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BlueAnon Warum Verschwörungsideologien kein rechtes Monopol sind

Die Enttäuschung im demokratischen Lager über die zweite Amtszeit Donald Trumps lässt Verschwörungserzählungen entstehen, die die Welt erklärbar machen wollen, aber Fakten ignorieren und den Glauben an eine gemeinsame Realität dem Wohle einer alternativen Wirklichkeit opfern.

 
Symbolbild (Quelle: Shutterstock 2443980471 / canva)

Am 14. Juli 2022, gegen 12:40 Uhr, fällt eine Frau die Treppe hinab. Ihr lebloser Körper wird kurze Zeit später am Fuße der unteren Treppe ihres Townhouses in der East 64th Street in Manhattan gefunden. Todesursache ist stumpfe Gewalt gegen den Oberkörper, wird der Gerichtsmediziner festhalten. Es handelt sich um Ivana Trump, 73 Jahre alt, Ex-Frau von Donald J. Trump, Mutter von Donald Jr., Ivanka und Eric. Kaum ist die Todesmeldung öffentlich, begannen auf X – damals noch Twitter – und Reddit die Spekulationen und auch die Beerdigung auf Trumps Golfplatz wurde zum Thema.

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Dieser Tweet wirkt auf den ersten Blick wie ein sarkastischer Kommentar, der „bloß Fragen stellt“, doch strukturell folgt er dem klassischen Muster verschwörungsideologischer QAnon-Kommunikation. Von 2017 an entwickelte sich in den USA diese Verschwörungserzählung rundum entführte Kinder, ewige Jugend und den sogenannten Deep State, die auf anonymen und kryptischen Posts eines angeblichen Polit-Insiders beruht. Viele dieser Posts haben einen ähnlichen Aufbau:

  • Sie liefern vorgeblich einen faktischen Einstieg, der Autorität suggeriert, ohne Quellen zu zitieren.
  • Sie erzeugen Dringlichkeit durch suggestive Betonung von bspw. Großbuchstaben, um die Essenz einer Botschaft hervorzuheben.
  • Sie arbeiten mit rhetorischen Fragen, die keine Antwort suchen, sondern bewusst Zweifel sähen.
  • Sie provozieren durch implizite Anklagen („Was zur Hölle hat er in diesem Sarg“), die zwar nicht belegbar sind, dafür maximal aufgeladen.
  • Sie spielen mit Emotionen statt klarer Evidenz, wobei das Entscheidende daran ist nicht, ob es stimmt, sondern wie es sich anfühlt.

Was den Tweet und ähnliche verschwörungsideologische Social-Media-Inhalte interessant macht, ist nicht ihre faktische Substanz, sondern die Art und Weise, wie sie auf eine politische Realität reagieren, die als unerklärbar wahrgenommen wird.

Die Gründe dafür liegen auch in Donald Trumps erster Amtszeit. Schon kurz nach Trumps Amtsantritt 2017, begannen liberale und progressive Kreise in den USA, seinen Führungsstil mit verschwörungsideologischen Erklärungen zu deuten – und das lange, bevor sein autoritäres Verhalten zur festen Größe wurde: Trump als Werkzeug Russlands, als Frontfigur einer globalen Verschwörung, als Marionette einer unsichtbaren Kreml-Elite. Während sich das MAGA-Lager sichtbar radikalisiert, entsteht auf der Gegenseite parallel eine Rhetorik des Misstrauens, die ebenfalls zunehmend spekulativ operiert, nicht auf Basis von Fakten, sondern aus dem Gefühl heraus, dass die Welt nicht mehr mit rationalen Mitteln erklärbar sei. Denn Verschwörungsdenken ist kein exklusives Merkmal rechter Ideolog*innen, sondern auch Teil einer breiteren gesellschaftlichen Dynamik, in der Misstrauen gegenüber politischer Realität nicht durch direkte Ablehnung, sondern durch symbolische Neuinterpretation verarbeitet wird.

BlueAnon, bloß rechter Kampfbegriff?

„BlueAnon“ ist ursprünglich ein rechter Kampfbegriff, die angebliche progressive Version von QAnon. Die Farbe blau steht für die demokratische Partei. Erstmals prominent verwendet wurde der Begriff von Trump-Supportern wie der republikanischen Abgeordneten Marjorie Taylor Greene aus Georgia oder rechtspopulistischen MAGA-Moderator*innen wie Candace Owens. So wird von der Bedrohung durch QAnon-Radikalisierung abgelenkt, die politische Verantwortung für die reale Bedrohung durch QAnon verwässert und verschwörungsideologisches Handeln in demokratischen Kreisen verortet.

Screenshot
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Mit dem Schlagwort BlueAnon versuchten u. a. Marjorie Taylor Greene und Candace Owens, die Verantwortung umzudeuten: Nicht QAnon, sondern angeblich die US-Demokraten seien einer Verschwörungsideologie verfallen. Diese rhetorische Ablenkung hatte drei Monate nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, bei dem QAnon-Anhänger*innen maßgeblich beteiligt waren, eine besondere Funktion – sie sollte den Druck von QAnon nehmen und zugleich das Bild einer „beidseitigen“ Radikalität erzeugen.

Die Autorin Elke Wittich bezeichnet BlueAnon als das „QAnon der Demokraten“ – allerdings nicht wegen identischer Inhalte, sondern wegen struktureller Ähnlichkeiten im Umgang mit Wirklichkeitsverlust. So umfassen typische „BlueAnon“-Narrative Russiagate als Großverschwörung, der ehemalige FBI-Direktor James Comey oder der Sonderbeauftragte Robert Mueller als verdeckte Helden im Deep State, Todesfälle wie der von Ivana Trump oder aber am brisantesten Jeffrey Epstein als angeblich symbolische Morde des geheimen Kabals. Der Kern wirkt dabei nicht nur rein ideologisch, sondern strukturell sinnstiftend: Es geht um das Bedürfnis, eine aus den Fugen geratene Realität durch spekulative Sinnmuster wieder berechenbar und vor allem erklärbar zu machen. In einem zunehmend antidemokratischen Klima, in dem öffentliche Institutionen versagen und politische Gegner*innen als übermächtig erscheinen, wird die symbolische Ausdeutung zur Ersatzhandlung.

BlueAnon/QAnon – irgendwie doch gleich? 

Der Vergleich zwischen BlueAnon und QAnon ist politisch irreführend und schlichtweg analytisch unhaltbar. Es handelt sich um zwei grundverschiedene Phänomene mit abweichender Struktur, Reichweite und Radikalisierungstiefe. So ist QAnon eine international vernetzte, sektiererisch organisierte Bewegung, die sich durch Gewaltbereitschaft, ideologische Geschlossenheit und Kultdynamik auszeichnet. Hingegen ist BlueAnon ein diskursives Phänomen, das sich in sozialen Medien, Kommentarspalten und liberalen Öffentlichkeiten bewegt – oft demokratisch motiviert, wenn auch rhetorisch entgleist. Im Gegensatz zu QAnon zeichnet sich BlueAnon weder durch eine gewaltbereite Gefolgschaft, die im echten Leben Anschläge plant, noch durch ein starkes Zugehörigkeitsgefühl unter seinen Verbreiter*innen aus. Doch gerade dieser Unterschied wird von Akteur*innen wie Marjorie Taylor Greene oder der weiteren MAGA-Basis bewusst ignoriert. Der Begriff BlueAnon dient hier vor allem einem Zweck: Verantwortungsdiffusion. Wenn „die Anderen“ (politische Gegner*innen) angeblich ebenso verschwörungsideologisch aufgeladen sind, wie man selbst, erscheint das eigene Verhalten weniger extrem. QAnons wahnhafte Weltbilder werden dadurch normalisiert, indem die Debatte symmetrisch gemacht und damit gleichgesetzt wird.

Trotzdem lohnt es sich, BlueAnon ernst zu nehmen. Denn auch vermeintlich harmlose Verschwörungserzählungen sind wirkmächtig. Sie bieten attraktive Erklärungen in Zeiten politischer Enttäuschung, reduzieren Komplexität auf erkennbare Muster – Schuldige, Helden, verborgene Wahrheiten – und erzeugen damit affektive Kohärenz statt faktischer Präzision. BlueAnon ist nicht ungefährlich, da es auf Verschwörungsdenken setzt. Die Gefahr dieses Denkens liegt gerade darin, dass es sich häufig harmlos tarnt. Es beginnt dort, wo politische Enttäuschung in Dauerverdacht umschlägt, wo institutionelle Skepsis sich nicht mehr in Reformwillen äußert, sondern in Rückzug, Moralisierung und Generalmisstrauen. Die verschwörungsideologische Denkweise isoliert und unterwandert den Glauben an faktische Wirklichkeit und erzeugt das Gefühl: Ich bin der*die Einzige, der*die das Verborgene begreift und die Punkte verbindet. Für jemanden, der so denkt, wird Politik zur Bühne für geheime Botschaften statt rationaler Verhandlung, was Vertrauen durch Ahnung und Dialog durch Andeutung ersetzt. Genau in diesem Nährboden aus Enttäuschung, Frustration und institutioneller Ermüdung finden Phänomene wie BlueAnon ihren Ursprung.

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