Wenn Anwältin Seda Başay-Yıldız abends zu ihrem Kind fährt, denke sie an die Familie Zhilov – daran, dass diese das nie wieder tun kann. Während alle anderen nach dem Prozess in ihren Alltag zurückkehrten, bliebe für die Überlebenden und Angehörigen alles unwiederbringlich zerstört. Başay-Yıldız schildert, was ihren Mandant*innen, Ayse und Nihat Kostadinchev, in der Tatnacht widerfahren ist. Sie überlebten mit ihrem damals sieben Monate alten Sohn Salih nur knapp. Weil keine Hilfe kam, mussten sie sich aus dem dritten Stock eines brennenden Hauses durch einen Sprung aus dem Fenster retten. Nihat Kostadinchev sprang mit dem Baby auf ein Auto. Alle drei überlebten schwer verletzt.
Die Prozessberichterstattung stammt von Adalet Solingen und wurde dort zuerst veröffentlicht.
Nihat Kostadinchev erlitt lebensbedrohliche Verletzungen und musste wochenlang künstlich beatmet werden. „Er hätte sterben können.“ Seine rechte Schulter ist bis heute unbeweglich, seinen Beruf als Dachdecker kann er nicht mehr ausüben. Ayse Kostadincheva erlitt Verbrennungen an neun Prozent der Körperoberfläche, auch sie wurde wochenlang in einer Spezialklinik behandelt. Selbst das Baby kam mit Brandverletzungen ins Krankenhaus. Neben den körperlichen Narben bleibe das psychische Trauma: Der Sprung ins Ungewisse, mit dem Wissen, dass sie nur knapp überlebt haben.
Die Familie Zhilovi war erst am 3. Februar 2024 nach Deutschland gekommen – mit dem Wunsch nach einem besseren Leben. Katya und die Kinder waren Kancho gefolgt, nachdem er in Solingen Arbeit gefunden hatte. Laut den Eltern waren es „so liebenswerte und gute Menschen“, voller Lebensfreude, schildert Başay-Yıldız. Sie wollten ein drittes Kind – nach zwei Töchtern sollte es ein Junge werden. Deutschland war für sie ein „perfektes Land“. Ein Neubeginn, voller Möglichkeiten. Die Realität sei zu einem Albtraum geworden. Başay-Yıldız erinnert daran, dass solche Taten nicht im Umfeld von Gericht, Staatsanwaltschaft oder Verteidigung geschehen. „Unsere Häuser werden nicht in Brand gesteckt.“ Deutschland sei eines der sichersten Länder der Welt – „aber nicht für jeden.“
Auch das Leben der Hinterbliebenen sei zerstört worden. Niemand wolle sich vorstellen, was es heißt, tagelang auf Nachricht von den eigenen Kindern und Enkelkindern zu warten – um dann vom grausamen Tod zu erfahren. Zeugen hätten berichtet, wie die Menschen im Dachgeschoss um ihr Leben schrien. Einer habe dabei geweint: „Er hört die Schreie immer noch.“ Was Katya und Kancho in diesen Minuten gefühlt haben müssen, während ihre Kinder starben und niemand zur Hilfe kam, sei unvorstellbar. Der Tod sei nicht schnell, sondern schmerzhaft gewesen. Die Feuerwehrstation war nur eine Minute entfernt – und doch konnte sie niemanden retten.
Die Frage, warum der Einsatz so lange dauerte, sei berechtigt gewesen, betont Başay-Yıldız. Der Einsatzleiter der Feuerwehr sei vom Gericht in Schutz genommen worden, als diese Frage aufkam. Dabei habe die Feuerwehr kein einziges Leben retten können. Alle Überlebenden retteten sich selbst. Die Familie Zhilov starb, die Familie Kostadinchev sei gesprungen. Die Angehörigen hätten ein Recht darauf, dass auch unbequeme Fragen gestellt werden. „Sie haben alles verloren. Und sie haben ein Recht auf Antworten.“
Am ersten Verhandlungstag am 21. Januar 2025 wandte sich der Vorsitzende Richter Kötter laut Başay-Yıldız an die Angehörigen – mit der Bitte, ruhig zu bleiben und den Ablauf nicht zu stören. Sie kritisiert das scharf: Die Angehörigen seien aus Bulgarien angereist, nachdem sie ihre Kinder und Enkelkinder auf brutalste Weise verloren hatten – und das Erste, was sie hören, sei eine ermahnende Maßregelung, „ohne einen einzigen Grund“. Dabei hätten sich die Familien bis heute vorbildlich verhalten.
Die Mütter haben leise geweint, um den Ablauf der Verhandlung nicht zu stören. Die Väter schauten den Angeklagten stumm an, um etwas zu verstehen, das nicht zu begreifen ist. Niemand könne diesen Schmerz nachempfinden. Dennoch seien die Familien respektvoll geblieben. „Hätten Sie das in anderen Verfahren genauso gemacht, Herr Vorsitzender?“, fragt Başay-Yıldız.
Sie erinnert an eine Staatsanwältin in einem früheren Verfahren, die sagte, ihr Ziel sei es, den Opfern und Angehörigen Gehör und Gerechtigkeit zu verschaffen. Hier aber sei jeder Antrag der Nebenklage zurückgewiesen worden. Laut ihrer Kollegin Frau Groß-Bölting, die sie im 20. Prozesstermin vertreten hatte, habe die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer geäußert, wenn die Opfer nicht selbst die Türen geöffnet hätten, wäre vielleicht Rettung möglich gewesen. Başay-Yıldız nennt das zynisch: „Na wunderbar. Selbst schuld also.“ Und fügt hinzu: „Menschenverachtender geht es nicht.“
Das Wort „Gerechtigkeit“ prange auf den T-Shirts der Angehörigen – „Adalet“. Vor Gericht, sagt sie, bekomme man vielleicht Recht – aber keine Gerechtigkeit. Die gebe es in keinem Land der Welt. „Gerecht wäre es, wenn man den Familien ihre Kinder und Enkelkinder zurückgeben könnte.“ Das könne niemand. Aber was möglich sei, sei Aufklärung. Das sei das Mindeste – in einem Rechtsstaat. Deutschland sei ein Land, in dem man andere Länder kritisiere, wenn sie Urteile nicht respektieren. Ein Land mit unabhängigen Medien – aber das sei kein Selbstläufer. Der Rechtsstaat müsse immer wieder verteidigt werden: „gegen Populisten, gegen Extremisten“. Er sei für alle da – auch für die, die ihn ablehnen.
Und ja, auch der Angeklagte habe Anspruch auf ein faires Verfahren. Doch das gelte ebenso für die Opfer. Es gehe hier nicht nur um strafrechtliche Verantwortung, sondern um Menschenleben und rechtsstaatliche Prinzipien. Was sie als Nebenklage in diesem Verfahren getan hat, sei eigentlich selbstverständlich gewesen: sorgfältig arbeiten, Akten lesen, den Sachverhalt aufklären – insbesondere, wenn es um Menschenleben geht. Doch was hier geschehen sei, lasse sich damit nicht vergleichen. Die polizeilichen Ermittlungen seien von der Staatsanwaltschaft öffentlich gelobt worden, während kritische Medienberichte als einseitig abgetan wurden. Dabei spreche der Verlauf der Ermittlungen eine andere Sprache.
Başay-Yıldız hebt hervor, dass sie in anderen Verfahren die Arbeit der Ermittler durchaus anerkannt habe – sogar dann, wenn sie letztlich zu keinem Ergebnis geführt hätten. Doch in diesem Fall sei die Arbeit der Ermittlungsbehörden „weit davon entfernt“ gewesen, rechtsstaatlichen Maßstäben zu genügen. „Das, was hier passiert ist, darf sich nicht wiederholen“, betont sie. Es gehe um die Grundfesten eines rechtsstaatlichen Verfahrens.
Sie rekonstruiert nun die ersten Schritte nach der Festnahme des Angeklagten am 8. April 2024. An drei Tagen wurde das Wohnhaus durchsucht – einschließlich der Garage, des Kellers und einer leerstehenden Wohnung im zweiten Obergeschoss. In dieser Wohnung fanden sich leere Tabakboxen der Sorte, die auch bei den Brandanschlägen verwendet worden waren. Dennoch wurden keine DNA-Spuren oder Fingerabdrücke gesichert – und die Boxen nicht sichergestellt. Politisch einschlägiges Material wurde zwar aufgefunden, aber auf den zur Akte gereichten Fotos fehlte es. Jemand hatte wohl entschieden, diese Beweise nicht zu dokumentieren.
Am 10. April 2024, nur zwei Tage nach der Festnahme, hätten der Polizeipräsident Röhrl und der zuständige Staatsanwalt öffentlich erklärt, es gebe „kein rassistisches Motiv“. Zu diesem Zeitpunkt seien die Durchsuchungen noch nicht abgeschlossen gewesen. Dass man sich so früh festlegte, sei schwer nachvollziehbar. Auch erwähnte niemand, dass in dem Haus unter anderem Hitlers „Mein Kampf“ gefunden worden war. Eine Erklärung, diese Bücher seien dem Vater des Angeklagten zuzuordnen, sei ausgeblieben und die Information ganz weggelassen.
Diese Fotos mit eindeutig rechtsextremen Inhalten wurden laut Başay-Yıldız erst auf Druck der Nebenklage – und fast ein Jahr später – zur Akte genommen. Dass das Urteil ursprünglich bereits für den 14. März 2025 angesetzt war, mache das besonders brisant. In der Garage befand sich zudem ein an die Wand geheftetes Plakat mit dem sog. „Lied eines Asylbewerbers“, das laut Başay-Yıldız den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Auch davon existieren Fotos – allerdings ohne Nahaufnahme, sodass der Text unleserlich bleibe.
Ein polizeilicher Vermerk vom April 2024, der vom Innenministerium über eine andere Polizeibehörde mehrfach an die Staatsanwaltschaft Wuppertal übermittelt wurde, wurde ebenfalls zurückgehalten. Erst auf wiederholte Nachfrage wurde er schließlich ans Gericht weitergeleitet. In diesem Vermerk war ursprünglich vermerkt worden, dass es sich um eine rassistische Tat handle, dass eine „tiefe Verbundenheit mit rechtem Gedankengut“ vorliege und dass das gefundene Material dem Angeklagten und seinem Vater zuzuordnen sei. Diese Passagen wurden handschriftlich durchgestrichen – von Ermittler*innen, die, wie Başay-Yıldız betont, selbst nicht vor Ort gewesen seien.
Trotz Unterschrift durch zwei hochrangige Mitarbeitende wurde behauptet, der*die Beamt*in, die die Einstufung als rechts durchgeführt hatte, habe „keine Ahnung“ und ihre Einschätzung sei nicht glaubwürdig. Das Ministerium habe sogar angeboten, das LKA NRW – Abteilung Staatsschutz und Terrorismusbekämpfung – zur Unterstützung hinzuzuziehen. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal habe aber alles abgelehnt.
Sechs Monate nach der Tat habe die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Als Motiv wurde ein Jahre zurückliegender Streit mit einer früheren Vermieterin angeführt – einer Frau, die nicht einmal in dem betroffenen Haus in der Grünewalder Straße lebte. Obwohl die Motivlage nach eigener Aussage „unklar“ sei und zahlreiche digitale Datenträger beim Angeklagten gefunden wurden, unterließ man deren Auswertung. Weder wurden die Handyclouds noch andere Speicherinhalte systematisch untersucht. Für Basay-Yildiz ein gravierendes Versäumnis: „Ich habe noch nie erlebt, dass bei einem solchen Tatgeschehen keine Datenträger ausgewertet werden.“
Auch Nachbar*innen wurden nicht befragt. Eine Nachbarin meldete sich ein Jahr später von sich aus bei der Polizei – vorher hatte sich niemand für ihre Beobachtungen interessiert. Erst als die Nebenklage auf entsprechende Hinweise gedrängt habe, nahm das Gericht die Auswertung der Datenträger vor. Dabei fanden sich zahlreiche antisemitische, rassistische und rechtsextreme Inhalte. Dennoch stellte sich die Staatsanwaltschaft gegen eine weitere Inaugenscheinnahme – trotz der zunächst unklaren Motivlage.
Ein besonders belastender Fund: 166 Bilder mit menschenverachtendem Inhalt, gespeichert auf einer Festplatte, die der Lebensgefährtin des Angeklagten gehöre. Diese habe aber erklärt, sich weder an die Bilder noch an deren Herkunft erinnern zu können. Der angebliche Bekannte, der sie aufgespielt haben soll, habe sich ebenfalls an nichts Konkretes erinnern können – weder an die Bilder noch an den genauen Kontakt. Dass die Festplatte an das DJ-Pult des Angeklagten angeschlossen war, blieb unbeachtet.
Başay-Yıldız sagt: „Also die Hitler-Bücher gehören dem Vater. Die 166 Bilder sind auf einer Festplatte der Lebensgefährtin. Und der Angeklagte hatte mit nichts davon etwas zu tun“, fasst Basay-Yildiz ironisch zusammen. Besonders kritisch sei auch, dass die Behörden keine Meldung über den kleinen Waffenschein des Vaters machten, dem ja die NS-Devotionalien gehören sollten – trotz öffentlicher Debatte um die Entwaffnung von Rechtsextremen.
Ein zentraler Punkt der Nebenklage: Ein früherer Brandanschlag in der Normannenstraße in Wuppertal am 5. Januar 2022, bei dem Menschen über die Drehleiter gerettet werden mussten. Erst durch Recherchen der Nebenklage sei bekannt geworden, dass die damalige Lebensgefährtin des Angeklagten dort wohnte – ebenso wie ein marokkanischer Nachbar, mit dem es laut Zeugen mehrfach Streit gab.
Auch hier sei die polizeiliche Aufarbeitung mangelhaft gewesen. Die Akte umfasse gerade einmal 20 Seiten, davon 12 mit Fotos. Keine der betroffenen Personen sei vernommen worden, es gäbe keine Ermittlungen zu etwaigen Krankenhausaufenthalten, keinen Brandsachverständigen, keine Spurensicherung. Das Verfahren sei nach einem Monat eingestellt worden – angeblich Kabelbrand.
Ein nachträglich eingeholter Gutachter habe selbst 3 Jahre später binnen wenigen Minuten jedoch festgestellt, dass keinerlei Hinweise auf einen Kabelbrand vorlagen – sehr wohl aber auf eine vorsätzliche Brandstiftung. „Wie viel ist Ihnen ein Menschenleben wert?“, fragt Başay-Yıldız. Hätten die Behörden damals sorgfältig gearbeitet, so ihre Überzeugung, wäre der Angeklagte längst in Haft gewesen – und die Opfer von Solingen würden noch leben.
Başay-Yıldız betont, dass man die strukturellen Probleme in der Bewertung rechter Gewalt nicht ignorieren dürfe. Die Täter von heute trügen keine Bomberjacken mehr, liefen nicht mit Springerstiefeln durch die Straßen. Es seien keine auffälligen Neonazis – sondern Männer, die sich gewählt ausdrücken, höflich grüßen und dennoch tief in rassistische oder antisemitische Ideologien verstrickt sind. Diese Normalisierung sei gefährlich.
Das Gericht habe während der Beweisaufnahme vor allem gefragt, ob der Angeklagte je an einer extremistischen Demonstration teilgenommen oder durch radikale Aktivitäten aufgefallen sei. Doch Başay-Yıldız verweist auf andere bekannte Fälle: Der Attentäter von Hanau war nie durch rechtsextreme Aktivitäten aufgefallen. Auch der Attentäter von Halle nicht, ebenso wenig der Täter des rassistischen Anschlags im Münchner Olympia-Einkaufszentrum. Sie alle hatten kein Vorstrafenregister im Bereich politischer Kriminalität – und dennoch töteten sie aus rassistischen Motiven.
Die rechtliche Bewertung solcher Taten berücksichtige längst, dass Täter mehrere Motive gleichzeitig haben könnten – etwa persönliche Frustration in Verbindung mit rassistischer Ideologie. In der Praxis zeige sich: Gerade Täter ohne äußere Radikalität seien oft besonders gefährlich, weil sie unterschätzt würden.
Başay-Yıldız kritisiert, dass die Beurteilung der politischen Dimension der Tat in diesem Verfahren dem Staatsschutz Wuppertal überlassen wurde – jener Dienststelle, die Fotos mit rechtsextremem Material nicht zur Akte nahm, relevante Vermerke manipulierte und entlastende Narrative stützte. Sie zitiert exemplarisch KHK Böttcher vom Staatsschutz, der auf einen Chat des Angeklagten vom 30. Dezember 2021 angesprochen wurde, in dem dieser von „Kanaken“ schrieb. Böttcher habe dies relativiert: „Ich gehöre einer Generation an, wo wir den Begriff Kanake benutzt haben, und deswegen sind wir nicht gleich rechts.“
Auch die Auswertung der gefundenen 166 rechtsextremen Bilder auf der Festplatte wurde verharmlost. Böttcher erklärte, solche Inhalte hätte „jeder Siebtklässler“ auf dem Handy – daraus könne man keine Gesinnung ableiten. Dabei habe der Angeklagte auch einschlägige Seiten besucht, etwa das rechtsextreme Medium Compact TV, wo er unter anderem ein Musikvideo mit dem Titel „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ ansah. Dennoch wurde auch dieses Verhalten von Böttcher nicht als Beleg für eine politische Haltung gewertet.
Ein Wehrmachtslied von 1940, das der Angeklagte auf YouTube aufgerufen hatte, habe Böttcher als „zeitgemäßen Schlager“ bewertet. Auch das Lied „Erika“, komponiert von einem NSDAP-Mitglied, sei laut seiner Einschätzung ein „normales Volkslied“. Weitere NS-Marschlieder, die der Angeklagte anhörte, zeigten laut Böttcher lediglich „geschichtliches Interesse“. Sogar ein wiederholtes Anhören des erwähnten Liedes mit rassistischem Inhalt – „Deutschland den Deutschen“ – reiche nicht aus, um ideologische Nähe zum Rechtsextremismus festzustellen.
Die Google-Suchen des Angeklagten, darunter „Adolf Hitler Briefmarke“ oder „Baranowitschi“ – ein Ort, an dem 9.000 Jüdinnen und Juden ermordet wurden – seien ebenfalls nicht weiter berücksichtigt worden. Böttcher habe wiederholt erklärt, es handle sich um „sporadisches Interesse“, das nicht auf eine gefestigte rechte Gesinnung schließen lasse.
Başay-Yıldız widerspricht deutlich: In anderen Verfahren – etwa gegen Islamisten – werde solche Häufung einschlägiger Inhalte völlig anders bewertet. Niemand käme dort auf die Idee, einen IS-nahen Telegramkanal als harmloses Interesse an Nahost-Politik zu deuten. „Warum ruft jemand solche Inhalte immer und immer wieder auf?“, fragt sie. Und sie stellt die Frage, welche Art von Expertise im Staatsschutz Wuppertal vorhanden sei, wenn solche Relativierungen die Norm darstellten. „Was für Leute arbeiten hier beim Staatsschutz?“ Die Bewertung rechter Inhalte durch diese Ermittlungsstelle sei weder objektiv noch sachkundig erfolgt – ein unabhängiger Blick, etwa durch das LKA NRW, sei verweigert worden.
Sie würdigt, dass das Gericht immerhin einige Auswertungen veranlasst habe – rechtlich sei es sogar dazu verpflichtet. Aber dass es keine sachverständige Stellungnahme zu den digitalen Funden einholte, sei aus Sicht der Nebenklage ein schweres Versäumnis. In Staatsschutzverfahren zu islamistischen Taten sei es üblich, Gutachter wie Dr. Steinberg hinzuzuziehen, die politische Ideologien und Radikalisierungsprozesse einordnen könnten.
Die Bundesgerichtshof-Rechtsprechung sei in dieser Frage eindeutig: Wenn verschiedene Motive denkbar sind, müsse das Tatgericht sie alle in die Würdigung einbeziehen. „Kommen bei der Prüfung der niedrigen Beweggründe verschiedene möglicherweise zusammenwirkende Motive des Täters in Betracht (Motivbündel), hat das Tatgericht sämtliche Elemente in seine Würdigung einzubeziehen“, zitiert sie sinngemäß.
Für Basay-Yildiz ist das rassistische Motiv offensichtlich – gerade in Kombination mit den anderen Faktoren:
- Alle Getöteten und Verletzten hatten einen Migrationshintergrund.
- Es gab einen früheren Brandanschlag auf das Haus eines marokkanischen Nachbarn.
- Auch mit italienischen Nachbarn gab es Streitigkeiten.
- Die digitale Auswertung ergab massives Interesse an rassistischer und antisemitischer Propaganda.
„Wer immer und immer wieder auf rechtsextremen Portalen ‚Deutschland den Deutschen – Ausländer raus‘ hört, tut das nicht aus Zufall.“
Zudem kritisiert sie die Glaubwürdigkeit der Aussagen von Frau Breuer und der früheren Lebensgefährtin des Angeklagten. Beide bestritten, dass der Angeklagte eine politische Haltung gehabt habe. Doch aus Sicht der Nebenklage sei klar: Er habe ein Doppelleben geführt. „Beide Frauen hätten dem Angeklagten niemals zugetraut, Menschen zu töten.“ Und dennoch stehe er heute wegen vierfachen Mordes vor Gericht.
Breuer schreibe ihm aus der Untersuchungshaft Briefe, in denen es kein Wort des Mitgefühls für die Opfer gebe – dafür aber Zusicherungen ewiger Loyalität. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Tatgeschehen fehle vollständig. „Auf diese Aussagen kann man nun wirklich gar nichts geben“, so Başay-Yıldız. Der Angeklagte sei laut Gutachten Prof. Faustmanns „kaltherzig und gefährlich“. Ihre Schlussfolgerung: „Er gehört für immer weggesperrt.“ Er habe sogar danach gegoogelt, wie man eine Bombe baue. Was wäre als Nächstes gekommen?
Zum Schluss betont Başay-Yıldız, dass sie keine weiteren Anträge stelle – aber das Gericht dennoch dringend auffordere, sich zu fragen, ob es nicht zumindest eine Stellungnahme des LKA-Staatsschutzes zur politischen Einordnung der Tat brauche. Sollte das Gericht ein rassistisches Motiv verneinen, müsse es dafür tragfähige Gründe liefern. Ansonsten schließt sich die Nebenklage der Forderung der Staatsanwaltschaft an: lebenslange Freiheitsstrafe und Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.
Plädoyer des Pflichtverteidigers Marc Françoise
Die Verteidigung beginnt ihre Plädoyers damit, dass der erste Verteidiger sagt, man habe sich das Plädoyer aufgeteilt, woraufhin er auf die einzelnen Taten eingeht, beginnt mit dem Branden der Grünewalder Straße 2024. Generell wird gesagt, dass man sich der Staatsanwaltschaft tatbestandsmäßig anschließen würde. Die Mordmerkmale, die dort genannt wurden, seien gegeben und es gäbe keine Anhaltspunkte für eine Schuldunfähigkeit. So wird von einer Gemeingefährlichkeit und dem Tötungsvorsatz gesprochen. Noch einmal ausdrücklich gesagt, dass der Tötungsvorsatz auch gegeben war. Der Brandsachverständige wird zitiert, dass durch die Brandlegung im Flur der Fluchtweg verschlossen war.
Auch in der Verteidigung denke man, dass von Daniel S. Tote billigend in Kauf genommen wurden. Hier ist also der Eventualvorsatz gegeben. Hier möchte der erste Verteidiger in Ergänzung zum Staatsanwalt noch einmal klar machen, dass dieser Eventualvorsatz auch wegen der vorherigen am ebenfalls in dem Haus in der Grünewalder Straße geschehenen versuchten Brandstiftung gegeben ist. Auch Françoise kommt dazu, dass der Beschuldigte vollumfänglich schuldfähig ist und nach der Betrachtung aller wesentlichen Taten und Stände sich der Staatsanwaltschaft anzuschließen wäre.
Er sagt: „So kann man das so und so betrachten, was mögliche Minderungsgründe beträfe“. Der zweite Brand, den er betrachtet, ist der Brand in der Grünewalder Straße von 2022. Auch hier zitiert er den Brandsachverständigen. Auch hier räumt er den Tötungsvorsatz ein. Und auch hier bestätigt er die vollumfängliche Schuldfähigkeit des Angeklagten. Die Brandlegung in der Josefstraße geht er ähnlich an. Auch hier zitiert er den Brandsachverständigen und weist auf die Gefährdung, auch für ein sich Ausbreiten des Feuers auf die Umgebung an, wie auf der Grünewalder Straße. Generell sagt er, die Bedingungen wären ähnlich gegeben wie auf der Grünewalder Straße. Da zwei bis drei Liter Vergaserkraftstoff genutzt wurden.
Zuletzt geht er auf den Machetenangriff auf René S. ein und plädiert hier dafür, es als versuchten Totschlag zu verurteilen und nicht als versuchten Mord. Woraufhin er auf den Ablauf der Tat eingeht. Die Schläge der Machete hätten lebensbedrohliche Verletzungen hinzugefügt. Es sei aber spätestens mit dem zweiten Schlag nicht mehr damit zu rechnen gewesen, dass das Opfer arglos gewesen sei. Das bloße Ablassen vom Opfer, wie es geschehen ist, reiche nicht als Wertung eines Rücktritts von der Tat aus. Allerdings gibt er zu bedenken, dass das Motiv der Heimtücke hier vielleicht nicht gegeben sei, da eben zum Zeitpunkt der Bedrohung das Opfer nicht mehr arglos gewesen ist, wie oben schon zitiert. Nach dem Einsatz des Pfeffersprays sei es zu einer Zäsur gekommen, bevor die Machetenschläge einsetzten. Der Täter habe das Spray falschherum gehalten und sich somit selbst getroffen. Deshalb habe er einen Moment gebraucht, um die Machete aus seinem Rucksack zu holen und dadurch sei es zu einer Zeitverzögerung gekommen ist. Und spätestens in diesem Moment habe keine situative Unbedarftheit des Opfers mehr geherrscht. Dass René S. den Angriff als anlasslos und „aus dem Nichts“ beschrieben hat, stünde dem entgegen. Er sagt zum Schluss, die Strafe dafür steht im Gesetzbogen: „da brauchen wir nicht darum herumreden.“ Die besondere Schwere der Schuld sieht er auch gegeben und das Maß, um diese zu bewerten, sei schon deutlich überschritten. „Jetzt kann man groß und breit darüber diskutieren, wie der Angeklagte zu den Taten steht“, aber „die Schwere ist aber erwiesen und belastend“.
Dann geht er auf das Gutachten von Dr. Faustmann an und sagt, nachdem er Ausführungen aus diesem zitiert hat, das höre sich zunächst einmal philosophisch an. Aber der Angeklagte habe die Straftaten begangen, um andere zu erniedrigen und dadurch seinen eigenen Selbstwert zu erhöhen. Anhaltspunkte für eine Spezialisierung auf einen bestimmten Typ destruktiven Verhaltens, nämlich den der Brandstiftung, seien gegeben. Deswegen stufe auch er den Täter als gemeingefährlich ein: „davon müssen wir hier auch ausgehen und diese Feststellung akzeptieren“. Ein weiteres Motiv für die Tat verneine der Täter.
Hier sagt der Verteidiger, „es gibt eben viele Möglichkeiten der Radikalisierung“. Und dann führt er aus, dass es eben diese Rechtsradikalen gäbe, die mit Springerstiefeln durch die Straße liefen. Und dann gäbe es noch die innere Radikalisierung, die Başay-Yıldız erwähnt hatte. Er sagt, „das wäre das Einzige, was bei Daniel S. in Betracht kommt“. Aber eine Radikalisierung würde, so sagt er, mit einem über die Zeit sich steigernden Interesse und einer sich steigernden Auseinandersetzung mit „rechtsradikalem Material“ einhergehen. Es würde einer langsamen Steigerung folgend und irgendwann in eine so intensive Beschäftigung münden „dass man es übernimmt“. Dabei verweist er auf die Aussagen des psychiatrischen Gutachters Prof. Faustmann.
Aus Alltags- und Lebensbeziehungen gäbe es keine Anhaltspunkte für eine „stille Radikalisierung“. Dabei bezieht er sich auf die Aussagen der Lebensgefährtin des Täters. Dann geht er auf die Doppelleben-These der Nebenklageanwältin ein und sagt, wenn dem so gewesen wäre, dann hätte er nicht, wie Başay-Yıldız gesagt hätte, die Festplatte seiner Freundin für seine rechten Materialien genutzt, wenn er dieses Doppelleben hätte aufrechterhalten wollen. (*Anmerkung: Hier stellt sich natürlich die Frage, inwiefern Waffen, etliche Benzinkanister und Materialien für Brandsätze im gemeinsamen Keller nicht ohnehin eine Art von Doppelleben darstellen, die bei diesen Ausführungen gänzlich außer Acht gelassen werden.)
Dann geht er auf Daten im Handy bzw. auf der Festplatte ein und sagt, das sei alles ausgewertet worden. Er sagt „Es gab hier schlicht und ergreifend nichts zu finden“. Herr Professor Faustmann habe bestätigt, dass es eben nichts gewesen sei, was ihn davon überzeugt hätte, dass Daniel S. sich hier radikalisiert hätte. Es hätte also keine innere Radikalisierung stattgefunden: „das ist so.“ „Handlungsleitend ist schlicht und ergreifend die eigene Selbststabilisierung.“ Und Daniel S. habe keinen Wert darauf gelegt, woher die Opfer kamen.
Zum Verfahren:
Jetzt geht er nochmal auf den Brandanschlag in Solingen 1993 ein und sagt, dass auch die Nebenklageanwälte sich darauf bezogen haben. Und dass zu Beginn des Prozesses der Nebenklagevertreter Zingal gesagt hätte, dass der Brandanschlag einer der Beweggründe gewesen wäre, die ihn damals dazu geführt hätten, Jura zu studieren. Er spricht über Solingen und sagt, „das hat damals was mit unserer Stadt gemacht“ und „die Bürger unserer Stadt sind sehr sensibilisiert“ und deshalb hätte es ein berechtigtes, deutlich erhöhtes Interesse der Aufklärung gegeben und das habe dann auch dazu geführt, dass das „Engagement über ein normales hinausgeht“. Er spricht dann von einem „Umgang mit solchen Katastrophen“ und sagt „wir tragen besondere Verantwortung“. Er spricht mehrmals aus, dass es mehr als in anderen Verfahren eine hohe Aufmerksamkeit und eine hohe Verantwortung gäbe. Alle hätten ein Recht darauf, dass das Verfahren fair und konstruktiv geführt würde. Und dass der Verlauf des Verfahrens bis hin zum Urteil transparent nachvollzogen werden könne. Es gäbe ein Recht auf lückenlose Aufklärung.
Es sei aber kein „normales Verfahren gewesen“ und durch Başay-Yıldızs „Engagement“ seien die Ermittler gezwungen worden, erheblichen Aufwand zu betreiben. Er spricht über Başay-Yıldızs Engagement und sagt, das meine er ausdrücklich nicht despektierlich. Spätestens nach diesem „Tritt in den Hintern“, sei es bei der Polizei um „Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung“ gegangen – egal, um was es sich handle. Der Verdacht, der auch begründet gewesen wäre, hätte sich nicht bestätigt. Spätestens nach diesem „Tritt“ sei klar gewesen, dass es nichts zu vertuschen gegeben habe.
„Letztendlich haben Datenauswertungen und Zeugenaussagen ergeben, dass es da nichts gibt.“ Er merkt an, dass es ihn „persönlich“ störte, „wenn wir hier eine Zeugin haben, die erst mit der Presse spricht“. Und dann sagt, „Ja ich habe mit der Presse gesprochen, aber das habe ich gar nicht gesagt.“ (*Anmerkung: Hier ist festzustellen, dass Françoise bewusst oder unbewusst unterschiedliche Aussagen der Zeugin in Eins wirft. Die Nachbarin hatte nicht etwa in Bezug auf den Presseartikel zu Protokoll gegeben, falsch zitiert worden zu sein, sondern bei ihrer polizeilichen Aussage, bei der ein Staatsschutzbeamter den Satz frei hinzugefügt habe, sie denke, der Täter sei krank. Siehe den Bericht zur Sitzung des 25.7.25.)
Des weiterenkritisiert er Başay-Yıldız im Umgang mit den Ergebnissen der Ermittlungen, beispielsweise den Antrag, dass die Polizei Wuppertal die Ermittlungen zum Fall an eine unabhängige Dienststelle abgeben solle. Er bezieht sich kritisch auf eine antifaschistische Demonstration in der Wuppertaler-Normannenstraße am vergangenen Samstag – worauf genau, wird allerdings aus seinen Ausführungen nicht deutlich. Weiter sagt er „Da werden 14.000 Aktivitäten über einen Zeitraum von zehn Jahren ausgewertet.“ und führt aus, das müsse man sich gerade mal bei der AfD vor Augen halten. (*Anmerkung: Hier meint er, dass man eine Google-Suche nach der AfD bei den Auswertungen von Daniel S. Online-Aktivitäten entdeckt hat.) „jeder Vierte Vollidiot hat die AfD gewählt“, das spräche dafür, dass es viele gäbe, die sich für sie interessieren: „Wenn man dann davon ausgeht, dass jeder, der bei der AfD mal anklickt, ein Rechtsradikaler ist, dann haben wir hier bald 40 Millionen Rechtsradikale.“ Er sagt auch, jeder der, „sich den ganzen Mist bei denen auf der Webseite mal angucken möchte“, kann ja nicht ein Nazi sein. Er geht auf die Ermittlungsbehörden ein und die Betrachtung, wie sie durch die Nebenklage geführt wurde, und spricht wortwörtlich von einer Fantasie, was Täterschaft und Motiv betrifft, der Tür und Tor geöffnet worden sei. „Ich könnte jetzt überspitzt sagen, da mache ich mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ In Richtung der Kammer lobt er die „Gelassenheit der Kammer“ und drückt aus, dass zu Beginn des Prozesses durchaus offen herangegangen wäre. Richter Kötter habe wortwörtlich gesagt hätte, „Wir schauen mal, wir wollen hier alle Beweise auf dem Tisch haben und nehmen uns die Zeit, das auch zu tun“, was eben geschehen sei, inklusive der Vernehmung weiterer Zeug*innen für die man seitens der Kammer offen gewesen sei.
Und zu Recht sei eine Vielzahl von Anhaltspunkten für eine rechte Motivation genannt, aber nichts von dem sei unmittelbar, sondern nur mittelbar auf den Angeklagten zurückzuführen. Er spricht noch einmal vom Gutachten des Professor Dr. Faustmann und seiner „eindrucksvollen Darlegung“. Er sagt, dass es „nicht den geringsten begründeten Zweifel“ gäbe. „Was bei dem Ganzen völlig aus dem Blick geraten ist“ sei das Geständnis von Daniel S., das dieser im „vollen Bewusstsein darüber, lebenslang zu bekommen“ abgelegt habe, weil er Klarheit schaffen wollte, weil er Verantwortung übernehmen wolle.
„Was wäre denn gewesen, wenn er das nicht getan hätte“, das sei für die Angehörigen doch furchtbar gewesen. Dann wären ständig „Bekloppte gekommen“ und hätten „hier und da noch was gefunden“. Er endet: „Wenn er tatsächlich fremdenfeindlich gehandelt hätte, warum hätte er das nicht auch zu geben sollen.“ und übergibt an den Wahlverteidiger von Daniel S.
Plädoyer des Wahlverteidigers Jochen Ohliger
„Rechts sein oder nicht sein“ mit diesem Zitat beginnt der gebürtige Solinger Jochen Ohliger sein Plädoyer. Im Plädoyer der Nebenklagevertreter*innen habe man viel Richtiges gehört, was bereits den Medien zugespielt worden sei. Er spricht von einer gezielten „Kampagne“ und es sei zu einseitig „die Nummer gewählt worden: Das ist ein rechtes Ferkel und das hat der nur gemacht, weil er fremdenfeindlich ist.“ Und weiter: „Wir richten über alle möglichen Bösen aber am Ende nicht über den Mandanten.“ Ohliger sagt weiter, dass die Kritik an Ermittlungen für den Verteidiger für gewöhnlich angenehm sei, dieses Mal sei es aber „erstklassig unangenehm“ gewesen.
Er spricht auch davon, dass er jetzt eine „Medienschelte“ austeilen würde. Und geht dann mit großen und vielen Worten darauf ein, dass er geschaut hätte, heute Morgen noch einmal, was auf der Banderole vor dem Gerichtssaal stehen würde, wessen Namen da eigentlich erwähnt wären. Ob da auf einmal die Staatsanwaltschaft, der Staatsschutz, die Polizei oder sonst wer angegeben wären. Und sagt dann: Nein, da steht der Mandant, da steht also der Name seines Mandanten und sonst niemand, sonst säße hier niemand auf der Anklagebank.
Dann kommt er „zu dem Punkt der Ermittlungsschelte“. Es sei „erstklassig unangenehm“ gewesen, dass nicht gut bzw. nicht von Anfang an gut ermittelt worden sei. Zwar lobte er überschwänglich die Arbeit der Polizei, die Daniel S. anhand von Videoaufzeichnungen mit schlechter Qualität identifizieren konnte, doch er führte ironisch aus, dass in dem weiteren Vorgehen „auf dem Weg zum Kriminalistik-Preis Deutschland in Gold“ doch einiges verloren gegangen wäre.
Das, was Staatsanwalt Bona in seinem Plädoyer „Arbeitsfehler“ genannt hätte, bezeichne er als „Schlamperei“. Und Başay-Yıldız habe hier eine Intrige gesponnen. Über seinen Mandanten sagt er, dass sich im Gerichtsverfahren zunächst herauskristallisiert habe, „aber eigentlich ist das doch ein ganz netter Bursche“. Eine Hetzkampagne sei losgegangen und in der Gruppe der Beschuldigten, „hätte doch eigentlich nur der Herr Reul gefehlt“. Die Arbeit der Polizei oder der polizeilichen Ermittlungen bezeichnet er zunächst auch als „Schlamperei“. Und bevor man sich jetzt nun selbst auf die Schulter klopfe, kann man schon sagen, dass Başay-Yıldız in dem Moment richtig gehandelt hätte als sie diese Schlamperei moniert hatte. „Bis hierhin, Hände schütteln, bravo.“ „Ein großes Bravo an die Polizei“: Aber „so richtig gebracht haben diese Nachermittlungen nichts. Und selbst wenn das damals gemacht worden wäre, wäre das Ergebnis trotzdem kein anderes.“
Er stellt noch mal die Frage: „rechts, ja oder nein?“ und sagt, bezogen auf Materialien mit „rechten Komponenten“, in dem Fall die rechtsextremen Holocaust-Memes, die auf einer Festplatte gefunden worden waren,: „Ich bin Anwalt auf dem Dorf und diese Bilder tauchen, so mies sie auch sind, tatsächlich auf jedem Schulhof auf.“ Er sagt, dass diese Memes und rechten Bilder, wie sie gefunden worden seien, auch bei Siebtklässlern auftauchten. Er zieht dann den Vergleich zu Kinderpornografie, denn auch bei Schulkindern fände man schon kinderpornografisches Material. Und auch diesen würde nicht unterstellt, dass diese Kinderpornografen seien. Er spricht von einem „Motto“ im Sinne von „Gebranntes Kind scheut das Feuer“. (*Anmerkung: An dieser Stelle können wir nicht anders, als Ohligers Statement als rhetorische Totalausfall zu bezeichnen. Insbesondere in Wortauswahl und -symbolik mit Blick darauf, dass es sich bei dem Fall um einen Brandanschlag (!) handelt, bei dem zwei Kinder und ihre Eltern ermordet wurden, vor deren Angehörigen und Überlebenden er spricht, ist Ohligers Plädoyer nichts als eine pietätlose Zumutung.)
Er spricht über einer „nebenherlaufende PR-Aktion, mit der Maßgabe, wir sensibilisieren jetzt mal alle dafür, dass es im Solingen nach 1993 immer noch rechte Ferkel gibt“. Und spricht davon, dass, „wenn nicht jetzt, wann dann, ein Urteil gesprochen wäre, in dem Fall der Frau mit den fünf toten Kindern, im vollen Strafmaß.“ Er bezieht dieses „wenn nicht jetzt, wann dann“ darauf, dass es in diesem Prozess gefallen sei. Und sagt, dass man es hier auch anwenden könnte. Und sagt dann: „Okay, hier waren es nur zwei tote Kinder – um es mal pervers zu sagen“.
Des Weiteren kommt es nun zu einer Täter-Opfer-Umkehr: Er sagt, Daniel S. könne man jetzt „weil er etwas so Schlimmes getan hat“ als „potenzielles Opfer“ einer Hetze nehmen. Hier könne jetzt „alles Eklige auf ihm abgeladen werden“. Und weiter „dann hat er verdammt nochmal das Recht dazu, dass sie feststellen, dass er nicht rechts ist.“ Hier spricht er von einem „Nazi Bohei“.
Danach geht er auf das Wort Kanacke ein. (*Anmerkung: Daniel S. hatte in einer Chat-Nachricht an Silvester 2023/2024 seiner Lebensgefährtin Jessica B. geschrieben, er hoffe, dass sich die „K*******“ mit Pollenböllern wegsprengen) Er sagt dazu, „Wenn man das Wort Kanacke googelt, ist das gar nicht so falsch“ Wenn man das mal googelt, finde man heraus, dass es in den 70er, 80er Jahren komplett gebräuchlich war und er es damals auch verwendet habe. Heute sei man erst dafür sensibilisiert. Das sei zu einer Zeit gewesen „Da durfte man auch noch Sarotti-Mohr sagen“. Er geht nochmal auf die Meme-Bilder ein und sagt, dass die Anzahl dieser im „Promille-Bereich“ gewesen sei.
Ohliger behauptet, dass andere Bilder nicht ausgewertet wurden, weil es nicht zu den Überlegungen passte. Auch über andere Indizien, die etwas anderes hätten nahelegen können, sei von Başay-Yıldız „drüber gehuddelt“ worden. Da es nicht in das Narrativ passe, seinen Mandanten hier als „rechtes Schwein“ zu bezeichnen. Im Folgenden geht er auf die Musiknutzung oder das Musiknutzungsverhalten des Angeklagten ein. Und sagt, dass die Benutzung der nachgewiesenen Musik völlig unproblematisch sei. Er spricht hier von Mumpitz. Er sagt, dass der „Schlager Erika“ völlig unbedenklich wäre. Und auch die andere Musik keine Bedenken hervorrufe. Die Bilder seien „widerlich keine Frage“ aber „die dem [Täter] zuordnen geht einfach nicht“. Häufiger setzt er an, weitere Ausführungen zu machen. Beziehungsweise sagt, dass der erste Verteidiger sich nicht an die Absprachen gehalten und das meiste schon gesagt habe. Gleichzeitig geht er dann aber wieder doch auf bestimmte Dinge ein, die er allerdings nur anreißt.
Er sagt im Folgenden, er könne sich jetzt auslassen zur Kleidung und zu Alpha Industries. Es gäbe ein Fotos, auf dem Daniel S. mit einem Pullover der Marke Alpha Industries zu sehen sei. Das Foto liege nicht in Farbe vor, wenn es Farbe vorläge, könne man aus Ohligers Sicht erkennen, dass man die Regenbogen-Farben im Pullover erkenne. Dazu sagt er: „Gerade die Queeren sind ja bekannt für Rechtsradikales“. Und macht sich dann noch darüber lustig, dass gerade die „Regenbogen-Gemeinde“, so wie er sagt, „ja überhaupt nichts Rechtes“ habe. Ironisierend sagt er in Bezug auf seine Unterstellung, Başay-Yıldız drehe sich Indizien so wie sie in ihre Argumentation passte: „die rechte Gemeinde habe ja eine Regenbogenflagge“. Nun geht er auf die Aussage des marokkanischen Nachbarn, des Angeklagten, beziehungsweise dessen Partnerin ein. „Ruma oder wie der hieß. Der hin und wieder mit einem Messer auf dem Flur steht.“ [*Anmerkung: Der Zeuge O. hat einen arabischen Nachnamen. Die Behauptung, er habe mit dem Messer vor dessen Tür gestanden stammt von Daniel S. Der Zeuge hat dies bei seiner Prozessaussage bestritten.] Dieser habe zu Protokoll gegeben, Daniel S. habe ihn mit „Leck mich am Arsch“ beschimpft. Ohliger sagt zu diesem „Leck mich am Arsch“, „das ist ja wohl mal ein rassistischer Ausdruck“, was er ironisch meint. Und sagt dann, „Hier hätte man ja wohl mal gut, du Kanacke, sagen können“ und meint damit seinen Mandanten Daniel S.
Dann spricht er über die sogenannte Reichspogromnacht vom 9. November. [*Anmerkung: Daniel S. hat den ersten Brandanschlag in der Grünewalderstraße am 9. November 2022 verübt, was Başay-Yıldız als Indiz für eine mögliche rechte Gesinnung gesehen hatte, da es in der rechten Szene nicht unüblich ist, sich auf nationalsozialistische Jahrestage zu beziehen] Ohliger sagt, dass dieses als Motiv „völlig an den Haaren herbeigezogen“ wäre. Ironisierend in Bezug auf Daniel S. und den Vorwurf rechter Gesinnung: „wir haben da einen, dem kann man das zur Last legen.“ Das sei ein Klassiker einer Situation, in der man jemanden hätte „der sich nicht mehr wehren kann“, um dem dann „richtig einen reinzuwürgen.“ Er sagt des Weiteren, wenn dem denn so gewesen wäre, dass der 9.11. gezielt als Tatzeitpunkt ausgewählt worden wäre „Aufgrund dieser rassistischen Implikationen, dieser nationalsozialistisch-ideologischen Implikationen“, „dann hätte der Täter ja auch warten können bis zum 28.05.“ um das Haus anzuzünden. Und sagt das mit den Worten „am 28.05., da hätte man ja wunderbar das Haus anzünden können.“ Womit er sich auf den Brandanschlag 1993 bezieht.
Dann geht er darauf ein, dass der Vater des Angeklagten zu einem Zeitpunkt, als „das hier alles noch nicht zur Debatte stand, die Beamten in die Wohnung lässt und darauf verweist, offen und öffentlich, dass es sich hier um seine Wohnung handelt“. Ohliger geht dann darauf ein, dass in dieser Wohnung besagte Bücher gefunden worden wären. Und sagt dann, „der reine Besitz von diesen Schmähschriften ist straflos“. Die Argumentation, man sei hier auf dem, „rechten Auge blind“, ließe sich nicht halten. Es fehlten die „aktuellen Bezüge zu Rassismus und Antisemitismus“ und „alles andere sei hier auszuschließen“, beziehungsweise „gar nicht erst aufgetaucht“. „Wenn ich hingehe und nur das dann zitiere, was mir passt – das geht nicht“.
Deshalb er sagt, dass sein Mandant keinerlei rechte Gesinnung habe. Es sei im Gegenteil, „unsauber“. Ohliger selber habe sich nicht weiter mit diesen Dingen auseinandergesetzt, betont aber sehr deutlich und sehr laut, das hat aber der Staatsschutz. (*Anmerkung: Zwischendurch ironisiert er immer stärker und redet sich nahezu in Rage. Während er anfangs noch zwischendurch auf sein Blatt geguckt hat, redet er jetzt völlig frei. Was auch daran deutlich wird, dass er immer mehr auch seine Stimme dazu einsetzt, bestimmte Sachverhalte zu radikalisieren. Auch sagt er wiederholt so etwas wie Hallo und zieht das O dabei sehr lang.)
Über seinen Mandanten sagt er in diesem ironisierenden Ton, „der hat böse Sachen gemacht“. Dann erzählt er mit Bezug auf die Aussage der Nachbarin, dass Daniel S. NS-Musik beim Arbeiten im Garten gehört habe und diesen ihr gegenüber glorifiziert: Er selbst, also Ohliger, habe neulich auf einem Schützenfest in seiner Nachbarschaft gehört, wie Marschmusik abgespielt worden sei und sagt ironisierend, „da habe ich doch gleich den Staatsschutz eingeschaltet“. Dann spricht er noch einmal darüber, dass er das Lied Erika gehört habe, was er vorher nicht gekannt habe „oder ,Das Lied mit der roten Fahne‘ auch so ein Klassiker aus dem Dritten Reich.“ (*Anmerkung: Mit Letzterem meint er vermutlich das „Horst-Wessel-Lied“ / „Kampflied der Nationalsozialisten“, was ebenfalls im Zuge der Nachermittlungen gefunden worden war. Aus dem Liedtext: „Und höher und höher und höher, Wir steigen trotz Haß und Verbot. Und jeder SA Mann ruft mutig : Heil Hitler ! Wir stürzen den jüdischen Thron !“) Laut Ohliger sei „Erika“ völlig unbedenklich. Und sagt dazu wortwörtlich, „das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“.
Er geht nochmal auf die These ein bzw. die Dualität zwischen offenem Rechtsextremismus und stiller Radikalisierung im Rechtsextremismus, zitiert den psychiatrischen Gutachter Professor Faustmann. Und geht auch nochmals darauf ein, dass Başay-Yıldız gesagt habe, dass es hier an einem Sachverständigen gefehlt habe. Und dass in Prozessen gegen IS oder vermeintliche IS-Täter*nnen immer ein Sachverständiger zitiert würde. Hier sagt er, dass der Staatsschutzbeamter Thomas Böttcher zusammen mit Innenminister Herbert Reul deutlich gemacht habe, dass hier alles getan worden wäre. Und mit Bezug auf den Staatsschutz sagt er, „dass hier einfach keine Äußerung gemacht werden konnte zu diesem Menschen hinter mir“ und verweist dabei auf den Angeklagten Daniel S. Er geht nochmals ein auf den Brand in der Normannenstraße und Başay-Yıldız Einlassung dazu, dass wenn damals ermittelt worden wäre, oder zumindest in Ansätzen vernünftig ermittelt worden wäre, einiges hätte verhindert werden können. Hier sagt er wortwörtlich „Das ist ne Nummer von Nazi hätte hätte Fahrradkette“ und sagt dann, „auch wenn das in diesem Kontext vielleicht ein bisschen frech ist“. Er fragt, was denn danach passiert sei, wenn man denn ermittelt hätte. „Man hätte bei Null gestartet […] ohne Tatverdacht, der hätte dringend sein können“ Er sagt, dass im Vergleich zum heutigen Zeitpunkt die Wahrscheinlichkeit damals, wenn denn ermittelt worden wäre, relativ hoch wäre, dass Daniel S. nicht verhaftet worden wäre und sagt ironisierend „Wenn in der Normannenstraße richtig ermittelt worden wäre, dann hätte… hätte hätte Fahrradkette.“
Jetzt gibt er an, auf ein sogenanntes „Highlight“ einzugehen, nämlich auf „Die vielen Ausländer in der Josefstraße“ und „Da sollen irgendwo im Hinterhof Chinesen gewohnt haben“. (*Anmerkung: Zum Kontext: Bereits Staatsanwalt Bona hatte sich argumentativ darauf gestützt, dass Daniel S. nicht rassistisch sein könne, weil in dem Haus in der Josefstraße, auf das Daniel S. im Februar 2024 ebenfalls einen Brandanschlag begangen hatte, nur Menschen mit deutschen Namen leben) Ohliger lässt sich darüber aus, dass erst durch mehrfache Nachforschung überhaupt hätte herausgefunden werden können, dass vermeintlich in einem Nachbarhaus oder Hinterhaus Menschen asiatischer Herkunft hätten gewohnt haben können. Daraufhin macht er ein „Geständnis aus eigener Warte“, er sagt, dass auch er das Sylt-Video mit „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ bei „den bösen Rechten von Focus“ geschaut, also geklickt habe und ob er denn jetzt ein Rechter sei. „Wir verwursten hier nur das, was uns Freude macht“. In Bezug auf die Aussage eines Bewohners der Grünewalderstraße, Daniel S. sei immer freundlich und hilfsbereit ihm und seinem behinderten Vater gegenüber gewesen, sagt Ohliger ironisierend gegenüber Başay-Yıldız: „Aber ich möchte, dass die Gleichung aufgeht: Da sind vier Ausländer tot und deswegen ist der Täter ein Rechtsradikaler.“ Und weiter – bezogen auf Başay-Yıldızs Einlassung, dass die Täter in Hanau, Halle und München ebenfalls vorher nicht durch rechtsextreme Gesinnung aufgefallen waren – „Mag ja so sein, dass in Hanau und was weiß ich wo […]“ und pflichtet dann Staatsanwalt Bona bei, dass in der Gesamtheit ein rassistisches Motiv habe nicht belegt werden können. Zum beantragten Strafmaß stimmt er in allen Punkten zu, außer zu den rechtsextremen Motiven. Daniel S. solle nun verurteilt werden, aber nicht eben als Rechtsradikaler. Weiter sagt er, der Anschlag sei auch dann nicht rechtsradikal gewesen, wenn dort die Kreisgeschäftsstelle der AfD gewesen wäre, denn es hätte nichts mit den Menschen, die dort wohnten, zutun.
Daniel S.
Zum Abschluss spricht der Angeklagte ein abgelesenes, letztes Wort ein, wobei er einen entspannten und unemotionalen Eindruck macht. Einige Teile der Familie der Opfer verlassen zuvor den Gerichtssaal. Er liest von einem Zettel ab: „Durch mein Handeln habe ich unvorstellbares Leid erzeugt.“ und zählt auf Bruder, Sohn, Enkel, die getötet wurden. „Ich bin dafür verantwortlich, dass Ihnen alles genommen wurde.“ Er wünschte, er könne die Zeit zurückdrehen, was er nicht könne. „Was ich kann, ist zu sagen, dass es mir aufrichtig Leid tut.“


