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Jahresrückblick 2024 Brandenburg – Rechte Diskurse bestimmten das Wahljahr 2024

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Beim CSD in Oranienburg kam es zu rechtsextremen Gegenprotesten. (Quelle: picture alliance/dpa | Lutz Deckwerth)

Brandenburg befand sich 2024 in einem Superwahljahr. Dieses war gekennzeichnet von der Normalisierung rassistischer Positionen, Wahlerfolgen der AfD und steigernder Häufigkeit und Brutalität rechter Angriffe.

Bauernproteste in Brandenburg

Das Jahr 2024 begann mit einer großen Mobilisierung der Bäuer*innen. Bereits seit Mitte Dezember 2023 gab es Massenproteste gegen die drohende Streichung der Steuersubventionen für Landwirt*innen durch die Bundesregierung. Laut Umfragen erfuhren die Bauernproteste in der Bevölkerung großes Verständnis und Zuspruch. Der Ton der Diskussion innerhalb der Bewegung bewegte sich jedoch auch in Brandenburg zwischen aufgestellten Galgen in Kyritz und Wittstock, an denen einzelne Bundespolitiker*innen verhöhnt und mit Morddrohungen versehen wurden, bis hin zu handfesten Störaktionen gegen politische Gegner*innen. Von einer aufgeheizten Stimmung berichteten auch Journalist*innen. Ein Team des RBB wurde am Rande eines Bauernprotests angepöbelt, beschimpft und bei ihrer Arbeit gehindert. Nur unter Polizeischutz konnte ein Filmteam am 15. Januar an der Autobahn A13 an der Abfahrt Ortsrand (Oberspreewald-Lausitz) verlassen. Danach wurden sie auf einer Bundesstraße am Weiterfahren gehindert und gedrängt – die Demonstrierenden stellten sich vor den Übertragungswagen und schlugen dagegen.

Organisierte extrem rechte Kräfte der AfD und der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“  unternahmen ebenfalls Versuche, die Proteste zu vereinnahmen. Bei einer zentralen Demonstration des Bauernverbandes in Berlin reihte sich die „Junge Alternative“ Brandenburg mit einem Traktor vor dem Brandenburger Tor ein. In Wittstock nahm „Der III. Weg“ direkt Einfluss auf das Protestgeschehen. Schon während der Corona-Proteste konnte in der Region um Wittstock die Partei auf eine hohe Akzeptanz zurückgreifen. Die Bauernproteste boten eine weitere Gelegenheit, ihren Wirkungskreis zu erweitern, schließlich befinden sich mit den Brandenburger Vorstandsmitgliedern Lutz Meyer und Mario Schulz zwei Landwirte in ihren Reihen. So führte Lutz Meyer mit seinem Traktor einen Fackelmarsch mit etwa 100 Teilnehmenden durch Wittstock an.

In der Stadt Lübben im südlichen Landkreis Dahme-Spreewald ging der Bauernprotest mit einer rassistischen Mobilisierung gegen eine geplante Asylunterkunft einher. Am 27. Februar demonstrierte die Bürgerinitiative „Unser Lübben“ auf dem Marktplatz gegen die Ampelregierung. Zwei Dutzend Traktoren schlossen sich der Versammlung an, bei der die Teilnehmenden Plakate mit Aufschriften wie „Demokratie ohne Brandmauern“ oder „Ist euch das Geld wichtiger als die Sicherheit Lübbens?“ zu lesen waren. Wochen zuvor wurden in der Stadt mehrere Plakate mit rassistischen Aufschriften im Umfeld der geplanten Unterkunft angebracht, ein Galgen mit einer rassistischen Beleidigung aufgestellt und der Eigentümer des Geländes bedroht, auf dem eine Geflüchtetenunterkunft gebaut werden sollte. Die unbekannten Täter*innen wollten den Eigentümer und seine Familie „brennen sehen“. Das Bild von der Bedrohung an einem Brückenfundament verbreitete die Initiative über ihren Telegramm-Kanal.

Aktivierung der Zivilgesellschaft?

Etwa zeitgleich enthüllten Recherchen des Journalist*innen-Netzwerks „Correctiv“ am 10. Januar ein Treffen rechter Akteur*innen, bei dem über die völkische Idee der „Remigration“ von Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte gesprochen wurde. Unter den Anwesenden waren auch der Initiator und Anführer der „Identitären Bewegung“ Martin Sellner, AfD-Politiker*innen und -Anhänger*innen, Neonazis, sowie Unternehmer und Mitglieder des rechten Randes der CDU. Bundesweit sorgte die Enthüllung des Treffens für Empörung, war der Grund dafür, dass tausendfach Menschen auf die Straße gingen, um für ein demokratisches Miteinander und gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Auch in Brandenburg kam es zu einer Wiederbelebung der Zivilgesellschaft. Über die Demonstrationswelle im Frühjahr hinaus blieben demokratische Bündnisse und Gruppen bestehen und setzen ihre Arbeit fort.

In ihrer Nachbetrachtung gilt die Demonstrationswelle als eine der größten demokratischen Protestbewegungen der deutschen Geschichte. Vielerorts waren die Aktivist*innen jedoch zahlreichen Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt. Mitglieder des „Netzwerks gegen Rechts Elbe-Elster“ berichteten von Bedrohungen, denen sie seit den ersten Kundgebungen ausgesetzt waren. Die Liste der Vorfälle reichte von Einbruchsversuchen über schriftliche und mündliche Gewaltdrohungen, Stalking und Verfolgung bis hin zu Verleumdungen, übler Nachrede, öffentlichem Anschreien und täglichen Anfeindungen in sozialen Netzwerken. Bei einer Kundgebung gegen Rassismus am 27. Januar in Herzberg versuchten Teilnehmer*innen der Bauernproteste die Anwesenden zu bedrängen und einzuschüchtern. Als ein Redner versuchte, einen rechtsextremen Provokateur von der Veranstaltung auszuschließen, verhinderten mehrere von ihnen mit einem Hupkonzert weitere Redebeiträge. Ein LKW durchbrach die Straßensperren und fuhr bedrohlich weit auf den Kundgebungsplatz. Nach der Kundgebung fuhren Rechtsextreme mit einem Auto zur Privatadresse des Veranstalters und skandierten lautstark bedrohliche Songtexte der Band „Landser“. Am Rande einer der Kundgebung „Für Demokratie und Vielfalt“ in Elsterwerda am 18. Februar wurde ein Redner aus einer Gruppe Rechtsextremer heraus seitlich geschubst und Handy aus der Hand geschlagen.

Anfeindungen gegen die queere Community

2024 fanden in Brandenburg in so vielen Orten wie noch nie Versammlungen zum Christopher Street Day (CSD) statt, die sich für die Belange der queeren Community einsetzten, sich aber auch gegen rechte Anfeindungen positionierten. Unter dem Motto „Queeres Hinterland“ gingen Hunderte Menschen auch in Kleinstädten auf die Straßen. Immer wieder kam es zu Einschüchterungsversuchen und Angriffen im Vorfeld, während und im Nachgang der Demonstrationszüge. Vielerorts wurden Pride-Fahnen entwendet. Zudem gab es Versuche, das Hissen von Pride-Fahnen vor öffentlichen Gebäuden bereits im Vorfeld zu verhindern. So berichtete das Regenbogenkombinat, dass in Cottbus über das Jahr mehrere Regenbogenfahnen mit rechten Symbolen beschmiert, beschädigt, entwendet oder zerstört wurden. Im Umfeld von Pride-Demonstrationen brachten Neonazis in Angermünde, Bernau oder Rathenow rechte Schriftzüge und Sticker an. Am Rande von Versammlungen in Potsdam, Eisenhüttenstadt, Rathenow oder Oranienburg kam es zu Bedrohungen und körperlichen Angriffen auf die Teilnehmenden der CSD Versammlungen.

Besonders viele Vorkommnisse ereigneten sich um den CSD in Oranienburg am Wochenende kurz vor den Landtagswahlen. Die extrem rechte Organisation „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) meldete eine Demonstration an, die hinter dem Pride-Umzug mit Abstand marschierte. Die Aktion war angelehnt an die Großmobilisierung gegen den CSD im sächsischen Zwickau mehrere Wochen zuvor, die 700 – vor allem junge – Neonazis auf die Straße brachte. Der Erfolg blieb für die Organisator*innen in Oranienburg jedoch aus – lediglich knapp 50 Neonazis folgten dem Aufruf des DJV. Trotz der rechten Mobilisierung demonstrierten und feierten in Oranienburg 1.000 Menschen ausgelassen beim CSD-Aufzug. Es kam aber auch zu verbalen Anfeindungen und bedrohlichen Szenarien während und nach der anschließenden Kundgebung auf dem Schloßplatz. Später, nach einer CSD-Party der Linksjugend, wurde ein Gast bedroht und geschubst. Auf dem Heimweg wurde ein anderer vom Fahrrad gestoßen und bewusstlos geschlagen.

Doch nicht nur im Umfeld von Pride-Veranstaltungen sind Queers in Brandenburg rechter Gewalt ausgesetzt. Die Tendenz des letzten Jahres, dass queere Personen verstärkt zur Zielscheibe von Rechten werden, setzt sich mit mehreren heftigen Übergriffen 2024 fort.

Kommunal- und Europawahlen, später Landtagswahlen

2024 fanden in Brandenburg die Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen statt. Bei den Landtagswahlen errang die AfD 29,2 % der Wähler*innenstimmen und wurde zur zweitstärksten Kraft. Sie gewann mehr als die Hälfte aller Direktmandate im Land. Damit kommt sie auf mehr als ein Drittel aller Landtagssitze und kann in der kommenden Legislaturperiode durch ihre Sperrminorität wichtige Entscheidungen verhindern. Nach Aussagen aus Sicherheitskreisen besitzen knapp die Hälfte der 30 neu gewählten Landtagsabgeordneten Kontakte zur extrem Rechten. Bei den Kommunalwahlen konnte die AfD ihre Mandate von 153 auf 248 fast verdoppeln und stellt mancherorts die stärkste Fraktion. Andere extrem rechte Parteien wie „Der III. Weg“ oder „Die Heimat“ (ehemals NPD) konnten nur wenige kommunale Mandate erringen.

Ein besonderer Coup gelang der AfD in Jüterbog. Der dortige, bisher parteilose, Bürgermeister Arne Raue, der schon lange als rechtspopulistischer und rassistischer Akteur auftritt, trat im November der AfD bei und ist damit der erste hauptamtliche Bürgermeister der AfD in Brandenburg. Auf Platz 6 der brandenburgischen Landesliste wird er für den nächsten Bundestag kandidieren.

Im Zuge des Wahlkampfs wurden Kandidat*innen und Wahlkampfhelfer*innen von Rechten und AfD-Anhänger*innen massiv bedroht und angegriffen. So wurde am 25. Juli die Schwarze CDU-Landtagskandidatin Adeline Abimnwi Awemo beim Aufhängen von Plakaten in Cottbus von einer Frau rassistisch beleidigt und körperlich angegriffen. In Hohen Neuendorf wurde am 14. August ein 68-jähriger Wahlkampfhelfer der Bündnis90/Grünen beim Flyerverteilen zunächst beleidigt und anschließend geschlagen und getreten, während der Angreifer seine Tasche mit den Flyern stahl. Dann sei der Angreifer weggegangen, kam jedoch wieder und schlug erneut auf ihn ein, nachdem dieser versucht hatte Fotos von ihm zu machen. Am 12. September hat ein 61-Jähriger versucht in Oranienburg ein Grünen-Plakat zu beschmieren. Eine Radlerin wollte ihn zur Rede stellen und mit dem Handy fotografieren. Daraufhin stieß der Mann sie vom Fahrrad, beschimpfte sie und trat auf sie ein. Erst, als Autos anhielten, habe der Mann von ihr abgelassen. Ein weiterer Übergriff ereignete sich am 14. August auf dem Hohen Neuendorfer Stadtfest. Beim Abbau des Infostandes wurden Wahlkämpfende der Linken von einem AfD-Anhänger attackiert. Zunächst wurde ein 15-Jähriger verbal attackiert und anschließend der ehemalige Bürgermeister und Linken-Stadtverordneter körperlich angegriffen. Zuvor wurden am 28. August Wahlkämpferinnen der Linken bei einem Infostand in Oranienburg bedroht und anschließend angegriffen. Ein Mann brüllte die drei Frauen an und entriss eine Tasche und das Wahlkampfmaterial und warf es zu Boden. Während von den fünf Begleitern des Angreifers niemand einschritt und die Bäckerin des Cafés, in dem die Gruppe saß, den Übergriff befürwortete, zeigten sich andere umstehende Menschen solidarisch und halfen beim Einsammeln der Materialien.

Ausblicke

Wie schon in den vergangenen Jahren setzt sich fort, dass mehrheitlich Menschen aus rassistischer Motivation heraus angegriffen werden. Dennoch ist zu beobachten, dass das Risiko von Anfeindungen für Menschen, die sich öffentlich gegen Rechts aussprechen, der rassistischen Hegemonie widersprechen und Menschen, die nicht in das rechte Weltbild passen, wie beispielsweise Queers, gestiegen ist. Die Enthemmung der Gewalt ist vor allem unter jungen Menschen zu beobachten, nicht zuletzt, weil rechte Inhalte über Plattformen wie TikTok und Instagram massive Verbreitung finden und sich eine neue rechte Jugendkultur formiert hat. Nachdem das Video einer feiernden Gruppe junger Menschen auf Sylt, bei dem der bekannte Gigi D‘Agostino Song „L‘ Amour Toujours“  rassistisch umgedeutet wurde, viral gegangen ist, fand es auch in Brandenburg viele Nachahmer*innen. Zeitweise gab es Bestrebungen, das Lied nicht auf Volksfesten und ähnlichen alkohollastigen Veranstaltungen spielen zu lassen, um Leute nicht zusätzlich dazu zu motivieren, die Forderung „Ausländer Raus“ in die Tat umzusetzen. Dass die Gefahr real ist, zeigte ein Fall in Potsdam, der sich Anfang September ereignete. Bei einem Dorffest der Freiwilligen Feuerwehr im Stadtteil Golm: Dort wurde das Lied gespielt und die Menge grölte den rassistischen Gesang. Allein ein Kopfschütteln als Zeichen von Widerspruch hatte einer Gruppe Jugendlicher gereicht, um die Reaktion auf die rassistischen Gesänge als Provokation aufzufassen und einen Mann als „Zecke“ zu beschimpfen. Die Gruppe nahm ihn ins Visier, verfolgte und schubste ihn und schlug sein Bier aus der Hand. Als sein Kumpel dazwischen ging, um seinen Freund vor der Truppe zu schützen, wurde er bewusstlos geschlagen. Die ermittelten Tatverdächtigen waren 15 bis 17 Jahre alt. Es ist davon auszugehen, dass sich die Tendenz der Normalisierung rechter Gewalt in der aktuellen politischen Stimmung weiterhin zuspitzen wird.

 

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