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Wenn Mutti dem Siegfried den Heimatschutz predigt

Rechtsextremer Alltag ist mehr als Gewalt und NPD-Geschrei: Er umfasst eine ideologisch aufgeladene Lebenswelt und ist gesellschaftlich oft erstaunlich akzeptiert. Gerade deshalb ist es verdienstvoll, die verschiedenen Facetten rechtsextremen Alltags in Reportagen zu beschreiben. Dies tun Astrid Geisler und Christoph Schultheis in ihrem Buch „Heile Welten“.

 

Es gibt Zeitungsmeldungen zum Thema Rechtsextremismus, die den Leser oder die Leserin mit vielen Fragen zurücklassen. Wie kann das sein, dass eine NPD-Mutti überall ein und aus gehen kann, ohne dass Menschen sich die ganze Zeit mit ihr streiten? Wie kann es „Reichsbürger“ geben, die sich irgendwo in Brandenburg aufs Land setzen und sich von Deutschland lossagen – und wie reagiert ihre Umgebung auf sie? Warum gibt es eigentlich immer noch Richter, die es als Auseinandersetzungen unter Jugendlichen einschätzen, wenn Rechtsextreme sich Opfer suchen, die nicht in ihr Weltbild passen, um sie für ihr Leben zu schädigen? Die beiden Journalisten Astrid Geisler und Christoph Schultheis haben sich in ihrem Buch „Heile Welten. Rechter Alltag in Deutschland“ die Zeit genommen, die im Redaktionsalltag fehlt, und ein Lesebuch zum rechtsextremen Alltag verfasst. Sie haben sich interessante Geschichten der letzten Jahre vorgenommen und erzählen sie im Buch im Reportage-Stil, spannend und ausführlich, ergänzt durch weitergehende Recherchen.

Und so bekommt etwa Ines Schreiber eine Kontur – eine Frau aus Strehla, die Schlagzeilen machte als erste Rechtsextreme, der es gelungen war, sich seit 2009 in Riesa als Schöffin bei Gericht zu betätigen. Zugleich ist die Mutter von Siegfried und Heinrich aber vor allem in ihrer Gemeinde, der Schule ihrer Kinder und wie ihr Mann in der NPD engagiert. Geisler und Schultheis gelingt es im Porträt gut, sowohl das freundlich-treusorgende Engagement der Mutter wie auch deren unsägliche antidemokratisch-völkische Lebenseinstellung abzubilden. Es gehört zur Stärke des Buches, dass das Autorenteam sich oft vor Ort umschaut, beobachtet und beschreibt, wie es den Menschen dort geht und wie sie agieren, die Nicht-Rechten, aber auch die Rechten.

Im Kapitel darauf erzählt eine andere Mutter aus Süddeutschland von der Scham, einen Nazi-Sohn zu haben – und der Hilflosigkeit, damit umzugehen. Eine Betrachtung der mecklenburg-vorpommerschen Gemeinde Bargischow erläutert, wie sich dort Neonazis in gesellschaftlich relevante Positionen platzieren, um von dort aus echte oder so imaginierte „Gegner“ fertig zu machen. Auch Rechtsextremismus im Internet, die rassistische Islamfeindlichkeit der „PI News“ oder die Bemühungen des NPD-Pressesprechers, die „Feindpresse“ für die eigenen Ideen zu instrumentalisieren. Was selten direkt, nicht so selten aber inhaltlich gelingt, wenn Redaktionen selbst rassistisch oder skandalisierend berichten.

Was Astrid Geislers und Christoph Schultheis‘ Buch besonders macht, ist weniger spektakulär neuer Inhalt als die gute Lesbarkeit und der ruhige Ton, mit dem das Autorenteam sich seinem Thema nähert. So ist es gerade für Menschen geeignet, die sich erstmals näher mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzen möchten. Es ist zu wünschen, dass damit die Erkenntnis, dass es rechtsextreme Einstellungen auch gleich nebenan gibt und es deshalb im Alltag Not tut, sich demokratisch zu positionieren, immer mehr Menschen erreicht, ihre Aufmerksamkeit schärft und die Auseinandersetzung zum Umgang anregt.

Mehr im Internet:

| Blog zum Buch: heile-welten.de

| Gekürzter Vorabdruck des Kapitels zum Gerichtsprozess in Halberstadt (ZEIT)

| Und noch ein gekürzter Vorabdruck des Kapitels über Rechtsextremismus im Internet (taz)

| Und weitere Leseproben gibt es hier.

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