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Gastkommentar AfD-Verbotsverfahren – Das falsche Spiel von Merz und Dobrindt

Die Führung der Union täuscht die Öffentlichkeit in der Frage um ein mögliches Parteiverbotsverfahren gegen die AfD mit irreführenden Scheinargumenten. Das politische Kalkül dahinter missachtet die reale Gefahr für viele Millionen Menschen in diesem Land. Ein Kommentar.

 
Auf einer Demo in Marburg wird das AfD-Verbot gefordert. (Quelle: Unsplash)

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und sein Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) tun derzeit alles, um ein AfD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu verhindern. Seit der (vorläufig ausgesetzten) Hochstufung AfD zur gesichert rechtsextremistischen Bestrebung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), wird die Spitze von CDU/CSU nicht müde, die Bedeutung des Gutachtens herunterzuspielen. Zudem säen Merz und Dobrindt Zweifel an Sinnhaftigkeit und Erfolgsaussichten eines rechtsstaatlichen Verfahrens gegen die AfD. Eben hieß es noch, ohne das neue Gutachten könne man leider nicht tätig werden. Nunmehr ist davon die Rede, die auf über 1.000 Seiten gesammelten Belege reichten für ein Verbotsverfahren nicht aus. Man kann den harten Eingriff in die demokratische Praxis aus politischen Gründen ablehnen. Doch Merz und Dobrindt verweigern mit Scheinargumenten und verdrehten Tatsachen eine aufrichtige Meinungsbildung über Pro und Contra eines AfD-Verbots. Anstelle von Fakten setzt die Unionsführung auf faule Tricks.

CSU-Innenminister Dobrindt erweckt fälschlicherweise den Eindruck, dass eine Partei für ein Verbot nicht nur die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes angreifen müsse, sondern ebenso das Demokratieprinzip und den Rechtsstaat. Die massenhaft dokumentierten Angriffe der AfD auf die Menschenwürde von Minderheiten hält Dobrindt demnach für unzureichend. Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem NPD-Urteil im Jahr 2017 das Gegenteil festgestellt: Ausreichend sei, wenn sich eine Partei gegen „eines der Wesenselemente der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ (FDGO) wende. Die obersten Richter stellten klar: „Eine politische Partei, die einen der zentralen Grundsätze der FDGO ablehnt und bekämpft, kann ein Parteiverbot nicht dadurch vermeiden, dass sie sich zu den jeweils anderen Prinzipien bekennt.“

Scheinargumente statt Unterstützung für das AfD-Verbot

Das oberste Gericht hat die Menschenwürde zum unverhandelbaren Kern unserer Verfassung erklärt. Denn wer Menschen die Würde abspricht, bedroht auch deren Rechte sowie demokratische Teilhabe. Allein aus diesem Grund ist die Beweislage gegen die AfD erdrückend. Der Innenminister bestreitet das. Die Presse hat darüber aufgeklärt, wo der CSU-Politiker falsch liegt. Und Dobrindt? Wiederholt in der ARD vor einem Millionenpublikum seine längst widerlegten Scheinargumente. Statt auf ein Verbot setzt Dobrindt darauf, die AfD „wegzuregieren“. Was wohl meint, die AfD mit harter Migrationspolitik klein kriegen zu wollen. Wovon am Ende das radikalere Original profitieren dürfte, weil die Union in Sachen Grenzen-dicht-Politik immer hinter Rechtsextremisten zurückbleiben wird.

Auch Kanzler Friedrich Merz sät Zweifel, ob überhaupt die Voraussetzungen für ein Verfahren gegen die AfD erfüllt sind. „Aggressiv-kämpferisch gegen die die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu arbeiten, das muss nachgewiesen werden“, behauptet Merz. Allein, es stimmt so nicht. Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte widerspricht dem Kanzler. Der Jurist betont, dass es zwar einer solchen Haltung gegenüber der politischen Ordnung bedürfe, aber eben nicht eines aggressiven, kämpferischen Vorgehens. Die derzeitige Debatte hält er daher für irreführend. Der renommierte Verfassungsrechtler Christoph Möllers erklärt: „Der Begriff des Kämpferischen ist tot.“ Das BVerfG hat nämlich klargestellt: Um verbotswidrig zu agieren, muss eine Partei weder Straftaten verüben noch Gewalt anwenden. Sie kann vielmehr versuchen, das demokratische System mit völlig legalen Mitteln zu kippen. Um verfassungswidrig zu agieren, braucht es also weder konkrete Umsturzpläne noch Vorbereitungen eines Aufstands, wie bisweilen suggeriert wird.


Michael Kraske lebt als Journalist und Buchautor in Leipzig. Zuletzt erschien von ihm bei C.H.Beck „Angriff auf Deutschland – Die schleichende Machtergreifung der AfD“ (mit Dirk Laabs). Der Autor wurde mehrfach für seine publizistische Arbeit ausgezeichnet, zuletzt mit dem Spezialpreis der Otto-Brenner-Stiftung für kritischen Journalismus.


Für ein Verbot reicht es, aktiv und planvoll darauf „auszugehen“, die bestehende demokratische Ordnung zu beseitigen oder auch nur zu beeinträchtigen. Das Instrument des Parteiverbots, das im Grundgesetz verankert wurde, ist ja gerade die Lehre aus der „legalen Revolution“ der Nationalsozialisten. Als Präventivmaßnahme soll es frühzeitig verhindern, dass Demokratiefeinde durch Wahlen an die Macht kommen und die Demokratie dann von innen heraus zerstören. Dieser in die Verfassung eingebaute Lerneffekt unterscheidet die wehrhafte von der naiven Demokratie. Die NPD wurde übrigens nur deshalb nicht verboten, weil sie zu unbedeutend war. Dass die AfD über die notwenige „Potenzialität“ verfügt, die Umsetzung ihrer Ziele also zumindest möglich erscheint – darüber kann es keinen vernünftigen Zweifel geben.

„Politische Konkurrentenbeseitigung“

Friedrich Merz sät die aber trotzdem. Zur Begründung seiner Ablehnung eines Verbotsantrags greift der Bundeskanzler gar auf eine AfD-Erzählung zurück, wenn er ein diffuses Bauchgefühl zum Maßstab seines Handelns erklärt: „Das riecht mir zu sehr nach politischer Konkurrentenbeseitigung.“ Diese Unterstellung ist ein in AfD-Kreisen beliebtes Motiv, um das im Grundgesetz verankerte Parteiverbot per se zu delegitimieren. Doch nicht Parteien verbieten eine Partei. Das kann allein das Bundesverfassungsgericht auf Antrag von Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung. Einem Urteil ginge ein langjähriges, rechtsstaatliches Verfahren voraus. Das Vokabular von Merz ist nicht nur fahrlässig, sondern auch ein Schlag ins Gesicht seines CDU-Kollegen Marco Wanderwitz, der den fraktionsübergreifenden Antrag noch vor der Wahl in den Bundestag eingebracht hatte – und dabei von seinen eigenen Leuten im Stich gelassen wurde.

Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag wirbt Wanderwitz eindringlich für das Verbotsverfahren und begründet das auch mit den Erfahrungen in seiner sächsischen Heimat, wo die AfD immer stärker wird, obwohl sie der dortige Verfassungsschutz längst als gesichert rechtsextremistisch einstuft. Seinen Rückzug aus der Bundespolitik begründete der CDU-Politiker auch mit den massiven Anfeindungen und Drohungen, denen er mit seiner Familie ausgesetzt war. Doch in der CDU blieb er mit seinen Warnungen ein Außenseiter. Anstatt die vielen konkreten Belege für die Gefährlichkeit der AfD ernsthaft zu prüfen, werden nun sogar Stimmen in der ostdeutschen CDU lauter, die lästige Brandmauer zur AfD endlich offiziell zu schleifen. De facto existiert die vielerorts ohnehin nicht mehr, wie gemeinsame Abstimmungen von CDU und AfD in den Kommunen zeigen.

Seinerzeit hatte Friedrich Merz noch mit markigen Worten angedroht, dass rausfliegt, wer mit der AfD die Hand hebt. Davon ist längst keine Rede mehr. Seine Ablehnung eines Verbotsverfahrens dürfte jene ostdeutschen CDU-Leute ermutigen, die sich der AfD weiter annähern wollen. Etliche in der Union mögen die Partei zwar für schmuddelig halten. Bei diversen Reiz-Themen rund um Genderfragen, angebliche „Wokeness“ oder Migration gibt es aber ideologische und habituelle Schnittmengen. Nicht wenige Konservative fühlen sich den Blauen deutlich näher als Roten oder Grünen. Dafür sprechen gemeinsame Abstimmungen im sächsischen und thüringischen Landtag. Nichtmal vor der Zusammenarbeit mit Björn Höcke schreckten Christdemokraten in Thüringen zurück und stimmten mit seiner Fraktion, um das Gendern in offiziellen Schreiben des Parlaments zu verbieten. Was nun die aktuelle AfD-Verbotsdebatte angeht, will CDU-Chef Merz vor allem Ruhe in den eigenen Reihen. Der Union hat er Schweigen verordnet. Die schwelende Zerreißprobe über den Umgang mit der AfD nimmt er in Kauf.

Dabei gibt es durchaus prominente Christdemokraten, die sich für eine juristische Überprüfung der AfD ausgesprochen haben. Allen voran der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther. Er argumentiert, dass die Option des Parteiverbots aus gutem Grund im Grundgesetz verankert wurde. Also müsse diese Möglichkeit auch genutzt werden: „Es ist meine feste Überzeugung, dass ein Staat sich selbst schützen muss.“ Ähnlich äußert sich der CDU-Politiker Tilman Kuban. Er widerspricht der populären Floskel, wonach ein Verbotsverfahren Ausdruck politischer Hilflosigkeit sei. Doch Günther und Kuban sind mit ihrer Position isoliert. Das hat mit einem fatalen Lagebild zu tun, das nicht primär die Faktenlage widerspiegelt, sondern die Überzeugungen und Feindbilder von Merz, Spahn, Linnemann und Co.

Lange vor seiner Wahl zum Parteichef wurde Friedrich Merz 2020 von einem Journalisten im Hinblick auf den Terroranschlag von Hanau nach der richtigen Strategie gegen die rechte Gefahr gefragt: „Schließe ich daraus richtig“, so der Reporter damals, „dass Ihre Antwort auf das Problem des Rechtsradikalismus die stärkere Thematisierung von Clankriminalität, Grenzkontrollen und so weiter ist? Und wenn nicht: Was wäre sie dann?“ Die Frage bot Merz die Möglichkeit, klare Kante gegen Rechtsextremismus zu zeigen. Zu demonstrieren, dass er die Bedrohung ernst nimmt und bekämpfen will. Stattdessen sagte er: „Die Antwort ist ja.“

Millionen könnten Menschenrechte verlieren

Heute, diverse Rechtsterrorgruppen, Rekordzahlen rechter Straftaten und etliche AfD-Wahlerfolge später, spricht viel dafür, dass Merz immer noch glaubt, Rechtsextremismus mit Grenzkontrollen bekämpfen zu können. Nach dem Motto: Wenn der Staat nur hart genug gegen Ausländer vorgeht, müssen es nicht Demokratiefeinde tun. Wer so denkt, hat nicht ansatzweise verstanden, was Rechtsextremismus ist und wie zerstörerisch dessen menschenverachtende Ideologie und brutale Praxis wirkt. Dass politischen, religiösen und sexuellen Minderheiten der Verlust fundamentaler Rechte drohen. Dass völkischer Nationalismus unvereinbar mit dem Grundgesetz ist. Wie weit die Normalisierung des Rechtsextremismus vor allem in Ostdeutschland vorangeschritten ist. Nichts spricht derzeit für einen Lerneffekt bei Friedrich Merz. Im Gegenteil. Das breitbeinige Selbstbewusstsein, mit dem die Union die reale Gefahr für unsere Demokratie im Innern trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse ausblendet und gleichzeitig an Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Grenzen festhält, obwohl das Berliner Verwaltungsgericht diese Praxis für rechtswidrig erklärt hat, ist beängstigend.

Das verordnete Schweigen in der Causa AfD-Verbot mag kurzfristig für trügerische Ruhe sorgen. Doch es ist absehbar, dass sich dieses Zeitspiel der Union schmerzhaft rächen könnte. Das überfällige Gutachten des Verfassungsschutzes gebietet es, die durchlässig gewordene Grenze zur AfD zu sichern und notwendige Konsequenzen ziehen. Das gilt besonders für die Union, die sich mit der AfD in diskursiven Schnittmengen bewegt. Wer Ideologie und Praxis der AfD ernst nimmt, kann die Option eines Verbotsverfahrens nicht ausschließen. Stattdessen haben sich CDU und CSU offenkundig dafür entschieden, das Zeitfenster zu verspielen, in dem die AfD (noch) nicht mitregiert. Im kommenden Jahr finden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern statt. In beiden Ländern liegt die Partei in Umfragen mit vorn. Sollte sie stärkste Kraft werden, wird die unvermeidliche Zerreißprobe der ostdeutschen CDU erwartbar die gesamte Partei und auch das Land erschüttern. Der politische Druck, die AfD an der Macht zu beteiligen, wird dann dramatisch steigen. Was passiert, wenn Konservative umfallen, ist bekannt.

 

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