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Im Schatten des giftigen Hasses Die Anatomie der Feindbildproduktion vom Erdoğan-Regime gegenüber Israel

Die antisemitische Rhetorik des Erdoğan-Regimes erreicht neue Eskalationsstufen. Amed Mardin, kurdischer Exiljournalist, zeigt, wie diese gezielte Feindbildproduktion der innenpolitischen Abschottung und Machtsicherung dient. Besonders brisant: Auch Teile der Opposition, darunter Vertreter der kurdischen Bewegung, schweigen oder stimmen mit ein. Das Echo der Geschichte – Das Gesicht der Gegenwart

 
Recep Tayyip Erdoğan, Präsident der Republik Türkei. (Quelle: picture alliance / Anadolu | Muhammed Selim Korkutata)

Die Geschichte der Menschheit ist nicht bloß eine Chronologie von Ereignissen, sondern ein kollektives Gedächtnis. Die Verfolgung und das Leid der Jüdinnen und Juden gehören zu den tiefsten Wunden dieses Gedächtnisses. Verbrechen wie der Holocaust richteten sich nicht nur gegen das jüdische Volk, sondern gegen das gesamte menschliche Gewissen. Heute jedoch wird dieses Leid nicht etwa gewürdigt oder betrauert, sondern für politische Zwecke instrumentalisiert – auch in der Türkei.

Die antisemitische Rhetorik, die heute aus höchsten Kreisen des türkischen Staates ertönt, ruft die Geister der Vergangenheit mit neuen Masken auf den Plan. Die israelfeindliche Sprache des Erdoğan-Bahçeli-Regimes dient nicht nur dazu, die Tragödie in Gaza zu instrumentalisieren, sondern reproduziert auch einen jahrhundertealten Hass, um innenpolitische Macht zu konsolidieren und autoritäre Herrschaft zu legitimieren.

Geschichtsverzerrung und politische Manipulation: Die Verhöhnung des Holocausts

Jüdinnen und Juden wurden über Jahrhunderte hinweg verfolgt, ausgegrenzt und vernichtet. Der systematisch geplante Holocaust inmitten Europas war eines der größten Menschheitsverbrechen. Doch heute wird dieses historische Verbrechen in der Türkei relativiert und entwertet. Die Dämonisierung Israels, wie sie durch Erdoğan betrieben wird – etwa durch Nazi-Vergleiche oder die Banalisierung der Shoa – stellt eine gefährliche Geschichtsverzerrung dar. Sie vertauscht Täter und Opfer, verharmlost die Erinnerung und entzieht dem jüdischen Volk das Recht auf historisches Gedenken.

Wer heute behauptet, Israel sei schlimmer als Nazi-Deutschland, vergleicht einen demokratischen Staat, mit einem Regime, das Millionen industriell ermordete. Das ist nicht nur eine moralische Entgleisung, sondern auch eine bewusste Strategie politischer Delegitimierung.

Das „Heimatfront“-Narrativ und die Architektur der psychologischen Kriegsführung

Die Israel-Feindschaft des türkischen Regimes dient nicht nur außenpolitischen Zielen, sondern ist Teil einer innenpolitischen Mobilisierungsstrategie. Die von dem rechtsextremen türkischen Politiker Devlet Bahçeli oft verwendete Metapher der „Heimatfront“ ist zum ideologischen Leitmotiv der Erdoğan-Herrschaft geworden. Sie dient dazu, die Bevölkerung auf eine angebliche nationale Linie einzuschwören und jede Form von Kritik oder Opposition als Verrat zu brandmarken.

So entsteht eine Atmosphäre, in der politische Gegner systematisch als „innere Feinde“ diffamiert werden – sei es die Opposition, die kritische Zivilgesellschaft oder die kurdische Bewegung. Wer nicht dem vorgegebenen Kurs folgt, gilt schnell als Unterstützer Israels, als Kollaborateur des Westens oder gar als Landesverräter. Diese Sprache schafft keine nationale Einheit, sondern autoritäre Uniformität.

Die Dämonisierung Israels als Teil einer realitätsfernen Strategie

Israel stellt für die Türkei keinerlei militärische Bedrohung dar – weder in der Theorie noch in der Praxis. Weder der Nationale Sicherheitsrat noch internationale Analysen weisen auf eine solche Gefahr hin. Und doch wird in der türkischen Öffentlichkeit ein Szenario konstruiert, in dem Israel als existentiale Bedrohung erscheint. Dies dient vor allem einem Zweck: von der wirtschaftlichen Misere, dem gesellschaftlichen Unmut und dem autoritären Umbau des Staates abzulenken.

In dieser inszenierten Wirklichkeit erscheint jeder, der sich nicht an der kollektiven Israel-Verteufelung beteiligt, als „Vaterlandsverräter“. Der mediale und politische Apparat arbeitet Hand in Hand, um Feindbilder zu erzeugen, die jede rationale Debatte unmöglich machen.

Das Schweigen der Opposition und gefährliche Annäherungen in der kurdischen Bewegung

Noch alarmierender ist die Tatsache, dass Teile der Opposition – einschließlich prominenter Vertreter der kurdischen Bewegung – sich dieser Rhetorik teilweise anschließen oder ihr zumindest nicht widersprechen. Äußerungen von Abdullah Öcalan oder auch von Selahattin Demirtaş, die auf eine israelkritische Haltung hindeuten, werfen die Frage auf, ob sich die kurdische Bewegung von ihren universalistischen Prinzipien entfernt.

Dabei war die Kraft dieser Bewegung stets ihre Verankerung in Menschenrechten, Gerechtigkeit und internationaler Solidarität. Ein Schulterschluss mit dem Regime in seiner antisemitischen Sprache – ob aus Kalkül oder Opportunismus – würde diese ethische Grundlage untergraben und der autoritären Herrschaft in die Hände spielen.

Gerechtigkeit erfordert den Bruch mit Hass, Heuchelei und Geschichtsvergessenheit

Wer den Holocaust verharmlost, Israels Existenzrecht infrage stellt oder antisemitische Stereotype verbreitet, begeht nicht nur einen moralischen Fehltritt – er oder sie betreibt aktiven Geschichtsmissbrauch. Das Erdoğan-Bahçeli-Regime nutzt diese Strategie, um seine Macht im Inneren zu festigen, den Ausnahmezustand zu verlängern und den demokratischen Diskurs zu zerstören.

Wahre Gerechtigkeit bedeutet, sowohl das Leid in Gaza als auch die Angst in Tel Aviv zu sehen. Wer nur eine Seite betrauert, verweigert der anderen die Menschlichkeit. Antisemitismus, in welcher Form auch immer – ob islamistisch, rechtsextrem oder linksradikal – ist ein Angriff auf die universellen Werte der Menschlichkeit.

Die Geschichte wird nicht nur die Täter verzeichnen, sondern auch die, die geschwiegen haben. Die vergiftete Sprache, die heute aus Ankara ertönt, sollte nicht unwidersprochen bleiben – weder in der Türkei noch in der internationalen Gemeinschaft.


Amed Mardin ist Kurdischer Exiljournalist, lebt seit 30 Jahren in Berlin. Er ist Mitbegründer verschiedener Initiativen gegen Antisemitismus wie KIgA e.V. und İBİM e.V. Derzeit forscht er zum kurdisch-türkischen Konflikt auf der Suche nach Lösungsansätzen.

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