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Neonaziaufmarsch in Kassel Kaum Teilnehmer trotz maximaler Provokation

In Kassel demonstrierten am Samstag 120 Neonazis unter dem Motto „Schluss mit Pressehetze und Verbotsphantasien“. Die Neonazis sehen sich nach dem Mord am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zu Unrecht in die neonazistische Ecke gestellt. Die niedrige Teilnehmerzahl zeigte eindrucksvoll wie es aktuell um die neonazistische Bewegung bestellt ist. Dem Aufmarsch stellten sich mehrere tausend Gegendemonstrant*innen entgegen.

 
Provokation oder Rechtschreibschwäche beim Fronttransparent.

Die Unterneustadt in Kassel war am Samstag im Ausnahmezustand. Weiträumig abgesperrte Straßen führten zu Staus, der komplette öffentliche Personennahverkehr wurde eingestellt und die Polizei hatte mehrere Kreuzungen mit Gittern versehen, um mögliche Blockadeversuche frühzeitig zu unterbinden. Grund dafür war die Anmeldung einer neonazistischen Demonstration durch Christian Worch. Der Dortmunder Neonazi Sascha Krolzig hatte zwei Wochen zuvor beim Rechtsrockfestival „Tage der Nationalen Bewegung“ in Themar verkündet, man sehe die „nationale Bewegung“ nach dem Mord an Walter Lübcke zu Unrecht mit rechtsterroristischen Strukturen in Verbindung gebracht. Die Provokation, dass Neonazis in der Stadt aufmarschieren wollen, in der der ermordete Regierungspräsident gearbeitet hatte, war dabei bewusst einkalkuliert.

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Doch trotz der maximalen Provokation folgten gerade einmal 120 Neonazis aus dem halben Bundesgebiet dem Aufruf. Der Großteil der angereisten Neonazis kam dabei mit einem Reisebus aus Nordrhein-Westfalen, darunter auch einige Parteikader der Splitterpartei „Die Rechte“ wie beispielsweise der stellvertretende NRW-Landesvorsitzende Michael Brück oder der Partei Chef Sven Skoda. Hinzu kamen eine kleine Gruppe Neonazis, die den Landesverband der Partei in Hessen darstellen, sowie kleinere Gruppen einzelner Kameradschaften aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland.

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Kaum waren die letzten Teilnehmer mit einem Bus der Kasseler Verkehrsgesellschaft vom Hauptbahnhof zum Startpunkt der Neonazidemonstration gebracht worden, liefen die Neonazis nach einer kurzen Auftaktkundgebung los. Begleitet von lautstarkem Gegenprotest entlang der kurzen Route liefen die 120 Teilnehmer*innen mit einem riesigen Polizeiaufgebot ihre Strecke ab. Angeführt wurde der Aufmarsch von einem Transparent mit der Aufschrift „Nationale Gegenofenssive“. Der Rechtschreibfehler, der aus dem Wort Gegenoffensive die Worte „Ofen“ und „SS“ machte, dürfte dabei Absicht gewesen sein. Die Polizei leitete Ermittlungen ein, die Partei „Die Rechte“ verteidigte sich auf Twitter: „Legasthenie ist kein Verbrechen.“ Eine geplante Zwischenkundgebung ließen die Neonazis ausfallen, da der Gegenprotest so laut war, dass die eigenen Reden an dieser Stelle kaum hörbar gewesen wären. Nicht einmal eine Stunde nach Demonstrationsbeginn sprachen auf der Abschlusskundgebung die Redner Dieter Riefling, Sven Skoda und Christian Worch und kurz darauf waren alle 120 Neonazis wieder auf dem Heimweg.

Neonaziaufmärsche haben an Relevanz verloren

Der Aufmarsch in Kassel war nicht die erste neonazistische Demonstration in diesem Jahr, die kaum Anhänger mobilisieren konnte. Am 1. Mai demonstrierte „Die Rechte“ mit 250 Teilnehmer*innen in Duisburg, eine Woche später waren es 35 Teilnehmer bei einer Demonstration für die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck in Bielefeld. Selbst der jährlich stattfindende Aufmarsch „Tag der deutschen Zukunft“ brachte in Chemnitz nur 250 Personen auf die Straße.

Der Fachjournalist André Aden sieht darin das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung: „Früher waren Demonstrationen fester Teil der Erlebniswelt Rechtsextremismus, aber die Aufmärsche haben Schritt für Schritt an Attraktivität verloren.“ Aden beobachtet für „recherche-nord“ seit Jahren die neonazistische Bewegung und sieht verschiedene Gründe für diese Entwicklung. Einerseits habe die Polizei ihre Sicherheitskonzepte für rechte Aufmärsche so verändert, dass es kaum noch zu Auseinandersetzungen von Neonazis mit dem politischen Gegner käme, was den Aufmärschen einen unkalkulierbaren Faktor und somit auch die Attraktivität entzogen habe. Andererseits hätten sich extrem rechte Aufmärsche jahrelang auf ein gewisses Mobilisierungspotential aus den Kameradschaftsstrukturen verlassen können, das aber nach und nach weggebrochen sei. Zudem fehle der Szene der Nachwuchs, was sich an einem deutlich gestiegenen Durchschnittsalter auf den Demonstrationen zeige.

Zudem sieht Aden eine strukturelle Veränderung in der neonazistischen Szene. Durch die Kommerzialisierung der neonazistischen Bewegung, die sich bei Rechtsrockfestivals und Kampfsportveranstaltungen zeige, habe sich bei den Teilnehmern eine Konsumhaltung entwickelt, die wichtiger sei als die eigene Partizipation an der Bewegung. Neonazis wollen zwar weiterhin Teil ihrer eigenen Lebenswelt sein, aber der Großteil der Szene wolle dafür nichts mehr investieren und das zeige sich an den seit Jahren abnehmenden Teilnehmendenzahlen.

Für die niedrige Beteiligung in Kassel benennt Aden einen weiteren Faktor: „Der Aufruf zur Demonstration war eine Beschwerde, dass das rechte Lager in die Nähe von Gewalt und Terror gerückt ist.“ Damit habe die Szene versuchen wollen, sich von der Gewalt zu distanzieren, der ihrer eigenen Ideologie immanent ist. Der Sinn der Demonstration sei es gewesen, einem drohenden Verbot von neonazistischen Strukturen etwas entgegenzusetzen, doch damit mobilisiere man die eigenen Anhänger nicht.

10.000 Teilnehmer*innen bei Gegenprotest

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Um den neonazistischen Aufmarsch nicht unwidersprochen durch Kassel laufen zu lassen, hatte das Kassler „Bündnis gegen Rechts“ zu mehreren Demonstrationen aufgerufen, an denen laut Polizeiangaben mindestens 10.000 Menschen teilnahmen. In einer Pressemitteilung zogen die Organisator*innen ein positives Fazit: „In den letzten Tag haben wir riesigen Druck und eine starke Gegenwehr aufgebaut. Die vielen Menschen, die Initiativen und die Behörden haben ihren Anteil an diesem gemeinsamen Erfolg. Wir haben den Nazis die Plätze in Kassel genommen!“ Die Stadt Kassel hatte im Vorfeld versucht die Demonstration der Neonazis verbieten zu lassen, scheiterte damit aber am Verwaltungsgericht.

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