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Rechte Gewalt Gegenpol zur Entpolitisierung

Eine der vielen symbolischen Straßenumbenennungen in Friedrichshain, Foto: privat

Es ist die Nacht des 21.Novembers 1992. Silvio Meier ist mit einigen Freunden unterwegs zu einer Party. Am U-Bahnhof Samariterstraße begegnen sie einer Gruppe von Neonazis. Einer von ihnen trägt auf seiner Jacke, einen für die damalige Zeit  typischen Aufnäher der rechten Szene: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“. Die Gruppe  stellt den Träger zur Rede und nimmt ihm den Aufnäher ab. Beim Versuch den Bahnhof daraufhin wieder zu verlassen, wird den jungen Leuten von den Neonazis  aufgelauert.

Diese sind bewaffnet und stechen mit Messern auf sie ein. Silvio Meier ist sofort tot, zwei seiner Freunde werden schwer verletzt. Silvio Meier wird nur 27 Jahre alt.

Wer war Silvio Meier?

Silvio Meier war ein politisch interessierter junger Mann, der sich außerhalb staatlicher Institutionen in der „Offenen Arbeit“ der evangelischen Kirche in der DDR engagiert hat. Die Kirchen waren meist der einzige Zufluchtsort für Punks und Oppositionelle und stellten ihre Räumlichkeiten für Lesungen oder Konzerte zur Verfügung. Im Jahr 1987 gehörte Silvio Meier zu den Mitbegründern der „Kirche von Unten (KvU)“, welche noch heute alternative und subkulturelle Veranstaltungen anbietet. Mit seinem beruflichen Hintergrund als Drucker, brachte er sich in die „Umweltbibliothek“ der Zionskirche ein und half bei der Erstellung illegaler Flugblätter, den sogenannten „Umweltblättern“.

In den Wendejahren sammelte sich Silvio Meier mit Freunden, um die „Fröhlichen Friedrichshainer Friedensfreunde“ zu gründen und besetzte in dieser Konstellation ein leerstehendes Haus im Ostberliner Bezirk Friedrichshain, die „Villa Felix“. In den nächsten Monaten wurden in dem Viertel etliche weitere Häuser besetzt und es entstand eine Vielzahl unterschiedlicher subkultureller Lebensformen, darunter Frauenhäuser oder auch das „Tuntenhaus“  in der Mainzer Straße. Alle alternativen Hausprojekte waren von Anfang an mit rechter Gewalt konfrontiert. Es gab regelmäßig Auseinandersetzungen mit Neonazis, und so verging vor allem rund um die Fußball-Weltmeisterschaft 1990 kein Wochenende ohne tätlichen Angriff.

Mittlerweile ist Friedrichshain ein Szenebezirk und hat längst keine besetzten Häuser mehr. Dennoch kommt es hier auch knapp 20 Jahre nach dem Mord, immer wieder zu rechten Pöbeleien und Übergriffen.  So erklärt Sebastian Wehrhahn von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, dass die Zahlen der rassistisch motivierten Straftaten im Bezirk stetig ansteigen. Eine dauerhafte Auseinandersetzung mit dem Thema sei dringend notwendig. Dies verdeutlicht er auch am Umgang mit dem Mord.

Bagatellisierung durch staatliche Behörden

Der rechtsextrem motivierte Hintergrund der feigen Tat wurde von den Behörden und der Öffentlichkeit lange nicht anerkannt und bagatellisiert. So wurden die Verletzten noch im Krankenhaus verhört, und ihnen unterstellt, am Tod ihres Freundes verantwortlich zu sein. Die Neonazis behaupteten, mit einem Messer von Silvio Meier angegriffen worden zu sein, obwohl dieser unbewaffnet war. Ein politischer Hintergrund der Tat wurde von staatlicher Seite lange geleugnet. Doch dank intensiver Öffentlichkeitsarbeit und der Beharrlichkeit engagierter Bürger gelang es, die juristischen Untersuchungen voran zu treiben und den rechten Hintergrund der Täter zu offenbaren.

Diese wurden schließlich wegen „schwerer Körperverletzung mit Todesfolge“ angeklagt, was eine Tötungsabsicht jedoch ausschließt. Dadurch wurde der Mord lediglich als Schlägerei eingestuft, obwohl die Messerstiche gezielt in die Brustgegend geführt wurden. Der politische Hintergrund der Tat wurde bei dem Prozess ebenfalls nicht berücksichtigt. Nur drei der fünf beteiligten Rechtsextremen wurden angeklagt und zu Haftstrafen zwischen 8 Monaten und 4 ½ Jahren verurteilt.

Antifaschistisches Selbstverständnis

Nach dem Mord kam es zwar zu zahlreichen Solidaritätsbekundungen und einer Mahnwache, die seitdem jedes Jahr am Todestag abgehalten wird. Am Tatort selbst wurde eine Gedenktafel errichtet, die aber immer wieder beschmiert und geschändet wird. Bereits der Umgang mit dieser Gedenktafel zeigt jedoch, wie schwierig sich das Gedenken für Opfer rechtsextremer Gewalt gestaltet. Denn die Tafel wurde nicht von behördlicher Seite, sondern ebenfalls von engagierten Bürgern gestaltet und gepflegt.  Die Berliner Verkehrsbetriebe weigerten sich anfänglich sogar, sie überhaupt im U-Bahnhof aufzuhängen.

Nach dem Mord wurde oft versucht, es als bloße Auseinandersetzung zwischen Linken und Rechten abzutun. Dabei war Silvio Meier nicht nur ein Punk und Hausbesetzer und damit aktiver Teil der neu entstehenden Linken, sondern auch Stadtteilaktivist und engagierter Bewohner des Bezirks. Sich gegen rechts zu engagieren, gehörte zu seinem Selbstverständnis als Mensch. „Wir wollten frei sein und Gerechtigkeit. Zivilcourage zeigen, sagen: Nein, so nicht. Das war Silvio“ erinnert sich Holger Werner, ein Weggefährte. Damit wendet er sich auch gegen eine Mystifizierung von Silvio Meier als „linken Helden“ und betont, dass jeder Opfer von Rechtsextremen werden kann.

Dies wird auch auf der regelmäßig stattfindenden Demonstration deutlich.  Bei ihr wird nicht nur Silvio Meier gedacht, sondern auch der zahlreichen anderen Opfer rechtsextremer Gewalttaten. Sebastian Wehrhahn betont denn auch die Wichtigkeit der Gedenkdemonstrationen als wertvolles, kontinuierliches Zeichen gegen rechte Gewalt. „Sie sind ein wichtiges Symbol, das Antifaschismus und Solidarität wichtiger Teil eines bezirklichen Selbstverständnisses sind“.

Dauerhafte Auseinandersetzung mit rechter Gewalt

Über die Mahnwache und die Demonstration hinaus, wurde auch immer wieder eine andere Form des Gedenkens gefordert und so gründete sich im Vorfeld des Todestages 2010 die Initiative „Aktives Gedenken“, welche sich für eine Straßenumbenennung einsetzt. „Wir wollen einen Gegenpol zur voranschreitenden Entpolitisierung des Straßenbildes schaffen und die Auseinandersetzung mit der Thematik auch abseits der Gedenkaktivitäten am Todestag ermöglichen“.

Durch verschiedene Aktionen, wie beispielsweise einer symbolischen Umbenennung des U-Bahnhofs Samariterstraße, dem Tatort, wurde die Initiative schnell bekannt und es gelang ihr in kurzer Zeit eine große Öffentlichkeit herzustellen.

In einer Versammlung des Bezirks 2011 gab es erstmalig eine breite Diskussion über ein angemessenes, würdiges und offizielles Gedenken. Dabei wurde beschlossen, die Bürger bei einer Entscheidung konkret miteinzubeziehen.  Daraufhin trafen sich rund 120 interessierte  Anwohner, ehemalige Weggefährten und Politiker Ende April 2012 in der Galiläkirche, um sich über verschiedene Gedenkvorschläge auszutauschen und einen für den Bezirk verbindlichen Beschluss zu fassen. Bei einer lebhaften Diskussion wurde nicht nur eine Straßenumbenennung in direkter Tatortnähe beschlossen, sondern auch die Einberufung eines jährlichen „Silvio Meier Preis“ favorisiert. Somit ist es dank des kontinuierlichen Engagements der Zivilgesellschaft gelungen, ein würdiges Gedenken zum 20. Todestag im November zu schaffen und ein öffentlich sichtbares Zeichen zu setzen.

Darüber hinaus wurde die Debatte über eine dauerhafte Auseinandersetzung mit rechter Gewalt im Alltag neu belebt, denn wie der Vorsitzendes des Ausschusses für Kultur und Bildung, Herr Lothar Jösting-Schüßler bei der Veranstaltung erklärte, „sind Initiativen gegen Rechts hier im Kiez bitter notwendig. Aktives Gedenken heißt aber nicht nur, Straßen zu benennen, sondern sich ständig gegen Rechts zu engagieren“.

Diana Buhe

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

 

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