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Rechtsextreme Strukturen Brauner Alltag in Sachsen

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Die schmalen Landstraßen in Richtung Chemnitz sind von zahllosen NPD-Plakaten gesäumt. Manche hängen in Kopfhöhe, denn niemand scheint Interesse daran zu haben, sie entfernen zu wollen. Im Landkreis Mittelsachsen gehören Glatzköpfe zum Alltagsbild. Auch beim Feuerwehrfest nahe der Kleinstadt Lunzenau stört sich niemand an dem kurzhaarigen Besucher mit Kinderwagen, Hund und Logo einer NS-Hardcoreband auf dem Shirt. Ein paar Straßen weiter feiern junge Leute ein Grillfest – unter ihnen einschlägige Gäste in einheitlichen Szeneklamotten.

Dagegen wirken die jungen Männer im Lunzenauer Ortsteil Cossen bieder. Sie tragen helle Hemden mit Stehkragen und Zimmermannshosen und werkeln an einem abgewirtschafteten Haus herum. Der „Volkstanzkreis Chemnitz“, ehemals „Mitteldeutscher Volkstanzkreis“ hat zum Brauchtumswochenende auf den Vierseitenhof der Familie Wolf geladen. Eine Frau mit langem Rock, die dunklen Haare zum Dutt zusammengesteckt, trägt einen Weidekorb ins Haus. In kurzen Abständen finden in Cossen Veranstaltungen unter Beteiligung von Rechten aus völkischen, heidnischen und nationalen Kreisen statt. Die Gäste reisen aus dem Ilm-Kreis in Thüringen sowohl aus Sachsen-Anhalt an. Die Heimischen kommen überwiegend aus der Chemnitzer und Freiberger Region. Unter ihnen sind diesmal der Chemnitzer Rechtsanwalt Martin Kohlmann, sowie Maik O. und Erik F. Alle drei werden zur rechten Szene in der Region gezählt. Kohlmann, der für „Pro Chemnitz“ im Stadtrat sitzt, gilt als Bindeglied der verschiedenen Spektren von Freien Nationalisten bis zur DSU oder den Republikanern. Kürzlich hatte ihn die Oberbürgermeisterin bei einer Sitzung von der Polizei aus dem Saal tragen lassen, weil er unter anderem den Bürgermeister als „Taliban“ bezeichnet hatte. Maik O. wird der „Interessengemeinschaft Chemnitzer Geschichte“, einem extrem rechten Tarnverein zugerechnet. Vorher hatte er zeitweilig zu den Vorstandsmitgliedern des „Heimatschutz Chemnitz“ gehört. Szenekenner zählen auch Erik F. zu diesem Spektrum.

Schulkinder beim „Volkstanzkreis Chemnitz“

Veranstalter Wolf dagegen, der bereits die einschlägige Gefährtschaft zum „Maitanz“ und zum Ostara-Fest mit eingeladen hatte („Volkstänzer aller Gaue vereinigt Euch!“), scheint in Lunzenau keinen Argwohn zu erregen. So folgte eine erste Klasse der örtlichen Grundschule einer Einladung seiner Familie zum Tanznachmittag Ende April. Auf dem zum Tanzsaal ausgebauten Heuboden schwangen die Schulkinder unter Anweisung von Frau Wolf „und einigen Freunden der Familie“ das Tanzbein.

Die Homepage des Mitteldeutschen Volkstanzkreises ist auf Marcel T. aus Jarchau in Sachsen-Anhalt registriert – dessen Vater ist nicht nur Vorsitzender des örtlichen Sportvereines, sondern auch Bürgermeister des Stendaler Ortsteils.

Brauchtumsfeste wie die der Cossener Volkstanzbegeisterten dienen der rechten Szene zur Stabilisierung und Festigung der Eigenidentität. Den Behörden entgehen sie oft, da sie häufig auf Privatgrundstücken stattfinden und wenig Aufsehen erregen in der Nachbarschaft.

„Angstzone“ im Muldental

Etwa 25 Kilometer weiter: Colditz im sächsischen Muldental, 5000 Einwohner – hier gaben 2004 rund 10 Prozent der NPD ihre Stimme. An den Kreuzungen rund um die Innenstadt haben sich an diesem Samstag, den 22. August zahlreiche vollbesetzte Polizeifahrzeuge postiert. Neonazis in mindestens fünf verschiedenen Autos kurven immer wieder am Marktplatz vorbei, checken die Lage. In Colditz treffen Rechtsextremisten aus diversen Gruppen aufeinander, neben den örtlichen „Pöbelnazis“ gibt es Anhänger aus dem Spektrum der Nachfolgegruppe des „Sturm 34“ aus Mittweida, der „Division Döbeln“, den „Nationalen Sozialisten Leisnig“ oder der Kameradschaft aus dem benachbarten Thümmlitzwalde. Die Region gilt für viele als „Angstzone“.

Im Februar vergangenen Jahres hatten sich etwa 100 Neonazis versammelt und ein Elektrowarengeschäft, den Dönerimbiss einer türkischen Familie sowie eine Turnhalle in Colditz überfallen und demoliert. Dabei sollen auch mehrere Brandsätze und eine Nebelgranate geworfen worden sein. Anlass für den Überfall waren antirassistische Konzerte, die mit Erlaubnis des Eigentümers des Geschäfts und der Turnhalle stattgefunden hatten. Bereits ein Jahr zuvor waren die Konzerte Ziel von Übergriffen aus dem Umfeld rechtsextremer Kameradschaften. Im April 2008 dann störten etwa 40 NPD-Anhänger, darunter der Landtagsabgeordnete Winfried Petzold, ein Friedensgebet in der Colditzer Schlosskirche. Sie besetzten die Bänke der Kirche, verteilten Flugblätter und fotografierten alle Anwesenden ab, wie es später hieß. Besucher des Gebetes fühlten sich eingeschüchtert.

Colditzer Abneigung gegen geplanten Courage-Event

Nicht zuletzt um Colditz von der Liste der Städte zu streichen, denen lokalpatriotische Ruhe lieber scheint als Zivilcourage, planten engagierte Nazigegner kurz vor der Landtagswahl 2009 ein Fußballtunier im Muldentalstadion der Stadt. Die regionale Initiative „Meine Stimme gegen Nazis“ sowie örtliche Vereine und Initiativen wollten unter dem Motto „Colditz spielt quer“ ein Zeichen setzen. Mit ihrer „Dorftour“ durch sächsische Kleinstädte hatte die Initiative andererorts keine Probleme. In Colditz jedoch wurde die Veranstaltung blockiert.

„Polizei und Fußballverein haben Angst vor Nazis“ hieß es am 20. August in zahlreichen Medien. Als den Verantwortlichen klar geworden sei, dass es sich um keine „normale“ Sportveranstaltung handeln würde, sondern um ein Fest gegen Rassismus und NPD, da begannen die Probleme, wird berichtet. Auch prominente Unterstützer wie DFB-Präsident Theo Zwanziger, der Pfarrer der Dresdener Frauenkirche Sebastian Feydt oder der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer konnten die Abneigung der Stadtoberen gegen den geplanten Courage-Event nicht schmälern. „Was passiert“ fragte scheinheilig der Vereinschef, „wenn die mir ein Hakenkreuz in den Rasen ätzen?“

Gewalttätige Neonazis bestimmen indirekt die Politik mit

Die Angst herrschte in Colditz vor, die Neonazis könnten sich provoziert fühlen. Schon lange üben die Dominanz im Jugendmilieu aus. Der Verein beschloss, den Platz nur freizugeben, wenn Stadt oder Veranstalter die volle Verantwortung für mögliche Sachbeschädigungen durch Neonazis übernähmen. Aber auch Bürgermeister und Polizeiverantwortliche knickten ein. So ständen an diesem Tag „nicht genügend Kräfte zur Verfügung, um die Veranstaltung zu schützen“. Auf „Zeit-Online“ zeigte sich Solveig Höppner vom Verein Kulturbüro Sachsen enttäuscht: „Wir hätten uns gewünscht, dass der Bürgermeister über seinen Schatten springt und uns trotz anfänglicher Unstimmigkeiten seine Unterstützung zusichert“. Gerade in Colditz seien zivilgesellschaftliche Akteure dringend auf die Hilfe von Bürgermeistern, Stadtverwaltungen und der Polizei angewiesen. „Es ist fatal, wenn in dieser Region gewalttätige Neonazis indirekt die Politik mitbestimmen können.“ Das Fußballspiel fand nicht statt – vorsorglich wurde alternativ eine Kundgebung mit Livekonzert für den 22. August in Colditz angemeldet.

Unter diesen Vorzeichen scheint es kaum verwunderlich, dass die, eine Woche vor den Landtagswahlen, organisierte Kundgebung von „Meine Stimme gegen Nazis“ auf dem Marktplatz von Colditz nur unter lauten Beschimpfungen und Störungen von örtlichen Neonazis stattfinden konnte. Rund zwei Stunden hielten etwa 50 junge Demonstranten unter Mitwirkung der Bundestagsabgeordneten Monika Lazar (Die Grünen) und der Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz ( Die Linke) das aus. Keine zehn Meter weiter hatten sich 20 Neonazis mit Bierflaschen am Springbrunnen niedergelassen, sie beleidigten und beschimpften die jungen Leute lautstark. Als Journalisten filmten, gingen inzwischen angetrunkene Glatzköpfe auch auf sie los. Uniformierte Beamte traten dazwischen, konnten die aufgebrachten, herrisch auftretenden Neonazis beruhigen. Unter Polizeischutz verließen die Kundgebungsteilnehmer dann im Konvoi die Innenstadt von Colditz. Die Neonazis dagegen blieben zurück.

Zuerst veröffentlicht bei bnr.de

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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