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Kommentar Hysterie ist ein schlechter Ratgeber

Es ist zum Jungehundekriegen: Alle reden von Köln, von Nordafrikanern oder benutzen andere Chiffren, um klarzumachen, dass jetzt Schluss sein muss mit der Flüchtlingsfreundlichkeit. Es herrscht derzeit ein Klima in Deutschland, das mit der Wirklichkeit nicht mehr korrespondiert.

 
Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung (bis Ende März 2022); Foto: MUT

Einerseits nämlich helfen und engagieren sich nach wie vor mehr Menschen als je zuvor für Flüchtlinge. Und Kommunen scheitern mitnichten, sondern sorgen dafür, dass die Aufnahme und Eingewöhnung der Flüchtlinge gut klappt. Andererseits arbeitet die Regierung an Einschränkungen des Asylrechts in bisher ungekanntem Ausmaß. Da werden Länder zu sicheren Drittstaaten erklärt, die alles andere als sicher und demokratisch sind. Doch reagiert die Öffentlichkeit kaum. Keine Proteste, keine Demos, gar nichts. Die Leute sind entweder zu sehr mit den Flüchtlingen beschäftigt oder werden mit Nachrichten und Dementis im Stil von Köln zugeballert. Gewiss finden viele auch selbst, dass Deutschland keine Flüchtlinge mehr aufnehmen sollte. Doch alles in allem ist die Stimmung sehr, sehr viel hysterischer, als es die Realität hergibt.

Wir sollten uns nicht allzu sehr davon beeindrucken lassen, sondern auf das Wesentliche schauen: die Hysterie dient an erster Stelle dazu, die täglichen Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte gleichzeitig zu rechtfertigen und zwischen all dem Gekreische unsichtbar zu machen. Jeden Tag geschehen Anschläge, jeden Tag werden Menschen verletzt. Jeden Tag kapituliert der Staat irgendwo vor dieser konzertierten Aktion Rechtsextremer. Quantität und Qualität der Angriffe steigern sich und es scheint, als würden die Medien bei aller guten Absicht, daraus die Randnotiz eines neuen Alltags machen. Und offenbar fehlt es an Kraft und politischem Willen, solche Anschläge zu verhindern und das Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen.

Flüchtlinge schützen ist eine lösbare Aufgabe

Ein Rechtsstaat kann nur funktionieren, wenn der Schutz der Menschen vor Gewalt funktioniert und sollte er dennoch verletzt werden, dass dies vom Staat geahndet wird. Dazu müssen die zuständigen Organe aber, dem Grundgesetz entsprechend, alle Menschen in Deutschland schützen – nicht nur die so genannten Ureinwohner, sondern ebenso Flüchtlinge, Migranten oder People of Colour. Das Problem mit dem Rassismus auch und gerade in staatlichen Strukturen ist nämlich keineswegs gelöst, nur weil nun viele Geflüchtete da sind und Menschen sich um sie kümmern. Das Problem ist nicht verschwunden. Wohin auch? Die bisherigen Maßnahmen, das zu ändern, sind noch nicht besonders fortgeschritten.

Der Hysterie kann man am besten begegnen, wenn ihre Anlässe in notwendige Handlungen übersetzt werden. Polizei kann man trainieren, die Lage vor Ort kann besser analysiert werden u.a. mit Hilfe der NGO’s, die sich auskennen. Flüchtlinge schützen und alle, die sich für sie einsetzen, das ist eine lösbare Aufgabe. Die sollte ganz oben auf die Tagesordnung von Staat und Gesellschaft. Denn ihren Schutz aufzugeben bedeutet, jeden Schutz aufzugeben vor Rechtsextremen, Populisten und Kriminellen. Die Gesetze – auch das Asylrecht – gelten ohne Einschränkung. Das haben Gesetze in der Demokratie so an sich. Darauf müssen wir bestehen. Darauf bestehen wir. Junge Hunde hin oder her, Hysterie ist ein schlechter Ratgeber. Der Gesellschaftsvertrag in einer Demokratie baut nicht auf Stimmungen sondern auf das Recht. Und wir sollten es hier unbedingt stärker einfordern!

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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