
Vergangene Woche erschütterte ein politischer Tabubruch den Bundestag: Die CDU/CSU-Fraktion brachte einen symbolischen Antrag zu einer – teilweise nicht europarechtskonformen – Migrationspolitik ein und erhielt dafür nicht nur Unterstützung von der FDP, sondern auch entscheidende Stimmen der AfD. CDU-Chef Friedrich Merz behauptete zwar, seine Partei „schaue nicht nach rechts und links“, sondern vertrete nur ihre Inhalte. Doch Kritiker*innen sehen darin einen fundamentalen Bruch mit einem bisher gültigen Konsens im Bundestag: Rechtsextreme Kräfte dürfen nicht an zentralen Entscheidungsprozessen beteiligt werden.
Seit dem Einzug der AfD galt unter den demokratischen Fraktionen eine klare Regel: Keine Posten im Bundestagspräsidium für die Rechtsextremen, keine Ausschussvorsitze, keine faktische Zusammenarbeit. Das Verhalten der CDU in der letzten Woche stellt einen massiven Einschnitt dar. Die bewusste Einbindung von AfD-Stimmen zur Durchsetzung eigener Gesetzesinitiativen zeigt, dass Merz’ sogenannte Brandmauer nicht mehr existiert – sie wurde von ihm und seiner eigenen Partei eingerissen.
Seitdem gibt es einen breiten, außerparlamentarischen Protest: von der politischen Mitte bis hin zu Teilen der Kirchen, von zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Antifa.
Die löchrige Brandmauer in Ostdeutschland
Dabei ist, was vergangene Woche im Bundestag passierte, in Ostdeutschland längst Alltag. Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung zeigt, dass es seit 2019 in fast 500 Fällen Kooperationen zwischen der AfD und anderen Parteien in ostdeutschen Kommunen gab. In 62 Prozent der untersuchten Fälle stimmten CDU-Vertreter*innen gemeinsam mit der AfD.
Proteste in Ostdeutschland: Anti-Merz-Signal
Während sich die Proteste gegen den Abriss der Brandmauer bundesweit formieren, ist die Wut in Ostdeutschland besonders deutlich zu spüren. In Städten wie Leipzig, Dresden, Erfurt und Magdeburg gingen Tausende auf die Straße, um ein klares Signal an Friedrich Merz zu senden.
In Leipzig versammelten sich Demonstrierende unter dem Motto „Merz ist nicht Adenauer“, um deutlich zu machen, dass es nicht die CDU als Volkspartei ist, die sie ablehnen, sondern den opportunistischen Kurs ihres Vorsitzenden. In Dresden skandierten tausende Demonstrant*innen „Keine Deals mit der AfD – nicht in meinem Namen!“, während sich in Magdeburg eine ungewöhnliche Allianz aus Kirchenverbänden, Gewerkschaften und lokalen Unternehmer*innen formierte, um gegen die Aufweichung der Brandmauer zu protestieren.
Besonders in Thüringen, wo die CDU bereits mehrfach durch zweifelhafte Abstimmungen mit der AfD aufgefallen ist, zeigt sich, dass die Kritik keineswegs von vermeintlich linken Gruppen allein getragen wird. Auch langjährige CDU-Wähler*innen äußern offen ihren Unmut. Ein ehemaliger CDU-Ortsvorsitzender aus Jena erklärte laut Thüringer Allgemeine auf einer Kundgebung: „Ich habe diese Partei gewählt, weil sie für Stabilität und Demokratie stand. Was Merz hier macht, ist eine Schande für das Erbe unserer Partei.“
Diese Proteste zeigen: Es geht nicht um eine pauschale Ablehnung der CDU, sondern um die Verteidigung dessen, wofür sie historisch einmal stand. Das eigentliche Ziel der Demonstrationen ist nicht die Partei als Ganzes, sondern ihr Vorsitzender, der ihr historisches Erbe für Wahlkampf-Taktiererei opfert.
Trugschluss Rechtsruck
Der jüngste Kurswechsel der CDU wirft eine zentrale Frage auf: Führt ein harter Rechtsruck von konservativen Parteien in der Migrationspolitik dazu, die extreme Rechte zu schwächen – oder stärkt er sie nur weiter? Internationale Beispiele zeigen: Wer sich der extremen Rechten anbiedert, verliert.
In den Niederlanden rückte die rechtsliberale VVD nach rechts, um Geert Wilders’ PVV zu stoppen – und scheiterte. In Schweden übernahmen die Moderaten migrationspolitische Positionen der rechtsextremen Schwedendemokraten – und wurden überholt. In Österreich gewann Sebastian Kurz mit einem Rechtsruck die Wahl, doch die FPÖ ging gestärkt aus der Koalition hervor und dominiert heute die politische Landschaft. Die CDU begeht gerade denselben Fehler. Merz hofft, durch AfD-Stimmen eigene Anträge durchzubringen, doch in Wahrheit hilft er der AfD, sich als strategischer Machtfaktor zu etablieren.
Auch wissenschaftliche Studien renommierter Forscher, wie Daniel Ziblatt und Cas Mudde, zeigen, dass konservative Parteien langfristig scheitern, wenn sie sich der extremen Rechten annähern. Ziblatt argumentiert, dass stabile Demokratien starke, eigenständige konservative Parteien brauchen – wenn diese jedoch rechtsextreme Positionen übernehmen, verlieren sie ihr Profil, spalten sich intern und destabilisieren das politische System. Mudde zeigt, dass die Übernahme rechter Themen der extremen Rechten meist mehr nutzt als den Konservativen, weil sie als das „authentische Original“ wahrgenommen wird.
Eine Partei, die mit ihrem Feind paktiert
Dabei sollte die CDU erkennen, mit wem sie es zu tun hat. Die AfD betreibt keinen kurzfristigen Machtpoker – sie verfolgt ein klares Ziel: Sie will die CDU als konservative Kraft im Land vollständig ersetzen. Ihre Strategie ist brutal, rücksichtslos und langfristig angelegt.
In ihren Reden, Social-Media-Posts und Programmen inszeniert sie die Union als „Altpartei“, verantwortlich für „grüne Verbotsideologie“ und „Masseneinwanderung“ i. Während Merz glaubt, er könne die AfD taktisch nutzen, arbeitet diese gezielt daran, die CDU überflüssig zu machen.
Noch absurder wird dieser Kurs, wenn man betrachtet, wem die CDU damit faktisch hilft: Die AfD ist nicht nur eine rechtsextreme Partei, sondern auch eine politische Kraft, die in weiten Teilen offen Putins neoimperiale Interessen vertritt. Sie torpediert die deutsche Ukraine-Politik, verharmlost russische Kriegsverbrechen, fordert ein Ende der Sanktionen und hetzt gegen die NATO.
Dass ausgerechnet die CDU – die Partei Adenauers, die die Westbindung Deutschlands entscheidend geprägt hat – sich nun auf Stimmen einer Partei stützt, die den geopolitischen Interessen Moskaus dient, ist nicht nur politisch kurzsichtig, sondern historisch bizarr.
Der Missbrauch der Tragödie von Aschaffenburg
All dies geschieht unter dem Vorwand einer neuen Migrationspolitik, die als Reaktion auf die fürchterliche Messerattacke von Aschaffenburg verkauft wird. Doch in Wahrheit dient die aktuelle Debatte weniger einer ernsthaften Sicherheitsstrategie als vielmehr dem Versuch, Deutschland und Europa abzuriegeln – koste es, was es wolle.
Adenauer und Kohl haben die CDU als Partei der Verantwortung aufgebaut – einer Verantwortung für Europa, für demokratische Stabilität und für eine Politik, die aus dem Nationalsozialismus und der SED-Diktatur die richtigen Schlüsse zieht. Merz dagegen macht sie zum Spielball kurzfristiger Kampagnen. Wenn er diesen Kurs fortsetzt, wird er nicht nur seine eigene Partei zerstören, sondern auch die deutsche Demokratie in eine illiberale Zukunft führen.