zeitlos aufgefasst und ihre vermeintlich historische Geltung betont. So spricht Martin Semlitsch (alias Martin Lichtmesz), Publizist diverser neurechter Medien, in seinem in der Sezession veröffentlichtem Artikel „Mann sein lernen“ (2010) von der „auf Beständigkeit ausgerichtete[n] patriarchale[n] Form der Männlichkeit“.

Die „Neue Rechte“ vertritt damit eine dezidiert antifeministische Sichtweise, in der das Etikett der Befürwortung eines konservativ-traditionellen Familienbildes, innerhalb einer patriarchalen Geschlechterordnung, in der tatsächlichen Umsetzung eine rückwärtsgewandte Gegenposition zu Fortschritten in der Frauen-, Gleichstellungs- und Geschlechterpolitik darstellen würde.

Mit der Forderung traditionell-konservativer Familienverhältnisse schafft die „Neue Rechte“ ein Auffangbecken, dass all jenen, welche sich durch gesellschaftliche Veränderungen, im Hinblick auf den Geschlechterdiskurs verunsichert fühlen, den Schein von Orientierung und Sicherheit bietet. Gleichzeitig verneinen sie mit ihren Ansichten die Existenz geschlechtsspezifischer Ungleichheiten und tragen damit zum weiteren Bestehen derselben bei (siehe Belltower.News).

Der Glaube an eine Krise der Männlichkeit geht mit hohen projektiven Anteilen einher, die sich auch bei der „Neuen Rechten“ zeigen. Die Schuld für den vermeintlichen Verlust von Männlichkeit und daraus angeblich folgenden Missständen wird anderen zugeschoben: Frauen, Feminist:innen, queeren Menschen, dem immer jüdisch konnotierten „Kulturmarxismus“ und People of Color.

So wird die eigene Tendenz zu sexuell übergriffigem Verhalten und der Wunsch nach patriarchaler Herrschaft auf Männer mit Migrationshintergrund, Migranten, Geflüchtete und Ausländer externalisiert, um sich nicht mit der eigenen Täterrolle beschäftigen zu müssen, sondern als Beschützer der weißen Frau inszenieren zu können. Dies führt zu einer Ethnisierung des Diskurses. Nicht-Deutsch-Gelesenen werden hegemoniale Männlichkeitsansprüche aberkannt und sie werden zu marginalisierten Männlichkeiten degradiert. Dies soll zudem die Tatsache verschleiern, dass sexuelle Gewalttaten in der Regel von dem Opfer nahestehenden Personen, also in der innerhalb der „Neuen Rechten“ als Refugium inszenierten häuslichen Sphäre verübt werden und nicht von Unbekannten. So wird der (weiße) Partner als Beschützer der Frau vor dem bedrohlichen Fremden inszeniert.

Hegemoniale Männlichkeitsvorstellungen sind der „Neuen Rechten“ immer an Ethnie gebunden. Dieser Logik folgend kann der ideale Mann in ihren Augen nur deutsch sein. Deutlich wird diese Ansicht auch, wenn Ellen Kositza, Frau von Götz Kubitschek und Autorin, in ihrem Artikel „Schwarze Haare, dunkle Augen, breitbeiniger Gang, Bock auf Streß – Köln ist überall“ (2016) von ihren Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt spricht und dabei anmerkt, sie sei „noch nie von einem Autochthonen tätlich belästigt worden“ (Kositza 2016). Der Begriff „autochthon“ stammt unter anderem aus der Ethnologie und bedeutet „einheimisch“. Diese Bedeutung zeigt den Versuch der Differenzierung zwischen einer Art „Ur-Deutscher“ und den „Anderen“ und unterscheidet sich letztendlich nicht von der Differenzierung innerhalb des NS-Regimes zwischen „Ariern“ und „Nicht-Ariern“, welche zur Kategorisierung von lebenswertem und unwertem Leben diente.

Die historische Kontinuität dieser Logik wird nicht durch die Ersetzung des Wortes „Arier“ durch das Wort „Autochthoner“ gemindert. Sie ist ausschließlich eine Taktik, um salonfähig zu erscheinen. Dass sich Kositza in ihrem Artikel auf die Silvesternacht in Köln 2015/2016 bezieht, zeugt ebenfalls von der Ethnisierung sexualisierter Gewalt. Laut Kositza traue sich nur niemand diese vermeintliche Tatsache auszusprechen, aus Angst nicht politisch korrekt zu agieren. Die Denunzierung der „political correctness“ wird ebenfalls strategisch genutzt, um bestimmte Äußerungen zu relegitimieren und wieder salonfähig zu machen. Der Begriff wird umgedeutet und als Zensur aufgefasst, welcher freie Äußerungen und Handlungen tabuisieren und verhindern würde.

Die Instrumentalisierung gesellschaftlicher Veränderungen und Ereignisse, wie der Silvesternacht in Köln und daraus resultierende subjektiven Krisenerfahrungen, ist eine Strategie zur Verschiebung der gesellschaftlichen Mitte nach rechts. Entstandene Emotionen werden in ihrer Interpretation gezielt in eine bestimmte Richtung gelenkt. Dies geschieht beispielsweise durch Framing, bei dem Kampfbegriffen wie „rapefugees“ oder „Genderwahn“ verbreitet werden. Die ständige Wiederholung dieser Worte ist gefährlich, denn sie lässt sie zur subjektiven Wirklichkeit für viele Menschen werden. Es wird auf aufkommende Ängste und Unsicherheiten reagiert, die Realität in ihrer Komplexität reduziert und einfache Antworten, inklusive Projektionsfläche geliefert. Diese Antworten sind dabei häufig rassistisch und sexistisch.

Zudem appellieren diese Begrifflichkeiten an eine in Deutschland bereits existente gesellschaftliche Vorstellung nichtweißer Männlichkeit, die im kolonialrassistischen Narrativ als hypersexualisiert und potent dargestellt wird. Dieses Bild ist selbstverständlich Ausdruck einer pathischen Projektion: Dem nichtweißen Mann wird eine patriarchale Kontrolle über den weiblichen Leib zugeschrieben, der im antifeministischen Diskurs dem weißen Mann aufgrund der feministischen Verweichlichung genommen worden scheint. Die Lösung: sich wieder eine soldatisch-faschistische Männlichkeit zurückerobern, um sowohl gegen die Bedrohung von „Außen“ (Geflüchtete) als auch die von „Innen“ (Kulturmarxismus) bestehen zu können.

Die gesamtgesellschaftliche Relevanz des Geschlechterdiskurses lässt die „Neue Rechte“ einerseits unbemerkt anknüpfen, andererseits erreichen sie die Mitte der Gesellschaft und so erhalten Stück für Stück rechtsextreme Äußerungen wieder Einzug in den gesellschaftlichen Alltag.

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