Die Szene der rechtsextremen Jugendlichen und jungen Erwachsenen wächst bundesweit. Die Zahl der rechtsextremen Straftaten steigt seit Jahren, darunter Körperverletzungen, Propaganda im Internet, Angriffe auf CSDs, Jugendeinrichtungen und Unterkünfte für Geflüchtete. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) stellt fest, dass „deutliche Anzeichen für Frustration, Politikverdrossenheit und einen ‚Rechtsruck‘ bei einigen jungen Wähler*innen, insbesondere in Ostdeutschland und bei jungen Männern“ beständen.
Tatsächlich fallen bundesweit gewaltbereite junge Neonazis auf. Auch im Süden Deutschlands ist die Szene stark ausgeprägt, mit regionalen Gruppen wie dem „Störtrupp Süd“ in Baden-Württemberg oder dem „III. Weg“ in NRW und Sachsen-Anhalt. Mehrheitlich finden sich jedoch Gruppen in Ostdeutschland, wie die „Elblandrevolte“ in Sachsen, die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) und „Jung & Stark“ (JS) in Berlin und Brandenburg. Es gibt mehrere Gruppierungen, die um Mitglieder werben, wie der „III. Weg“, die Elblandrevolte oder die JN. Zwar haben die Gruppen gemeinsame Feindbilder, dennoch stehen sie teilweise in Konkurrenz zueinander, doch in der Praxis kooperieren sie häufig, insbesondere bei Angriffen auf Minderheiten oder bei Demonstrationen. Das rechtsextreme Klima in Deutschland ist spürbar, beeinflusst durch die langjährige Präsenz verschiedener rechtsextremer Gruppen und nicht zuletzt durch die Normalisierung rechtsextremer Narrative durch die AfD.
Was unterscheidet sie von anderen rechtsextremen Jugendgruppen?
Stilistisch unterscheiden sich diese jungen Neonazis von anderen Rechtsextremen, wie der Identitären Bewegung oder AfD vor allem im Auftreten. Während Neonazis oft durch militärisch anmutende Kleidung und offen nationalsozialistische Symbole auffallen, präsentiert sich die IB eher modern und jugendlich, mit einem „bürgertümlichen“ Habitus. Im Gegensatz zur IB sind die neu entstandenen rechtsextremen Jugendgruppen niedrigschwelliger – hier kann jede*r mitmachen, was die Szene breiter macht. Neben ihrer menschenfeindlichen Agenda teilen sie jedoch auch einen Männerüberschuss. Auch wenn rechtsextreme Frauen doppelt unsichtbar sein können, bleibt Rechtsextremismus doch ein männerdominiertes Feld.
Brennpunkt Lausitz
Besonders in der Lausitz wächst die Gefahr durch junge Rechtsextreme aktuell deutlich. Diese Gruppe ist gewaltbereit und trägt ihre Ideologie offen nach außen, was die Gesellschaft zunehmend unter Druck setzt. Besonders betroffen sind Menschen, die nicht in das Weltbild der Neonazis passen, wie beispielsweise queere Personen.
Eine aktuelle Reportage von rbb24 zeigt, wie rechte Jugendliche immer aktiver werden und versuchen, ihre radikalen Ansichten durchzusetzen. Ein Beispiel ist der Angriff auf das Jugendzentrum „Zelle 79“ in Cottbus, bei dem vermummte Täter Brandsätze warfen und „Adolf Hitler Hooligans“ riefen. Die Bedrohung ist deutlich spürbar. Auch Schutzräume für queere Jugendliche, wie das Regenbogenkombinat in Cottbus, sind Ziel von Angriffen. Überwachungskameras dokumentieren wiederholte Attacken, bei denen Regenbogenbanner abgerissen und mit schwulenfeindlichen Parolen und Hakenkreuzen beschmiert wurden. Christian Müller, Leiter des Regenbogenkombinats, berichtet, dass die Angriffe regelmäßig stattfinden. Die rechtsextreme Szene in der Lausitz ist besonders durch die Neonazi-Kleinstpartei der „III. Weg“ geprägt. In Spremberg hat sich jetzt die Bürgermeisterin zu Wort gemeldet und im Amtsblatt und Hauptausschuss die Dominanz der militanten Neonazis beklagt: „Aber eigentlich schon länger müssen wir uns alle fragen: Was ist hier los? Wo führt ‚Der Dritte Weg‘, den meine ich, mit Sachbeschädigung an öffentlichen Gebäuden, hin? Wer will hier in unserer Stadt das Sagen haben?”
Warum soviele junge Männer?
Die extreme Rechte thematisiert „Gender“ strategisch, indem sie an Vorstellungen von der Natürlichkeit zweier Geschlechter und der heteronormativen Ordnung anknüpft, die als Ausdruck eines vermeintlichen „gesunden Menschenverstands“ dargestellt werden. Sexismus, gewaltbezogene Männlichkeitsideale und Antifeminismus haben in Umfragen durchweg hohe Zustimmungswerte. Auch in der Mehrheitsgesellschaft sind Geschlechterverständnisse umstritten, wodurch Berührungspunkte mit extrem rechten Positionen entstehen, die Transfeindlichkeit und „Gender“ zu verbindenden Feindbildern machen und nicht zuletzt in Angriffen auf queere Menschen oder CSDs münden.
Die extreme Rechte mythologisiert Geschlecht sowie damit verknüpfte Alltagsauffassungen und Ressentiments. In ihrem Kulturkampf versucht sie, Alltagserfahrungen neu zu systematisieren und als totalitäres System einer „Gender-Ideologie“ zu framen, die angeblich die Geschlechter abschaffen oder die gesellschaftliche Ordnung zerstören wolle. Ein Beispiel dafür ist Aufklärungsunterricht an Schulen, die nicht nur von Rechtsextremen als „Frühsexualisierung” oder „Indoktrination” abgestempelt werden. „Geschlecht“ dient laut dem Kultur- und Medienwissenschaftler Simon Strick als Motor und öffentlichkeitswirksamer Generator von Krisen: Nehmen wir die Klimakrise oder andere gesamtgesellschaftliche Krisen als Beispiel. Egal ob Trump, Putin oder rechtsextreme Kräfte in Europa, sie landen immer wieder bei Sündenböcken, meistens Feminist*innen, die das eigentliche Problem darstellen würden und die Gesellschaft unterdrückten. Als Teil der Lösung tauchen dann in der Regel patriarchale und rechtskonservative Deutungsangebote für junge Männer und Frauen auf. Rechtsextreme Jugendliche verbinden ihre Ideologie oft mit traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit und Geschlechterrollen. Queerfeindlichkeit dient dabei als gemeinsamer Nenner, um Abgrenzung zu schaffen und ihre Weltanschauung zu festigen. Diese Einstellungen delegitimieren und diskreditieren selbstbestimmte Lebensformen und abweichende Identitäten.
Männlichkeitsbilder, insbesondere sogenannte Alpha-Männlichkeit und soldatische Männlichkeit, spielen eine zentrale Rolle im rechtsextremen Denken und Handeln. Rechtsextreme wie Björn Höcke oder Maximilian Krah setzen gezielt auf Männlichkeit, die „wiederentdeckt“ werden müsse, um „mannhaft“ und „wehrhaft“ zu werden. Diese Aussagen verdeutlichen, dass Männer im Rechtsextremismus als die einzigen Träger von Stärke und Schutz angesehen werden, die eine wahnhafte Bedrohung durch Feminismus, Demokratie und Einwanderung abwehren sollen: Die Feinde einer vermeintlich biologischen und sozialen Ordnung von Familie, Geschlecht und Nation, die es zu bewahren gilt. Die völkische und unveränderbare Vorstellung davon, wie ein Mann sein muss, ist extrem identitätsstiftend. Abweichungen von dieser Norm, etwa durch Trans- oder Queeridentitäten, werden als falsch, schwach und entgegen der sozialen Ordnung angesehen. Vor allem für rechtsextreme Männer scheint es eine Sicherheits- und Selbstwertquelle, sich in engen Rollenbildern zu verorten, die ihnen das Gefühl geben, an der Spitze der sozialen Hierarchie zu stehen – als „weißer, starker Mann“. Diese Männlichkeitsbilder sind stark autoritär geprägt und lehnen jegliche Form von Selbstbestimmung ab. Insgesamt dienen diese Vorstellungen der Rechtsextremen dazu, eine klare patriarchale Geschlechterordnung zu verteidigen, die auf Dominanz, Stärke und Ausschluss basiert. Nicht zuletzt ist dieses Verständnis von Männlichkeit und einer damit einhergehenden antifeministischen Queerfeindlichkeit sehr anschlussfähig für hegemoniale Männlichkeitsbilder in unserer Gesellschaft.
Die zunehmende Gewaltbereitschaft junger Rechtsextremer, insbesondere junger Männer, zeigt die tief verwurzelte Verbindung zwischen rechtsextremer Ideologie und traditionellen Männlichkeitsbildern wie Alpha- oder soldatischer Männlichkeit. Diese Ideale dienen als Sicherheits- und Selbstwertquellen, indem sie eine klare Geschlechterordnung und eine Abgrenzung zu abweichenden Lebensweisen, insbesondere Queer- und Transidentitäten, schaffen. Angesichts der wachsenden Szene und der zunehmenden Gewalt ist es entscheidend, gesellschaftliche Gegenstrategien zu entwickeln, um die Verbreitung rechtsextremer Narrative zu stoppen und diversere Geschlechterbilder zu fördern.


