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Initiative „Queer Roma“ Roma und schwul, geht das überhaupt?“

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Gianni Jovanovic hält einen Vortrag in Köln. (Quelle: Rebecca Erken)

Auf dem Wagen tanzt eine Drag-Queen in pink, mit einem Fächer vertreibt sie die Kölner Sommerhitze. Davor laufen Männer in dunkelblauen T-Shirts, einer schwenkt eine Fahne. So weit, so normal auf dem Christopher Street Day. Doch dies ist kein Truck wie die anderen: Es ist ein kleiner Wohnwagen. Auf den T-Shirts der Männer und Frauen davor steht Queer Roma. Hinter dem Mann mit der bunten Roma-Flagge hält jemand ein Plakat hoch, darauf steht nur ein Wort: Liebe.

Durch das Leben von Gianni Jovanovic, 37, zieht sich noch ein anderes Wort, eines, das mal einen gleichgültigen, mal einen hasserfüllten Klang hatte: Zigeuner. Er bekam es als Kind in Rüsselsheim zu hören und später in Darmstadt. Heute spielt Jovanovic souverän mit den Klischees. Doch für ihn war es viele Jahre ein doppeltes Versteckspiel: Einerseits hielt er vor Fremden lieber geheim, dass er zu der Minderheit der Roma gehört. Und andererseits wusste in seiner Roma-Community niemand, dass er schwul ist. Nicht seine Eltern, nicht einmal seine Frau.

„Das Coming-out war für mich der schlimmste, aber auch der wichtigste Schritt in meinem Leben“, sagt Jovanovic.

Vor ein paar Monaten hat Jovanovic damit begonnen, seine Lebensgeschichte öffentlich zu machen, unter anderem mit YouTube-Videos. „Ich erzähle jedem davon, der es hören will, und jedem, der es nicht hören will“, sagt er. Schließlich gebe es außer ihm kaum Roma, die in der Öffentlichkeit stehen, geschweige denn Roma, die von ihrer Homosexualität berichteten. Er wolle denen eine Stimme geben, die aus Angst vor doppelter Diskriminierung schweigen. Im Frühjahr hat er deshalb „Queer Roma“ gegründet.

Seine Familie sei sehr konservativ gewesen, sagt Jovanovic. Noch als Kind, mit 14 Jahren, wurde er mit einem jungen Roma-Mädchen verheiratet. Für ihn sei das damals „in Ordnung“ gewesen. Als er 16 Jahre alt war, bekamen er und seine Frau ihr erstes Kind, anderthalb Jahre später das Zweite. Mit 18 sei ihm schließlich bewusst geworden, dass er eigentlich Männer liebe.  

Es dauerte noch sechs Jahre bis zum Coming-out

Trotzdem dauerte es sechs Jahre, bis er sich outete. „Ich bin ein Familienmensch“, sagt Jovanovic. „Ich hatte eine große Verantwortung gegenüber meinen Kindern und meiner Frau – ich wollte sie nicht im Stich lassen.“ Der junge Mann hatte Angst, die Unterstützung seiner Eltern und seinen Ausbildungsplatz aufs Spiel zu setzen, den Job, der doch die Familie ernähren musste. 

Für seine Familie sei der Tabubruch „eine Tragödie“ gewesen, sagt er. Doch inzwischen akzeptierten sie sein Leben, auch die Mutter seiner Kinder sei für ihn nach wie vor „Teil seiner Familie“, sagt er. „Zu meinen Kindern und Enkelkindern habe ich ein sehr gutes Verhältnis.“ Der 37-Jährige ist zweifacher Großvater. 

Homophobie hat er genauso erlebt wie Rassismus. Dabei ist Jovanovic in Rüsselsheim geboren und in Deutschland aufgewachsen, unter anderem in Nürnberg und Darmstadt. Er drückt sich eloquenter aus als viele deutsche Politiker. Er liebt seit elf Jahren einen Deutschen, mit dem er zusammenlebt und verpartnert ist.

Ein paar Tage vor dem CSD erzählt er im Kölner Beratungszentrum Rubicon von seinem Leben. Hundert Menschen lauschen ihm, applaudieren. Die „Minderheit in der Minderheit“ hat die Mehrheit mitgerissen. Eine junge Frau in der ersten Reihe steht auf und stürmt nach vorne, um ihn zu umarmen. Ein junger Mann aus der zweiten Reihe folgt ihr und drückt Jovanovic fest. Es sind seine beiden Kinder.

Seine Geschichte sei nicht generalisierbar, sagt Jovanovic. Die Roma, von denen Schätzungen zufolge rund 120.000 in Deutschland leben, seien keine homogene Masse. Man könne sie genauso wenig über einen Kamm scheren wie Bayern oder Rheinländer. Es gebe mehr als 60 unterschiedliche Dialekte der Romanes-Sprache und viele unterschiedliche Religionszugehörigkeiten innerhalb der Roma.

Eine Narbe am Kopf ist geblieben

Jovanovic erzählt wie er – ein cleveres Kind mit einer außergewöhnlichen Sprachbegabung – nach der Vorschule auf die Sonderschule geschickt wurde. Eine engagierte Lehrerin setzt sich schließlich dafür ein, dass er auf eine Regelschule wechseln durfte. Die Familie des Jungen strebte immer wieder danach, sesshaft zu werden. Nur: „Es gab keinen Ort, an dem man uns willkommen hieß.“ Er erzählt von den „Baracken“, in denen er mit seinen Eltern leben musste, weil an „fahrendes Volk“ eben keine Wohnungen vermietet wurden.

Eine Narbe am Kopf ist bis heute geblieben. Dort, wo ihn ein Stein traf, als ihre Unterkunft in Darmstadt mit Molotowcocktails in Brand gesetzt wurde. Jovanovic war damals vier Jahre alt.

Ob sich seitdem sonst wenigstens etwas geändert hat? „Nicht viel“, sagt Jovanovic. „Ich habe erlebt, wie sogar noch meine Enkel mit der Stigmatisierung leben müssen.“ Achtzig bis neunzig Prozent der Romakinder würden nach wie vor auf die Sonderschule geschickt. Noch immer leugneten viele Roma ihre Identität und gäben beispielsweise vor, Serben zu sein, aus Angst davor, sich keine Existenz aufbauen zu können. Erfolgreiche Roma seien der deutschen Öffentlichkeit deshalb schlichtweg nicht bekannt.

Jovanovic hat inzwischen ein kleines Unternehmen in Köln, wo er seit vielen Jahren lebt. Als er von seinen Zweifeln redet, die ihn lange begleiteten, etwa „Warum bin ich ein Rom? Warum bin ich schwul?“ und der alles überschattenden Frage „Ein schwuler Rom – geht das überhaupt?“, zitiert er den ersten Paragraf des kölschen Grundgesetzes: „Et es, wie et es“.

 

Der Artikel erschien zuerst am 09. Juli 2015 bei ZEIT Online. Mit freundlicher Genehmigung.Die Website der Autorin: www.rebecca-erken.deDie Autorin auf Twitter: twitter.com/RebeccaErken

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