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NS-Zeit Schatten der Vergangenheit

Am 27. Januar ist internationaler Holocaustgedenktag. 2010 ist es 65 Jahre her, dass das Vernichtungslager Auschwitz befreit wurde. Viele Gedenkveranstaltungen finden alljährlich statt. Schon 1959 sagte Theodor W. Adorno: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären“.

 
Foto: „Auschwitz“, von European Citizen via flickr, cc.

„Man will von der Vergangenheit loskommen: mit Recht, weil unter ihrem Schatten gar nicht sich leben lässt“, schreibt Theodor W. Adorno 1959 in dem Aufsatz „Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit“. Adorno war Direktor am Frankfurter Institut für Sozialforschung und lehrte bis zu seinem Tod 1969 in den Fächern Soziologie und Philosophie; er war Musiktheoretiker und -kritiker sowie Komponist. Am 27. Januar jährt sich 2010 zum 65ten Mal die Befreiung der Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die sowjetische Armee. Auschwitz wurde Synonym für die Barbarei des Dritten Reiches – dabei aber leider auch oft Instrument politischer Rechtfertigung, die seinen unsagbaren Schrecken damit zu greifen und benutzen suchte. Doch ihn dadurch nur verharmlost.

„Was so monströs war“

Seit 1996 ist der 27. Januar auf Betreiben des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog ein nationaler Gedenktag in Deutschland. Der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ wird seitdem begangen. 2005 wurde der Tag von den Vereinten Nationen offiziell zum „internationalen Holocaustgedenktag“ erklärt. Denn auch wenn die „Schatten der Vergangenheit“ unerträglich sind, ist die Vergangenheit nicht tot, sondern höchst lebendig. „Der Nationalsozialismus lebt nach, und bis heute wissen wir nicht, ob bloß als Gespenst dessen, was so monströs war, daß es am eigenen Tode noch nicht starb, oder ob es gar nicht erst zum Tode kam; ob die Bereitschaft zum Unsäglichen fortwest in den Menschen wie in den Verhältnissen, die sie umklammern“, schreibt Adorno weiter.

Aufarbeitung der Vergangenheit

Von Jahr zu Jahr schwindet die Zahl der überlebenden Zeitzeug*innen, die noch aus erster Hand über die Zustände berichten können. Das Gedenken auch für die nächsten Generationen wach zu halten, ist zentrales Anliegen dieses Gedenktags. In der Demokratie versteht der Mensch sich selbst als Subjekt des politischen Prozesses; sie ist Ausdruck seiner Mündigkeit. Das Heilsversprechen vom unendlichen Glück kann die Demokratie aber nicht einlösen. Sie ist das, was Menschen aus ihr machen. Eine demokratische Gesellschaft benötigt das Bewusstsein ihrer eigenen Vergangenheit. Auch wenn sie unerträglich ist. Unerträglich vor allem aufgrund ihrer Gräuel aber auch unerträglich aufgrund der persönlichen Verstrickung der Täterinnen und Täter in diese Gräuel. „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären“, so Adorno. Sind sie das heute? Angesichts des immer wieder aufbrechenden Antisemitismus, gespeist aus einem Ressentiment gegen das „(Volks-)Fremde“ muss man diese Frage wohl negativ beantworten.

Familiäre Verstrickungen

Die Vergangenheit besteht fort. Ein Gedenktag ist eine Gelegenheit, um zu Erinnern und zu Mahnen. Der Schatten und die Gefahr der barbarischen Vernichtung sind damit aber noch nicht gebannt. Gerade die Verstrickungen der eigenen Familie in die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts gilt es zu erforschen. Diese Aufarbeitung kann keine einzelne Veranstaltung ersetzen – sie findet persönlich statt.

Dieser Beitrag wurde gekürzt und erschien ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ (2002-2022).

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