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Thüringen vor der Wahl „Rechter Lifestyle ist für viele Jugendliche Mainstream“

Siebenhitze e.V. im Gespräch über das Aushalten von Widersprüchen, eine mögliche Regierungsbeteiligung der AfD und Unterstützung vor Ort.

 
Auch in Greiz macht die AfD intensiv Wahlkampf. (Quelle: picture alliance/dpa | Bodo Schackow)

Am 1. September wählt Thüringen einen neuen Landtag. Es steht viel auf dem Spiel: Laut aktuellen Umfragen ist die AfD die stärkste Kraft und könnte somit erstmals an einer Regierung beteiligt sein. Doch es gibt zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich für ein demokratisches Miteinander und gegen Diskriminierung einsetzen. Belltower.News hat mit einigen davon gesprochen, um mehr von ihrer Perspektive auf die Landtagswahlen und die Situation vor Ort zu erfahren.

Der Verein Siebenhitze e.V. aus Greiz in Thüringen setzt sich mit verschiedenen Formaten für eine offenere und diskriminierungsfreie Gesellschaft ein. So bietet er verschiedene Veranstaltungen zur politischen Bildung und Workshops an und ist ein Raum für Theatergruppen.

Belltower.News: Was beschäftigt euch als Initiative mit Blick auf die Wahlen?
Siebenhitze e.V.: Bei uns herrscht zurzeit rege Betriebsamkeit. Uns beschäftigt vor allem die Frage, wie wir vor der Wahl noch so viele Menschen wie möglich informieren und mobilisieren können – informieren darüber, was die rechtsextreme AfD wirklich plant und durchsetzen will. Dabei haben wir vor allem Menschen im Blick, die aus einem – nicht immer unberechtigten – Gefühl der Unzufriedenheit mit dem Gedanken spielen, die AfD zu wählen. Gleichzeitig wollen wir Menschen mobilisieren, ihre Stimme dann auch wirklich abzugeben und möglichst progressiv zu wählen, in jedem Falle aber eine demokratische Partei.

Wie ist die aktuelle Situation vor Ort?
Seit den Protesten infolge der Enthüllung der Vertreibungspläne der extremen Rechten und ihrer parlamentarischen Vertretung Anfang des Jahres und der feigen Flucht von Höcke aus seinem eigentlichen Wahlkreis zu uns nach Greiz, haben viele Menschen gemerkt, dass es jetzt Zeit ist selbst aktiv zu werden. Dadurch hat sich beispielsweise ein neues Bündnis zusammengefunden. Es wurden und werden verschiedene Aktionen und Veranstaltungen durchgeführt, an denen sich so viele Menschen wie selten zuvor aktiv beteiligen. Aufgrund der Heterogenität der beteiligten Akteur*innen ist das zwar nicht immer ganz einfach, aber wir alle können dadurch lernen, Widersprüche auszuhalten und auch über unseren eigenen Tellerrand zu blicken und voneinander zu profitieren. Die Entwicklungen der letzten Zeit waren also nicht nur negativ. Gleichwohl bleibt der Zuspruch für die AfD erschreckend hoch. Nach aktuellen Umfragen wollen circa ein Drittel der Menschen die gesichert rechtsextreme Partei wählen.

Was ist aus eurer Sicht das Wort-Case-Szenario für die anstehenden Landtagswahlen?
Worst-Case wäre eine AfD-Regierungsbeteiligung. Das erscheint allerdings nicht wirklich wahrscheinlich, ausgeschlossen ist es aber auch nicht. Wahrscheinlicher und ebenso schlimm ist, dass eine starke AfD weiterhin Themen setzt, die von anderen Parteien aufgenommen werden, die versuchen, die Rechten rechts zu überholen. Das kann nur scheitern und führt zu einem weiteren gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck. Welche Rolle bei alldem das BSW spielen wird, das in Thüringen in den Umfragen auch hohe Zustimmungswerte erzielt, ist schwer abzuschätzen. So oder so, wir steuern auf schwierige Zeiten zu.

+++ Hier lesen:  AfD-Experte Michael Kraske im Interview – „Ich erwarte durch die anstehenden Wahlen im Osten ein politisches Beben, das ganz Deutschland schwer erschüttern wird.“ +++

Was macht euch besonders Sorgen?
Wir befürchten einen Anstieg rechter Gewalt, vermehrte Einschüchterungsversuche und eine allgemeine Verschlechterung des Klimas für alle, die nicht ins rechte Weltbild passen. Rechter Lifestyle ist für viele Jugendliche wieder Mainstream geworden und Nazigruppen versuchen die Programmatik und die Diskurse der rechten Parteien und ihrer Vordenker auf der Straße durchzusetzen. Je mehr die Thematiken in gleicher Weise auch von anderen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen aufgegriffen werden, desto mehr können sich die Nazis als Vollstrecker eines diffusen „Volkswillens“ aufspielen. Obwohl sie vielerorts nie weg war, ist zurzeit ein erstarken der extrem rechten und gewaltbereiten Szene festzustellen.

Welche Möglichkeiten gibt es, zum Beispiel für Leute aus München oder Berlin, euch und ähnliche Initiativen zu unterstützen?
Kommt vorbei und macht euch selbst ein Bild und unterstützt die Menschen vor Ort ganz konkret, wenn etwa politische Veranstaltungen anstehen. Kontaktiert uns gern, wenn ihr konkrete Fragen habt und verbreitet die frohe Kunde, dass es an all diesen komischen, beschissenen, medial oft verschrienen Orten noch stabile Menschen und Initiativen gibt, die bleiben und dagegenhalten. Weiterhin ist für viele finanzielle Unterstützung unverzichtbar. Gerade, wer auf Fördergelder angewiesen ist, blickt in eine sehr unsichere Zukunft. Wer bereits jetzt unabhängig von Fördergeldern agiert, möchte das gern beibehalten. Veranstaltet Soli-Events und sammelt Kohle oder engagiert euch zum Beispiel beim Netzwerk Polylux, die da schon einiges an Expertise haben.

Was habt Ihr den Leuten „da draußen“ zu sagen?
Bleibt stabil, wir bleiben es ja auch. Weitermachen!

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