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AfD-Medienstrategie aktuell am Beispiel Höcke und Meuthen

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Ach, AfD. Während Jörg Meuthen noch die Meinungsfreiheit feiert (angesichts des NPD-Verbotsverfahrens), will Björn Höcke schon vor Gericht ziehen, weil Interpretationen seiner Rede nicht seinen Ideen entsprechen. (Quelle: Collage NgN)

 

AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry schrieb in einer internen Mail, aus der der jouranlistische Branchendienst „Kress“ berichtete, zur Medienstrategie der AfD: „In vielen Wahlkampfveranstaltungen werde ich immer wieder von Mitgliedern und Sympathisanten gefragt, warum es zwischen der veröffentlichten Meinung zur AfD und unserem Auftreten bei Vorträgen und an Informationsständen Diskrepanzen gebe und ob es nicht ohne verbale Provokation einfacher wäre beim Bürger anzukommen. (…) In einer auf Zuspitzungen und Verkürzungen angelegten Medienlandschaft gehen differenzierte und sachlich formulierte Aussagen leicht unter. Dies trifft umso mehr zu, wenn der Platz, den uns die „Noch-Inhaber“ politischer Mehrheiten in diesen Medien zugestehen, nach wie vor limitiert ist. Um sich medial Gehör zu verschaffen, sind daher pointierte, teilweise provokante Aussagen unerlässlich. Sie erst räumen uns die notwendige Aufmerksamkeit und das mediale Zeitfenster ein, um uns in Folge sachkundig und ausführlicher darzustellen. Oder um es mit Konrad Adenauer zu sagen: „Machen Sie sich erst einmal unbeliebt, dann werden Sie auch ernstgenommen.“ 

Nun wollen wir einmal an zwei aktuellen Beispielen sehen: Wer hat Ihr gut zugehört? 

Fall 1: Björn Höcke spricht bei der „Jungen Alternative“ in Dresden 

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Schön intim: Von der Veranstaltung wurden Pressevertreter_innen ausgeschlossen.Trotzdem öffentlichkeitswirksam: Die Rede wurde im Livestream übertragen – von Jürgen Elsässers Magazin „Compact“, dass lange als Querfront-Publikation bezeichnet wurde, sich aber immer mehr zum Sprachrohr der Neuen Rechten in Deutschland mausert. Geschickt und zielgruppengerecht!

Wie wurde provoziert?

Höcke wählt ein neurechtes Top-Thema: Deutsche Geschichte (schließlich ist er ja auch beurlaubter Geschichtslehrer) und der „Schuld-Kult“ (was er so aber niemals sagen würde). 

Strategie: 1) Krasse Provokation unter Beifall der Zuhörer_innenschaft – 2) Zurückrudern der Bundes-Parteiführung – 3) Überraschung des Protagonisten über die Empörung und Uminterpretation.

1) So war es umgesetzt:

„Ich zeige Euch den langen, entbehrungsvollen Weg zum absoluten Sieg! Denn die AfD braucht den absoluten Sieg!““Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, dass sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner  Hauptstadt gepflanzt hat. Und anstatt unsere Schüler in unseren Schulen mit dieser Geschichte in Berührung zu bringen, wird die deutsche Geschichte mies und lächerlich gemacht. So kann es und so darf es nicht weitergehen.““Diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch viel mehr als zu Franz Josef Strauss‘ Zeiten. Wir brauchen nichts anderes als eine Erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.““Ich möchte, dass ihr euch im Dienst am Vaterland verzehrt! Ich möchte Euch als neue Preußen!“unter Jubel und „Volksverräter“-Rufen der Zuhörenden; Lutz Bachmann schreibt später auf Facebook: „Danke für eine grandiose Rede lieber Björn Höcke! (…) Björn Höcke, Du hast die Leute gehört, sie wollen Dich auf der Bühne! Du bist also herzlich eingeladen, bei PEGIDA zu sprechen, genau wie alle anderen AfD-ler!“

Wer Ausschnitte sehen möchte: BILD hat einen Zusammenschnitt der auf YouTube verfügbaren Rede.

Fazit:

NS-angelehnte Sprache, Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“, „dämliche Bewältigungspolitik“, die den Blick auf deutsche Geschichte „mies und lächerlich“ mache und eine „180-Grad-Wende“ brauche (was heißt das, in Zukunft Stolz auf den Holocaust?). Chapeau, das schafft nicht jeder in einer Stunde, da macht der AfD-Hardliner („Der Flügel“) seinem Ruf alle Ehre. Dazu gibt es die ulitmative Anbiederei: Er sei, trotz Wessi-Geburt, nun ein Ossi. Aha. 

2) Bundes-AfD rudert zurück:

„Zum wiederholten Male drückt sich Björn Höcke sehr missverständlich aus, um es vorsichtig zu formulieren. Zum wiederholten Male rührt er dabei mit größter Ignoranz an einer 12-jährigen Geschichtsepoche, deren Revision wahrlich nicht Aufgabe der AfD ist.“ (Markus Pretzell am 18.01.2017 auf Facebook) (aber: zugleich verteidigen, dass sich auf Einladung der AfD am Wochenende Marine LePen, Geert Wilders, Matteo Salvini, Harald Vilimsky und viele andere Rechtspopulist_innen nach Deutschland kommen).“Björn Höcke ist mit seinen Alleingängen und ständigen Querschüssen zu einer Belastung für die Partei geworden. Wir werden Realisten sein oder politisch irrelevant werden.“ Frauke Petry zur neurechten „Jungen Freiheit“, zitiert nach n-tv.

3) Höcke kommentiert in einem Facebook-Beitrag:

„Ich bin erstaunt über die Berichterstattung zu meiner Rede vom 17. Januar in Dresden. Angeblich soll ich dort das Holocaust-Gedenken der Deutschen kritisiert haben. Diese Auslegung ist eine bösartige und bewusst verleumdende Interpretation dessen, was ich tatsächlich gesagt habe. Wörtlich habe ich gesagt: ,Wir Deutschen sind das einzige Volk, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.‘ Das heißt, ich habe den Holocaust, also den von Deutschen verübten Völkermord an den Juden, als Schande für unser Volk bezeichnet. Und ich habe gesagt, dass wir Deutsche diesem auch heute noch unfassbaren Verbrechen, also dieser Schuld und der damit verbundenen Schande mitten in Berlin, ein Denkmal gesetzt haben. Was ist daran falsch?““In meiner Dresdner Rede ging es mir darum, zu hinterfragen, wie wir Deutschen auf unsere Geschichte zurückblicken und wie sie uns im 21. Jahrhundert identitätsstiftend sein kann. Zweifellos müssen wir uns in unserer Selbstvergewisserung der immensen Schuld bewusst sein. Sie ist ein Teil unserer Geschichte. Aber sie ist eben nur ein Teil unserer Geschichte.“

Oder, wie Politikwissenschaftlicher Andreas Kemper auf seinem Blog über Höckes doppeldeutige Rhetorik schön schreibt: „Ich möchte dies anhand eines unbearbeiteten Screenshots von Björn Höcke aus seiner Dresdner Rede als Dokumentation verdeutlichen. Ich hatte auf Twitter dazu geschrieben: „Björn Höcke hat einen Schatten“. Das ist eine korrekte Aussage. Unter der Nase von Björn zeichnet sich ein Schatten des Mikrofons ab. Alle Interpretationen dieser Tatsachenfeststellung weise ich mit Empörung zurück. Weder wollte ich damit ausdrücken, dass Herr Höcke einen an der Klatsche hat, noch wollte ich damit irgendwelche Hitler-Assoziationen erwecken. So funktioniert die AfD-Rhetorik.“

 

Fall 2: Jörg Meuthen (AfD-Bundessprecher, AfD BW) schreibt zum NPD-Verbot: „Demokratie braucht Meinungsfreiheit!“ 

Location-Check!

Die eigene Facebook-Seite. Hat immerhin rund 30.000 Fans. Eigentlich gut – aber heute zu leise wegen Björn Höcke. 

Wie wurde provoziert?

Auch hier ein Top-Thema für Rechtspopulist_innen: Die gefährdete Meinungsfreiheit! 

Strategie: 1) Der scheinbar sachliche Kommentar mit entlarvender Sprache. 

1) So wurde provoziert:

„Der Bundesrat als Antragsteller – und damit die in ihm vertretenen Repräsentanten der Kartellparteien – wird dies bedauern, im Ergebnis ist dieses Urteil aber eine Stärkung der Notwendigkeit des politischen Diskurses.““Diese Parteien haben es sich in unserem Staat außerordentlich gemütlich gemacht. Fundierte Auseinandersetzungen um Schicksalsfragen unseres Volkes: Fehlanzeige.““Stattdessen überlegt man sich, wie man unliebsamen Meinungen – zum Beispiel hier im Internet – zu Leibe rücken kann. Die aktuelle Diskussion um „fake news“ und „hate speech“ – warum eigentlich werden hierfür von unserer Regierung keine deutschen Wörter verwendet? – zeigt jedenfalls Tendenzen in diese äußerst bedenkliche Richtung.““Wir alle müssen in den nächsten Wochen ganz genau hinschauen, was die Regierenden (…) mit dem überaus wichtigen Gut der Meinungsfreiheit vorhaben. Hier gilt in aller Klarheit: Wehret den Anfängen – inhaltliche Auseinandersetzung geht nur mit Meinungsfreiheit, und ohne Meinungsfreiheit gibt es somit keine echte Demokratie mehr. Zeit, den Feinden der Meinungsfreiheit die Grenzen aufzuzeigen.“Beifall: Von 133 Accounts geteilt, darunter übrigens die AfD Südthüringen (die kennen solche Töne) und von Gruppen wie „Meinungsfreiheit statt Mimosenschutz“. Allerdings: Weder von der AfD Baden-Württemberg noch von der AfD Bund-Facebookseite geteilt. Obwohl es doch vom Chef ist.

Fazit:

Kartellparteien, ein „Volk“ mit Schicksalsfragen, Wehret dem Denglish und Einsatz gegen die Straftatbestände Volksverhetzung und Holocaustleugnung als Werk von „Feinden der Meinungsfreiheit“ – das würde die NPD so auch alles unterschreiben! Kann sie ja auch weiterhin, ist ja nicht verboten. Der „gemäßigte AfD-Flügel“ aus dem Westen holt auf! 

Allerdings gibt es bisher noch keine Reaktionen aus der Bundespartei (die Meuthen ja nun auch selbst als Bundessprecher repräsentiert, aber zumindest nicht allein), was zeigt, dass diese Provokation (bisher) zu leise war. 

Weitere Pointe übrigens: Das oben genannte Mitglied dieser Meinungsfreiheits-Partei, Björn Höcke, will nun gerichtlich gegen Presse vorgehen, die ihn anders verstehen als er selbst.

 

#tldr:

 Wer eine demokratische Partei sucht, die nicht mit Revisionismus und Schuld-Kult argumentiert und Meinungsfreiheit als Freiheit für alle Meinungen statt nur für die eigene versteht, muss über die AfD hinaus weitersuchen.

 

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

 

| Alternative für Deutschland

 

Auch gut: Analyse der AfD-Medienstrategie von „Extra 3“

 

 

Ergänzung, 23.01.2017

Am Montag, den 23.01.2017, debattiert der AfD-Bundesvorstand „intensiv“ über die Rede von Björn Höcke, nachdem ihm zuvor verschiedene Mitglieder des Bundesvorstandes bereits beigesprungen waren, wie Jörg Meuthen („Er sagt nichts Verwerfliches“, vgl. SWR, Welt) und Alexander Gauland (Höckes „Frage“ tauge nicht zum Skandal, Höcke habe „in keiner Weise“ Kritik am Holocaust geäußert, vgl. Märkische Online Zeitung). Das Ergebnis: Björn Höcke wird nicht aus der AfD ausgeschlossen, aber es werden nicht näher definierte „parteiliche Ordnungsmaßnahmen“ eingeleitet (vgl. Spiegel Online, Tagesspiegel).

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