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Totes Kind in Wilhelmshaven Wenn rassistische Gewalt auch vor Kindern nicht Halt macht

Rassistische Gewalt nimmt in Deutschland alarmierend zu – besonders Kinder sind immer öfter betroffen. Am Montag starb ein vierjähriges Kind nach Brandstiftung in Wilhelmshaven – ob es sich um ein rassistisches Brandmotiv handelt, wird nun geprüft.

 
Eine ausgebrannte Geschäftsfläche mit den darüberliegenden Wohnungen in der Innenstadt von Wilhelmshaven. Ein Kind ist bei dem Brand in der Nacht auf Montag gestorben. (Quelle: picture alliance/dpa | Sina Schuldt)

In der Nacht auf Montag, den 23. Juni, kam es im niedersächsischen Wilhelmshaven zu einem verheerenden Brand in einem Mehrfamilienhaus, in dem ausschließlich Familien mit jüngerer Zuwanderungsgeschichte lebten. Ein vierjähriger Junge kam dabei ums Leben, sein sechs Jahre alter Bruder ist noch in kritischem Zustand, die restlichen Familienmitglieder – darunter drei Kinder im Alter zwischen sieben und 18 Jahren – befinden sich in Krankenhäusern in Oldenburg, Bremen und Düsseldorf. Die Feuerwehr konnte das Feuer löschen und acht weitere Bewohner aus dem Gebäude retten. Ermittler*innen gehen mittlerweile von vorsätzlicher Brandstiftung aus. Nach bisherigen Erkenntnissen wurde im Eingangsbereich Sperrmüll gezielt angezündet. Die Familie habe wiederholt unter rassistischen Anfeindungen gelitten – durch Nachbarn, und Verwaltung. Vom Hausmeister sei die Familie regelrecht schikaniert worden, berichtet die taz.

Seit Mittwoch, dem 25. Juni, ermittelt die Polizei nun offiziell wegen eines Tötungsdelikts im Fall des tödlichen Brandes in Wilhelmshaven. Nach eigenen Angaben habe sich der Anfangsverdacht gegen einen männlichen Tatverdächtigen aus Wilhelmshaven weiter erhärtet. Details zu dem Mann, zu einem möglichen Motiv und ob er bereits vernommen wurde, geben die Ermittler*innen bisher nicht bekannt. Die Ermittlungen dauern jedoch an – die Polizei bittet weiterhin um Hinweise aus der Bevölkerung.

Verbindung zu Solingen – Rassismus als wiederkehrendes Muster

Bisher ist noch nichts zur Motivlage des Tatverdächtigen bekannt, und doch erinnert der tödliche Brand an einen anderen Fall, bei dem vergangenes Jahr eine vierköpfige Familie bei einem Brandanschlag ihr Leben verlor: Der mutmaßliche Anschlag von Solingen 2024, bei dem eine rechtsextreme Ideologie des Täters gut nachgezeichnet werden kann.

In Wuppertal steht derzeit ein Mann wegen eines tödlichen Wohnhausbrands vor Gericht, bei dem im März 2024 eine bulgarisch-stämmige Familie in Solingen ums Leben kam – darunter zwei kleine Kinder. Ursprünglich wurde ein rassistisches Motiv ausgeschlossen, doch im laufenden Prozess kamen über 160 digitale Beweisstücke mit NS-Symbolik, Hassbotschaften und Gewaltfantasien gegen Migrant*innen ans Licht. Diese Bilder sind grausam, rassistisch, menschenverachtend und rechtsextrem. Außerdem wurden mehrere Hitler- und NS-Bücher sowie eine Schallplatte – die eine „vollständige Tonaufnahme der Reichstagssitzung über den siegreichen Frankreich-Feldzug“ – bei dem Angeklagten, der die Tat bereits gestanden hat, gefunden.

Dass diese beschlagnahmten Dateien überhaupt ausgewertet wurden und Gegenstand der Verhandlung waren, geht allerdings lediglich auf einen Antrag der engagierten Nebenklageanwältin Seda Başay-Yıldız zurück, nicht etwa auf die Ermittler*innen selbst. Ebendieser Umstand veranlasst Başay-Yıldız auch dazu, von „Vertuschung“ zu sprechen. Trotzdem hält die Staatsanwaltschaft bislang weiterhin daran fest, es gebe keine schlüssigen Hinweise für die Zuschreibung eines rechtsextremen Tatmotivs.

Rassismus ist für Betroffene allgegenwärtig und besonders für Schwarze und PoC spürbar

In Deutschland mehren sich derzeit rassistische Gewalt­verbrechen, bei denen ein rassistisches Motiv eine zentrale Rolle spielt. In einem Umfeld, in der die rechtsextreme AfD die größte Opposition ist, fühlen sich Täter*innen bestärkt, ihre Ideologie der Ungleichwertigkeit von Leben auszuüben. Immer häufiger sind auch Kinder von der Gewalt betroffen:

Grevesmühlen, Juni 2024: Zwei ghanaische Mädchen, acht und zehn Jahre, wurden in Grevesmühlen von einer Gruppe aus etwa 20 Jugendlichen attackiert und rassistisch beleidigt. Dem jüngeren Mädchen sollen die Angreifer unter anderem ins Gesicht getreten haben. Als die Eltern der Kinder dazu kamen, wurden auch sie angegriffen.

Magdeburg, Dezember 2024: Ein 13-jähriger Schüler mit syrischer Familiengeschichte wurde in einem Fahrstuhl von einem Mann rassistisch beleidigt, am Aussteigen gehindert und in einen Würgegriff genommen. Der Angreifer äußerte, der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt sei „wegen Menschen wie ihm“ passiert, dokumentiert die Mobile Opferberatung Sachsen-Anhalt.

Cottbus, September 2023: Ein 12-jähriger syrischer Schüler wurde von einem Lehrer so schwer verletzt, dass er stationär behandelt werden musste. Zunächst soll der Lehrer den Schüler mit der Hand in den Nacken geschlagen haben. Der Lehrer forderte das Kind auf, mit dem Weinen aufzuhören, und habe anschließend mit dem Knie einen Tisch gegen den Brustkorb des Jungen gedrückt. Diagnostiziert wurden ein schmerzhaftes Halswirbelsäulen-Schleudertrauma, eine schmerzbedingte Bewegungseinschränkung und eine Prellung des Brustkorbs.

Diese Vorfälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Und dennoch verdeutlichen sie das Ausmaß rassistischer und rechter Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Täglich ereignen sich ähnliche Vorfälle, die jedoch nie an die Öffentlichkeit gelangen.

Rassistische Gewalt gegen Kinder hat bereits dramatische Ausmaße angenommen

Die aktuellen Zahlen zeichnen ein alarmierendes Bild: Laut den Verband für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) verdoppelte sich die Anzahl rassistisch motivierter Angriffe auf Kinder und Jugendliche in nur einem Jahr – von 288 Fällen im Jahr 2021 auf 520 im Jahr 2022. Und der Trend setzt sich fort: Für 2024 meldete der VBRG 697 Gewalttaten gegen Minderjährige, ein Anstieg von rund 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr, und spricht von einem „erschreckend hohen Niveau“, vor allem wenn man die Dunkelziffer hinzurechnet. Täglich kommt es in Deutschland zu bis zu fünf rassistisch motivierten Angriffen.

Die jüngsten Fälle zeigen das Ausmaß rechter Gewalt. Täter*innen gehen zunehmend auch brutal gegen Kinder vor. Während Kinder einen besonderen Schutz in der Gesellschaft erfahren müssten, sind sie zunehmend rassistischen Attacken ausgesetzt. Dass sich Täter*innen an Schwarzen- und Kindern of Color vergehen, verdeutlicht, dass sie das Leben rassifizierter Menschen, auch von Kindern, nicht schätzen und als nicht so wertvoll erachten wie das von weißen Kindern.

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