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Wer über Rassismuserfahrungen spricht, braucht die Solidarität aller

Es ist gut, über Rassismus zu reden. In Deutschland wurde das viel zu lange nicht getan. Oder viel zu wenig, viel zu abstrakt. So, als wäre Rassismus lediglich eine Vokabel aus dem Handbuch für politische Bildung, ein Wort, das engagierte Projekte charakterisiert, eine Floskel aus dem Arsenal von Demokratieprogrammen oder ein Kampfbegriff radikaler Gruppen, die Rassismus sagen, aber das System meinen und keine Menschen. Dass sich jetzt Menschen äußern, wie sich Rassismus anfühlt, wie sein hässliches Gesicht genau aussieht und was es mit einem macht, zeigt wie groß das Problem geworden ist. Und es zeigt auch, dass die Betroffenen die Hoffnung auf Solidarität haben.

 
Wenn alle etwas von der Schwere tragen könnten, die Menschen mit Rassismuserfahrungen mit sich rumschleppen, dann wäre es eine Erleichterung und ein Zeichen, dass wir hier und jetzt ganz genau wissen, worum es in Zukunft geht: Solidarität (Quelle: Flickr / Matthias Ripp / CC BY 2.0)

 

Ein Kommentar von Anetta Kahane

 

Kinder, die mit Rassismuserfahrungen aufwachsen, haben es schwer. Die Verletzungen, Herabsetzungen und Verunsicherungen prägen. Sie kleben ein Leben lang an einem fest. Das schlimmste daran ist, wenn dieses Leben lang andere Leute kommen und diese Erfahrungen einfach bestreiten. Manchmal sogar während sie sich gerade selbst verletzend benehmen. Nichts macht einen fassungsloser, wütender und lässt einen so sehr im Gefühl von Ohnmacht zurück, als wenn nach der Schilderung eines unbestreitbar demütigenden Moments jemand an dessen Substanz zweifelt oder diese höhnisch leugnet.

 

Menschen, die mit Rassismus aufgewachsen sind, kennen alle Spielarten der Verleugnung: von sanft über herablassend bis brutal. Sie alle verletzen mindestens noch einmal genauso, wie der rassistische Moment selbst. Denn die Vergewisserung, dass der Rassist das Problem ist und nicht der Betroffene, wird auf den Kopf gestellt. Damit können gerade Kinder schwer umgehen und sie werden zu Erwachsenen, die mit anderen Konflikten zu tun haben, als ihre Mainstreammitmenschen, die solche tiefe Verunsicherung einfach gar nicht kennen. Ich habe mir oft vorgestellt wie es wäre, diese Empfindlichkeit, die Last dieser Erfahrungen nicht tragen zu müssen. Es ist schwer, denn sie durchzieht alles, was das Leben an Impulsen bringt. Ob Rassismus oder Antisemitismus – wer damit aufwächst hat ein dickes, zusätzliches Gewicht im Lebensgepäck. Wie wäre es ohne dieses? Einfacher in jedem Fall, mit mehr Platz für Leichtigkeit jeglicher Art. Und wer das Privileg solcher Leichtigkeit hat, kann er überhaupt sehen, was andere zu tragen haben? Oder fühlt er sich nur gestört, wenn er damit konfrontiert wird?

 

Wer heute über Rassismuserfahrungen zu sprechen bereit ist, braucht dafür Mut. Denn bösartige Reaktionen folgen sofort. Wer darüber spricht, weiß das, riskiert also die Wiederholung dieser Erfahrung. Es trotzdem zu tun, es allen mitzuteilen, ist also eine Geste der Größe. Denn sie setzt trotz aller erlebten Frustrationen darauf, dass andere es hören, es aufnehmen und sich Gedanken darübermachen, wie es ist, so aufzuwachsen. Deshalb brauchen alle, die heute über Rassismus sprechen, den Schutz all jener, die solche Erfahrungen nicht machen mussten und derer, die auch das Gefühl kennen, nicht als Mensch, sondern als dreckiges Stereotyp gesehen zu werden.

 

Heute soll es nicht um die Täter gehen, nicht um die Rechtspopulisten, Nazis, Dumpfrassisten oder wen sonst noch. Über die reden wir schon genug. Heute geht es um Solidarität, um Schutz, um Empowerment. Wenn alle etwas von der Schwere tragen könnten, die Menschen mit Rassismuserfahrungen mit sich rumschleppen, dann wäre es eine Erleichterung und ein Zeichen, dass wir hier und jetzt ganz genau wissen, worum es in Zukunft geht: „You are my brothers keeper“ oder „Der Eine trage des anderen Last“. Das wäre gerecht.

 

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung (Quelle: AAS)

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