
Una Titz leitet den Digitalbereich der Amadeu Antonio Stiftung und ist Monitoring-Expertin. Sie beobachtet unter anderem die Ideologien, die Elon Musk und Co antreiben. Hier schreibt sie über Pronatalismus.
Das Weiße Haus rückt zunehmend eine pronatalistische Agenda in den Fokus – angefeuert von Tech-Miliardären wie Elon Musk und gestützt von einer ideologischen Gemengelage, die von libertär bis tief in rechtsextreme Kreise reicht. Was auf den ersten Blick wie ein konservatives Plädoyer für mehr Familienfreundlichkeit wirkt, entpuppt sich bei näherer Analyse als rechtsextremer Umbau der Gesellschaft mit eugenischem Einschlag – durchsetzt von völkischen Denkmustern, antidemokratischer Technokratie und zutiefst misogynen Weltbildern. Doch was ist Pronatalismus? Pronatalismus ist eine demografische Politik, die bereits in den 1920er Jahren entstand aus der Idee des sogenannten Rassensuizids („Race Suicide“) und heute von Tech-Eliten wie Elon Musk (2024) sowie Venture-Kapitalisten Malcolm und Simone Collins (2023) als Lösung gegen den Bevölkerungsrückgang propagiert wird. Kurz gesagt, sieht Pronatalismus vor, dass jede*r so viele Kinder wie irgend möglich bekommt, aber nicht als bloße Förderung von Familien, sondern mit einem völkischen Machtanspruch, mit dem vorrangig weiße Mehrheiten gerettet werden sollen.
Elon Musk, der Kinder-Ingenieur der Dystopie
Mit aktuell 14 Kindern und Plänen, über Leihmutterschaften („surrogates“) eine „Legion“ eigener Nachkommen zu zeugen, ist Elon Musk zur Galionsfigur des Pronatalismus geworden. In internen Nachrichten mit einer seiner Konkubinen, Ashley St Clair spricht er vom „Legion“-Projekt: “Um vor der Apokalypse die Stärke einer Legion zu erreichen, müssen wir Leihmütter einsetzen.“ Die Kinderlegion soll in einer eigenen Siedlung aufwachsen. Eine Vorstellung, die erschreckend nah an eugenische Fantasien früherer Jahrhunderte heranreicht.
Ein besonders entlarvendes Detail: Die rechtsextreme Influencerin Ashley St. Clair, bekannt für ihre Anti-Feminismus-Rhetorik und Nähe zu rechtslibertären und verschwörungsideologischen Netzwerken wie Turning Point USA oder Babylon Bee, erklärte, dass Musk ihr 15 Millionen Dollar geboten habe – plus monatlich 100.000 Dollar Unterhalt –, um ihre Schwangerschaft mit seinem Kind geheim zu halten. Ihre ideologische Agenda, geprägt von antifeministischem Backlash und einem Idealbild der völkischen Familienidylle, trifft hier auf die Realität patriarchaler Machtverhältnisse: Musk nutzt nicht nur seinen unendlichen Reichtum, sondern auch sein Image als Tech-Bro-Messias, um Frauen wie St.Clair in ein System privater Reproduktionskontrolle zu pressen. Es zeigt, dass Pronatalismus in diesen Kreisen nicht mit Nächstenliebe, sondern ausschließlich mit Macht und maximaler Kontrolle operiert. Nachdem Musk nicht auf St. Clairs Forderungen einging, und die Influencerin einen Anwalt engagierte, wurde das schnell deutlich. Das Unterstützungsangebot schrumpfte rapide, die Kosten für St. Claires Anwälte sollen mittlerweile fast eine viertel Million US-Dollar betragen.
Pronatalismus könnte sich zur zentralen politischen Leitlinie einer neuen US-Regierung entwickeln – auf welchem Weg auch immer: sei es durch die eugenisch aufgeladene Reproduktionsagenda eines Elon Musk, durch staatlich finanzierte In-vitro-Befruchtung ausschließlich für „ausgewählte“ Paare oder durch Abtreibungsverbote (wie nach dem Fall von Roe v. Wade) als Mittel staatlich erzwungener Geburtenpolitik. Dahinter verbirgt sich keine soziale Fürsorge, sondern ein sozial-darwinistisches Programm zur Aufwertung eines rassistischen, sexistischen Menschenbilds, das Gerechtigkeit und Emanzipation ausradiert und Frauen auf ihre Funktion als Gebärmaschinen degradiert. Die rechtsextreme Auslegung des Pronatalismus ist ein unverkennbar autoritäres Projekt, zur Ausgrenzung und Kontrolle von Minderheiten und das sich offen gegen fundamentale Emanzipation stellt.
Eugenik, Longtermismus und das Silicon Valley der Zukunft
Elon Musk bezeichnet den Longtermismus als „eine enge Übereinstimmung mit meiner Philosophie“. Er verbindet seinen Kinder-Kult mit der Ideologie des Longtermismus – einem Konzept aus dem Silicon Valley, das Zukunftsinteressen vermeintlich über gegenwärtige Anliegen stellt. In Wahrheit handelt es sich um eine Form technokratischer Entmenschlichung: Die heute Lebenden sind nur Mittel zum Zweck einer hypothetischen, zukünftigen „Mega-Zivilisation“, für deren Fortbestand alles geopfert werden darf – auch soziale Gerechtigkeit oder körperliche Selbstbestimmung. Denn Longtermismus ist letztlich eine „Endzeitideologie des Neoliberalismus“, die als Rettungsnarrativ daherkommt, aber bestehende Herrschaftsverhältnisse zementiert.
In diesem Klima fühlen sich auch libertäre Venture-Kapitalisten wie Malcolm und Simone Collins pudelwohl: Das Unternehmerpaar propagiert die gezielte Züchtung überlegener Kinder. Ihre Website „Pronatalist.org“ spricht unverblümt von genetischer Optimierung, Familienplanung als geopolitisches Instrument und einer elitären Zukunft, in der nur die „Verantwortungsbewussten“ das Erbgut der Menschheit sichern sollen. Dass ihre Sicht auf Menschenleben selektiv, marktradikal und zutiefst menschenfeindlich ist, wird hinter einem pseudowissenschaftlichen Vokabular versteckt, das stark an NS-Jargon erinnert.
Das Vorgehen von Malcolm und Simone Collins ist dabei nicht bloß Randphänomen moderner Familienplanung, sondern reiht sich nahtlos ein in die Tradition eugenischer Ideologien: Wenn Privatpersonen mit millionenschweren Investments darüber entscheiden, welche Merkmale in künftigen Generationen „erwünscht“ sind und welche nicht, reproduzieren sie genau die Logik, die seit über hundert Jahren zur Ausgrenzung, Zwangssterilisation und im Nationalsozialismus zum systematischen Massenmord geführt hat.
Eugenik beschreibt die Lehre von der „Verbesserung“ des menschlichen Erbguts – durch gezielte Fortpflanzung „Erwünschter“ und die Verhinderung „Unerwünschter“. Wenn heute Tech-Eliten und politische Entscheider*innen erneut mit diesen Ideen kokettieren – unter futuristischen Etiketten wie „Optimierung“, „Zukunftssicherung“ oder „Reproduktionspolitik“ –, ist das nicht nur ein Spiel mit dem Feuer, sondern stochastischer Terrorismus.
Trump & Co.: Pronatalismus als Regierungsprogramm
Bereits unter der ersten Trump-Regierung wurde Pronatalismus schleichend zur offiziellen Linie: IVF-Subventionen, steuerliche Anreize für Familien, mediale Kampagnen zur Geburtensteigerung – aber stets mit einem ideologischen Beiklang, der unübersehbar war. Die Adressaten: weiße, heteronormative Ehepaare. Nicht etwa marginalisierte Gruppen, nicht Alleinerziehende, nicht queere Familien. Die Botschaft: Mehr „richtige“ Babys für Amerika. Vizepräsident JD Vance, selbst erklärter Kulturkämpfer und Hardliner, brachte es auf den Punkt: „I want more babies in the United States of America!“ Doch wer soll „mehr Babies“ produzieren? Wer wird von Trump und co. als schützenswerte „Zivilisation“ betrachtet – angesichts seiner sadistischen Deportationen?
Der rechtsextreme Unterbau: „Great Replacement“ und Bevölkerungskriege
Hinter dem pronatalistischen Demografie-Alarmismus steht die rechtsextreme „Great Replacement“-Verschwörungsterzählung. Sie behauptet, dass „weiße Mehrheiten“ systematisch durch Migration „ersetzt“ würden. Diese Erzählung, einst nur in deutschen und amerikanischen Neonazi-Kreisen verbreitet, ist längst im Mainstream angekommen – auch dank prominenter Multiplikatoren wie Elon Musk selbst, der auf X mehrfach suggerierte, Migration sei eine „Gefahr für den Fortbestand der westlichen Zivilisation“.
Diese rassistische Paranoia ist keine Spinnerei am Rand, sondern politische Realität geworden – sichtbar in den Deportationen; Familienpolitik sowie in den beständigen, propagandistischen Diskursverschiebungen. In Deutschland popularisieren Identitäre wie Martin Sellner das Konzept des großen Austausches, doch es sind auch konservative Medien und Politiker*innen, die es mittlerweile als „Bevölkerungsaustausch“ in Debatten einspeisen. Der politisch gewünschte Effekt: Rechte Geburtenförderung bei gleichzeitiger Abschottung und Abwertung von Minderheiten.
Reproduktive Rechte im Fadenkreuz: Antifeminismus als ideologischer Kern
Parallel zur rassifizierten Reproduktionspolitik wird der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen systematisch zerstört. Die Aufhebung von Roe v. Wade 2022 markierte den Wendepunkt: Zahlreiche Kliniken schlossen, Abbrüche wurden kriminalisiert, Frauen entmündigt. Zu Ende gedacht bedeutet das: Ein reproduktiver Überwachungsstaat, der Frauen zur Austragung verpflichtet, aber keine soziale Infrastruktur bereitstellt.
Die neue pronatalistische Rhetorik des Weißen Hauses ist keine liebevolle Vision von Familie – sondern zutiefst misogyn. Er entspringt einer reaktionären Maskulinisten-Szene, die die weibliche Selbstbestimmung als Bedrohung betrachtet. Frauen sollen nicht entscheiden dürfen, ob, wann und wie sie Kinder bekommen. Stattdessen werden sie zur „natürlichen Ressource“ im Kampf um Demografie stilisiert – als „Gebärmaschinen“ im Dienst einer völkischen Ideologie.
Dieser Backlash richtet sich besonders gegen gebildete, selbstbestimmte Frauen. In der Rhetorik der Pronatalist*innen gelten sie als „egoistisch“, „karrieregeil“, „degeneriert“. Nicht umsonst betitelt JD Vance Frauen ohne Kinder als „kinderlose Katzenladies”. Dass Frauen keine Kinder bekommen wollen – oder können – wird zum gesellschaftlichen Problem erklärt. Doch was wirklich dahintersteckt, ist die Angst vor weiblicher Autonomie und die Wiedererrichtung patriarchaler Verhältnisse.
Was derzeit als „Zukunftsprojekt“ verkauft wird, ist ein rechtsextremer Traum. Pronatalismus in dieser Form ist keine Familienpolitik – sondern ein trojanisches Pferd für Eugenik, Rassismus und Frauenverachtung.