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Antisemitische „LaRouche“-Sekte treibt jüdischen Studenten in den Tod – Behörden ermittelten nicht

Der Student Jeremiah Duggan wird 2003 in Wiesbaden überfahren. Für die deutschen Behörden ist schnell klar, dass es sich um Selbstmord handelt. Recherchen seiner Eltern deuten jedoch darauf hin, dass  Jeremiah von Mitgliedern der Politsekte „La-Rouche“ auf die Straße gehetzt und in den Tod getrieben wurde. Erst jetzt, 12 Jahre später, wird gegen zwei Verdächtige aus der „La-Rouche“-Umgebung ermittelt.

 
Das "Schiller-Institut" sowie die "Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo)" gehören zum internationalen Netzwerk des Verschwörungstheoretikers Lyndon La-Rouche. Die Tatverdächtigen im Fall Jeremiah Duggan sind Mitglieder dieser Polit-Sekte. (Quelle: Screenshot)

Am Morgen des 27. März 2003 wurde der 22-jährige jüdisch-britische Student Jeremiah Duggan tot auf einer Bundesstraße in Wiesbaden aufgefunden. Für die Polizei stand innerhalb kürzester Zeit fest, dass es sich um Selbstmord handeln musste. Doch warum in aller Welt sollte der junge Literaturstudent, der eigentlich gerade ein Auslandssemester an der Pariser Sorbonne verbrachte, zu früher Morgenstunde in Deutschland auf eine Schnellstraße springen?

Duggans Familie ermittelt selbst 

Das fragte sich auch seine Mutter Erica Duggan. Denn kurz vor dem mysteriösen Tod ihres Sohnes hatte dieser bei ihr angerufen und mit angsterfüllter Stimme um ihre Hilfe gebeten, dann brach das Gespräch ab. „Es war ein schreckliches Gespräch, weil er so voller Angst war. Er klang, als wäre sein Leben bedroht. Ich konnte das spüren. Ich konnte das hören und ich höre ihn immer noch“ klagt Erica Duggan. Trotz der Hinweise von Jeremiahs Mutter wurde der Todesfall von den deutschen Behörden als Suizid abgetan und nicht weiter verfolgt. Es wurde weder eine Obduktion durchgeführt noch wurden die Verletzungen ärztlich untersucht, um festzustellen, ob sie von einem Verkehrsunfall verursacht wurden. Damit konnte sich Familie Duggan nicht zufriedengeben und begann, selbst zu recherchieren und Zeug_innen ausfindig zu machen.

Der politikinteressierte Jeremiah wollte nur für einige Tage nach Deutschland reisen, um an einer Protestaktion gegen den Irak-Krieg am „Schiller-Institut“ teilzunehmen. Jeremiah war nicht bewusst, dass es sich beim „Schiller-Institut“, genau wie bei der französischen Gruppe „Nouvelle Solidarité“, durch die er zu dem Treffen gelangt war, um Organisationen der international vernetzten „La-Rouche“-Sekte handelte. Ebensowenig ahnte er, dass es gar nicht  um den Irak-Krieg, sondern um die Rekrutierung neuer Mitglieder gehen sollte. Er war in die Fänge eines Netzwerkes geraten, das nicht nur für seine Verschwörungstheorien gegen das britische Königshaus und gegen das Finanzsystem bekannt ist, sondern auch für seinen verschleierten Antisemitismus.

Jeremiah gerät in die Fänge der gefährlichen Polit-Sekte „La-Rouche“

Die „La-Rouche“-Sekte ist nach ihrem Gründer, dem 92-jährigen US-Amerikanischen Verschwörungstheoretiker Lyndon La-Rouche, benannt. In Deutschland fungieren die La-Rouchians unter den harmlos klingenden Decknamen „BüSo“ (Bürrechtsbewegung Solidarität) und „Schiller-Institut“. Das kultartige Netzwerk vertritt nach außen vermeintlich linke Ideen, wie die Kampagne gegen den Irak-Krieg, mit der auch Jeremiah angelockt wurde. Jedoch muss die Gruppe dem extrem rechten Spektrum zugeordnet werden, da ihre Lehre auf antibritischen und antisemitischen Verschwörungstheorien basiert.

Jeremiah nahm, wie auch die anderen Teilnehmer_innen der Konferenz, im Anschluss an einer Schulung in den Wiesbadener Räumen der „La-Rouche“-Sekte teil. Auf dieser Schulung sollte er nach Zeugenaussagen ursprünglich für die Polit-Sekte rekrutiert werden. Da er von der Gruppe massiv psychisch unter Druck gesetzt wurde, merkte er vermutlich bald, dass es sich nicht wie erwartet um eine linksgerichtete politische Gruppierung,  sondern um eine obskure, antisemitische Sekte handelte. Zeugen berichten, dass Jeremiah sich während des „Verhörs“ zum Judentum bekannte. Daraufhin beschuldigte  die Gruppe ihn als „Verräter“ und „Spion“.

Erst neun Jahre später wird der Fall wieder eröffnet 

Nicht die Polizei, sondern Mutter Erica Duggan brachte diese Informationen durch ihre persönlichen Ermittlungen ans Licht und bewegte so das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt dazu, den Fall neun Jahre später neu zu eröffnen. Obwohl nun auch das OLG zugab, dass es „keine Anknüpfungspunkte für einen Selbstmord gab und dass im Fall Jeremiah Duggan nicht ordnungsgemäß ermittelt wurde“ hat sich seit diesem Beschluss 2012 nicht viel getan. Der Rechtsanwalt der Familie Duggan, Serdar Kaya, kritisiert: „Die Staatsanwaltschaft ermittelt sehr schleppend – und es ist ausgerechnet der gleiche Polizeibeamte, der bereits 2003 für den Fall verantwortlich war, der abermals mit den Ermittlungen betraut wurde“.

Während sich die Ermittlungen der deutschen Behörden hinziehen, hat ein englisches Untersuchungsgericht für ungeklärte Todesfälle ermittelt und ist zu der Erkenntnis gekommen, dass Jeremiah zwar „tödliche Verletzungen bei der Kollision mit zwei Autos erlitten habe“, seine Leiche jedoch auch „eine Reihe von unerklärlichen Verletzungen“ aufweise, die darauf hindeuten, dass es „eine Auseinandersetzung vor seinem Tod“ gegeben habe. Außerdem sei davon auszugehen, so Richter Andrew Walker, dass Jeremiahs Bekenntnis zum Judentum ihn innerhalb der Sekte in große Gefahr gebracht hat.

Zwei Tatverdächtige sind nun im Visier der Polizei

Mittlerweile gibt es zwei Hauptverdächtige – einen Deutschen und einen Franzosen – die der „La-Rouche“-Sekte angehören. Sie stehen  im Verdacht, Jeremiah geschlagen und auf die Straße gehetzt zu haben. „Die La-Rouche-Sekte selbst wird jedoch nicht untersucht, da die Staatsanwaltschaft nicht gegen Körperschaften wie BüSo oder das Schiller-Institut ermitteln kann“, erklärt Rechtsanwalt Kaya, „das wäre dann Aufgabe des Verfassungsschutzes. Doch der beobachtet die Unterorganisationen der „La-Rouche“-Bewegung nicht.“

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