
Björn Harms’ Buch „Der NGO -Komplex: Wie die Politik unser Steuergeld verprasst“ ist ein SPIEGEL-Bestseller – und das allein ist bemerkenswert. Denn inhaltlich bietet das Buch: wenig. Keine Enthüllungen, keine Verschwörungen, keine strukturelle Analyse. Stattdessen: Meinung, Polemik und Generalverdacht. Der Begriff „Komplex“ dient dabei nicht der Aufklärung, sondern der Dämonisierung – gemeint ist eine angeblich staatsnahe Zivilgesellschaft, die sich in Wahrheit schlicht für eine demokratische, offene Gesellschaft einsetzt.
Der Autor, Björn Harms, ist seit August 2023 „Chef vom Dienst“ beim Hetz-Portal Nius, des ehemaligen Bild-Chefs Julian Reichelt. Jenes Portal betreibt seit einigen Monaten eine Diffamierungskampagne gegen demokratische Institutionen und NGOs.
Die Amadeu Antonio Stiftung dient im Buch mehrfach als willkommener Stichwortgeber für vieles, was Harms diskreditieren will. Inhaltlich mag das ärgerlich sein – praktisch bedanken wir uns für den Traffic auf unserer Website.
Dass ein derart dünn belegtes, ideologisch aufgeladenes Werk Bestsellerstatus erreicht, wirft auch Fragen an das SPIEGEL-Ranking selbst auf. Wenn reine Verkaufszahlen zur Währung öffentlicher Relevanz werden, sollte der SPIEGEL dringend darüber nachdenken, wie interessant seine Bestsellerliste tatsächlich noch ist.
Kein Skandal, nirgends – nur Framing
Trotz der reißerischen Aufmachung enthält das Buch keine einzige substanziell neue Information. Harms behauptet viel und zieht pauschale Schlüsse. Beispielhaft zeigt sich das an seinen ausufernden Ausführungen über den vermeintlich „linken, aktivistischen und grenzenlosen Staat“, exemplarisch das Demokratiefördergesetz. Was in Wirklichkeit ein sachlich begründeter Rechtsrahmen für bestehende Förderpraxis ist – nämlich die Ermöglichung langfristiger Förderungen im Einklang mit der Bundeshaushaltsordnung –, deutet Harms als Machtinstrument um.
NGOs, so sein Vorwurf, wollten einfach nur „mehr Geld“. Dass viele dieser Organisationen seit Jahren unter prekären, projektbasierten Förderbedingungen arbeiten, interessiert ihn nicht. Für differenzierte rechtliche oder haushaltspolitische Einordnungen fehlt ihm entweder das Interesse – oder der Wille. Dass durch ein solches Gesetz weder eine automatische Förderung, noch ein Anrecht darauf ermöglicht wird, interessiert den Autoren nicht.
Der Ton und die Argumentationsweise erinnern dabei an parlamentarische Anfragen der AfD – mit einem entscheidenden Unterschied: Während dort die Hetze in vermeintlich „neutrale“ Fragen gekleidet wird, formuliert Harms seine Narrative als Warnung vor der „militanten Linken“, „Identitätspolitik“, „Denunziationsnetzwerken“, Trans- und „Klimanetzwerken“ sowie – natürlich – der „Asylindustrie“. Was in Anfragen als suggestive Unterstellung zwischen den Zeilen erscheint, wird hier in ein geschlossenes Weltbild gegossen – ohne Zwischentöne, ohne Zweifel, dafür mit missionarischem Furor.
Was Harms angreift, ist das Rückgrat der Demokratie
Dabei ist es genau diese Zivilgesellschaft, die dort einspringt, wo staatliche Strukturen versagen: in abgehängten Regionen, in Schulen ohne Schulsozialarbeit, in digitalen Räumen, die längst von Hassalgorithmen strukturiert werden. Zivilgesellschaftliche Projekte holen Jugendliche ab, setzen auf Dialog statt Eskalation, schaffen Vertrauen vor Ort – und das alles unter zunehmend schwierigen Bedingungen.
Statt diese Arbeit anzuerkennen, diskreditiert Harms sie pauschal: Er nimmt Projekte ins Visier, die nachweislich Wirkung zeigen – sei es in der Prävention von Radikalisierung, im Umgang mit antisemitischen Vorfällen oder in der Demokratieförderung in strukturschwachen Regionen. Doch weil diese Arbeit nicht ins eigene ideologische Raster passt, wird sie von Harms als Teil eines diffusen Machtapparats delegitimiert.
Transparenz als Kampfbegriff
Ein Beispiel dafür, wie das von Harms propagierte Framing in politische Kampagnen übersetzt wird, ist die Ende Mai 2025 gegründete „Initiative Transparente Demokratie“ (ITD). Was auf den ersten Blick wie ein Aufruf zu Offenheit klingt, zielt bei genauerem Hinsehen auf die Delegitimierung gemeinnütziger Organisationen – insbesondere solcher, die sich für Menschenrechte oder Umweltschutz einsetzen. Die ITD kündigt Recherchen zur NGO-Finanzierung an, doch schon jetzt ist der Fokus auffällig einseitig: Rechtskonservative Thinktanks, transatlantische Netzwerke oder kremlnahe Stiftungen bleiben außen vor. Damit macht die Initiative deutlich: Misstrauen soll gesät, die Legitimität bestimmter Organisationen untergraben werden – ganz im Geist des NGO-Bashings, das Harms in seinem Bestseller popularisiert hat.
Gegenwehr gegen reale Bedrohungen
Dabei wäre die Frage eigentlich eine andere: Wie kann sich eine demokratische Gesellschaft angesichts der realen Bedrohungslage besser schützen? Denn parallel zum Vertrauensverlust in Institutionen und der digitalen Fragmentierung öffentlicher Debatten erleben wir eine strategische Mobilisierung von extrem rechter Ideologie – nicht nur von innen, sondern auch durch autoritäre Staaten wie Russland, die gezielt Desinformation und gesellschaftliche Disruption betreiben.
Die Zivilgesellschaft ist eine der wenigen Instanzen, die diesen Entwicklungen etwas entgegensetzt. Sie leistet Aufklärung, stärkt Teilhabe, bietet Orientierung. Sie wirkt – nachweislich, lokal, langfristig. Dass Harms daraus ein „Komplott“ konstruiert, ist nicht nur sachlich falsch, sondern demokratiepolitisch gefährlich.
Meinung statt Aufklärung, Polemik statt Analyse
„Der NGOkomplex“ will ein Enthüllungsbuch sein, ist aber ein rechtspopulistischer Framing-Aufsatz mit Bestsellerstatus. Wer sich eine echte Debatte über die Rolle und Finanzierung zivilgesellschaftlicher Arbeit wünscht, wird hier enttäuscht. Wer hingegen nach Bestätigung für pauschales NGO-Bashing sucht, wird fündig. Das Buch ist damit ein Symptom jener autoritären Erzählung, die nicht argumentieren, sondern delegitimieren will.
Umso wichtiger ist es, den Wert zivilgesellschaftlichen Engagements klar und laut zu verteidigen – gegen Desinformation, gegen Hass, gegen autoritäre Fantasien. Und der SPIEGEL? Der sollte sich dringend fragen, ob Verkaufszahlen allein ausreichen sollten, um Bücher in einem gesellschaftlich so sensiblen Feld als relevant zu adeln.