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Wehrhafte Demokratie Dresden im Februar: „Störungen im Stadtgebiet“

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Dresden 2010: Blockade

„Wegen Störungen in der Stadt entfallen die Linien 8, 9 und 11“, war durch den Lautsprecher am Dresdner Postplatz zu hören. Haben die „Störungen in der Stadt“ vielleicht etwas mit den über der Neustadt kreisenden Hubschraubern zu tun? Wem es gelang, durch die Polizeiketten an den Elbbrücken Dresdens zu kommen, war klar: Die so genannten Störungen sind politische Auseinandersetzungen. Und zwar Auseinandersetzungen, die in einer demokratischen Gesellschaft geführt werden müssen, die sich mit Geschichtsrevisionismus nicht abfinden kann.

Blockade geglückt!

Am 13. Februar, zum Jahrestag der alliierten Bombardierung, befindet sich Dresden regelmäßig im Ausnahmezustand. In den vergangenen Jahren gelang es den Nazis ihre Holocaust leugnenden Parolen und Transparente zur Schau zu stellen. Dieses Jahr ist es durch erfolgreiche Blockaden des Bündnisses „Dresden – Nazifrei“ geglückt, den größten Alt- und Neonaziaufmarsch Europas zu verhindern. Zwischen 10.000 und 12.000 Menschen blockierten alle möglichen Demonstrationsrouten vom Neustädter Bahnhof in die Stadt – den rund 6.500 Nazis verging das Lachen. Sie mussten sich mit einer Kundgebung begnügen. Nun, sie wollten ja ohnehin trauern.

Am Donnerstag Abend entschied das Oberverwaltungsgericht in Bautzen: Die Alt- und Neonazis dürfen laufen. Und das auch noch mit dem Neustädter Bahnhof als Startpunkt. Dem Bahnhof, von dem aus Jüdinnen und Juden während des Zweiten Weltkriegs in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden. Das allein war für viele Grund genug, um am Samstag, dem 13. Februar, ganz zeitig aufzustehen und an die entscheidenden Straßenkreuzungen zu pilgern. Und noch vor 12.00Uhr, dem offiziellen Start der Nazidemonstration, wurde von den Lautsprecherwagen an den einzelnen Blockadepunkten verkündet: „Alles blockiert! Wenn wir jetzt durchhalten, müssen die Nazis wieder nach Hause fahren“. Doch das dauerte noch einige ereignisreiche Stunden. Von 12.00 bis 17.00Uhr reichte das erlaubte Zeitfenster der Nazis. Währenddessen wurde es auch in der Dresdner Altstadt voller. Das interreligiöse Friedensgebet und die Menschenkette zeigten, wie vielfältig Protestformen gegen Neonazis sein können.

Mit Knüppeln ausgestattet

Blockaden halten ist schwierig. Besonders, wenn aus unterschiedlichen Richtungen mehr und mehr Nazis anreisen. Zuerst wirkte das ca. 300 Personen umfassende Häufchen am Bahnhof noch sehr kläglich. Doch mit vollen Bussen erreichten mehrere tausend Dresden und wurde zu Fuß zu ihren ausharrenden, geschichtsrevisionistischen Kamerad*innen gelotst, die sich derweil mit einer Gulaschkanone bei Laune hielten. Mit dabei waren später unter anderem Thomas Wulff, NPD Bundesvorstandsmitglied, und Frank Rennicke, beliebter Liedermacher in der Naziszene. Trotz den Hubschraubern, Wasserwerfern und über 5.600 Beamtinnen und Beamten im Einsatz gelang es der Polizei nicht immer, die Neonazis im Zaum zu halten. Mehrmals wurden Blockaden der Gegendemonstrierenden angegriffen. „Wir versuchen diese Gruppen zu trennen, können in der doch recht unübersichtlichen Neustadt aber nicht überall gleichzeitig sein“, gibt ein Polizeisprecher gegenüber dem MDR zu. Mit Knüppeln ausgestattet zeigten die vermeintlich zur Trauer angereisten Nazis ihre eigentlichen Ziele. Schon am Vorabend, Freitag, den 12. Februar, wurde das alternative Zentrum AZ Conni angegriffen, wie die Sächsische Zeitung am Samstag berichtete. Auch am Neustädter Bahnhof heizte sich die Stimmung auf. Flaschen und Fahnenstangen flogen aus dem Nazipulk gegen die Polizei. „Die Straßen frei der deutschen Jugend!“, grölten sie. Und die Hubschrauber kreisten immer noch.

Aufpassen auf der Rückfahrt

Doch das alles nutze ihnen nichts. Es waren einfach zu viele und flinke Gegendemonstrant*innen, die sich mittels Aktionsradio, Twitter und WAP-Ticker koordinierten. Damit ist es möglich, vielen Menschen schnell Informationen zukommen zu lassen. So können sie entscheiden, was sie als nächstes tun werden. Protest 2.0 sozusagen. Die Alt- und Neonazis mussten ohne ihren Trauermarsch zurückfahren. Doch so unbefriedigt wollten sie dann nicht schlafen gehen: in Pirna und Leipzig soll es laut dem Ticker des Organisationsbündnisses noch am späteren Abend spontane Nazidemonstrationen gegeben haben. Die Veranstalter*innen der Blockaden warnten vor Nazi-Übergriffen während der Rückfahrt. Im Jahr zuvor wurde ein Gewerkschaftsbus auf der thüringischen Raststätte Teufelstal angegriffen. Bis heute ist allerdings keine Anklage in Sicht. So erfreulich eine verhinderte Neonazidemonstration auch ist, das Problem ist damit leider noch nicht gelöst.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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