Weiter zum Inhalt

„Wir vergessen dich nicht“ Amadeu Antonio, sein Vermächtnis und der Kampf von Palanca

Der Mord an Amadeu Antonio 1990 war kein Einzelfall, sondern ein Fanal. Schwarze Menschen in Deutschland erfuhren in dieser Zeit systematischen Ausschluss: auf der Straße, in Behörden, in Institutionen. Ein Gespräch mit seinem Freund Augusto Jone Munjunga zeigt, wie präsent diese Erfahrungen bis heute sind.

 
Im Gespräch: Augusto Jone Munjunga, Vorsitzender des Vereins „Palanca“ und Freund von Amadeu Antonio (Quelle: Nicholas Potter)

Vor 35 Jahren verstarb Amadeu Antonio in Eberswalde. Eine Gruppe aus 50 jungen Rechtsextremen jagte den damals 28-Jährigen in der Nacht zum 25. November 1990 durch Eberswalde. Die Polizei beobachtete das Szenario und griff nicht ein. Am 6. Dezember verstarb der Angolaner, einer der ersten von inzwischen 221 Todesopfern rechter Gewalt seit der Wende.

Der Tod von Amadeu Antonio stellt auch eine Zäsur für den Anti-Schwarzen Rassismus in Deutschland dar, denn er gilt als das erste Opfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung. Aber nicht nur auf der symbolischen Ebene war und ist dies ein trauriger Einschnitt, sondern auch ganz konkret im Leben von Schwarzen in der BRD. Amadeu Antonio steht heute für etwas, das weit über den einzelnen Fall hinausweist: die Kontinuität des Anti-Schwarzen Rassismus in Deutschland, vor und nach 1990, in Ost und West, im Alltag wie in den Institutionen.

Augusto Jone Munjunga, war ein Freund von Amadeu Antonio. Im Gespräch mit Belltower.News erzählt er, wie viel ihm der Todestag und das Andenken an seinen Freund bedeutet: „Ich sage immer, das hätte mich treffen können, und darum sage ich auch, dass das ein Teil von meiner Biografie, von meinem Leben ist. Und wenn ich jetzt an die Tat denke, dann sage ich: Bruder Amadeu, wir vergessen dich nicht. Er war wirklich so ein netter Mensch. Und das ist so wie bei einer Familie. Wenn man jemanden aus der Familie verliert, vergisst man das nicht.“

Munjunga versucht seither, das Erinnern an seinen Freund wachzuhalten und gleichzeitig auf Kontinuitäten von Anti-Schwarzem Rassismus aufmerksam zu machen. So erinnert er sich etwa, dass es in der DDR keine Ehen und keine gemeinsamen Kinder von Schwarzen und Weißen geben durfte.

„Wir waren alle Familie, wir waren Freunde und Kollegen, haben zusammengearbeitet, wurden beide unter falschen Versprechen in die DDR gelockt.“ Eigentlich sollte er die Möglichkeit bekommen, einen Beruf zu erlernen, aber musste dann, wie auch Amadeu Antonio, im „Schlacht- und Vorbereitungskombinat“ in Eberswalde arbeiten. Als sich gegen diese Praxis Widerstand in Form von Streiks unter den dort zur Arbeit Gezwungenen formierte, wurde ihnen gedroht, dass sie ihre Familien nie wieder zu sehen bekämen.

Dann kam die Wende. „Und jetzt jagen die uns auf der Straße“, erinnert sich Munjunga. Manche Geschäfte konnte er nicht betreten, weil es zu gefährlich war. Der Höhepunkt der rassistischen Gewalt war schließlich die Jagd auf seinen Freund Amadeu Antonio am 25. November 1990. Von Rechtsextremen zusammengeschlagen, kam er nicht wieder zu Bewusstsein und erlag Tage später seinen Verletzungen.

Palanca

Nach dem Tod von Amadeu Antonio gab es bei einigen den Bedarf nach einem Ort des Zusammenkommens, doch nicht nur für die gemeinsame Trauer und Erinnerung, sondern auch ein Ort zum Treffen, für Kinder und Erwachsene, denn, so Munjunga, „wir lachen gerne, wir tanzen gerne, wir spielen gerne“. Diese Praktiken waren jedoch nicht bloß zweckfreie Freizeit, sondern vielmehr kollektive Überlebensstrategie, Formen des Selbstschutzes und des Zusammenhalts in einer Stadt, in der Schwarze Menschen die öffentlichen Räume fürchten mussten. So wurde 1994 der Afrikanische Kulturverein Palanca gegründet, ein Ort der interkulturellen Begegnung und Bildung. Palanca, zu Deutsch Antilope, sei ein wichtiges Symbol in Angola, das ihre Herkunft auch in Eberswalde symbolisieren sollte, schildert Munjunga, Gründungsmitglied.

Doch diesen Ort der Begegnung sehen wohl nicht alle Eberswalder gerne: Am 21. März 2000 wurden die Räumlichkeiten in Brand gesetzt. Ein Anschlag auf den Verein: „Alles, was wir hatten wurde damals vernichtet“, so Munjunga. Der Verein habe damals kaum Unterstützung erfahren.

Doch allen Rückschlägen zum Trotz kann Palanca auf eine über 30-jährige Geschichte zurückblicken, in der verschiedene Angebote zur interkulturellen Verständigung und Bildung auf dem Programm standen, aber auch Monitoring rassistischer Vorfälle in Barnim oder ein Wohnprojekt für Geflüchtete unabhängig vom Aufenthaltsstatus.

Munjunga erzählt  von den Workshops und Fragerunden in Schulen, in denen die Schüler*innen Fragen stellen können, beispielsweise zum Leben Schwarzer in Deutschland oder zu kulturellen Praxen in Angola. Außerdem gibt es aktuell die Veranstaltungsreihe „Taste of Barnim“, bei der ein bis zwei Mal im Monat eine Region kulinarisch vorgestellt wird, bisher unter anderem sudanesisch, kurdisch, afghanisch oder arabisch.

Herausforderungen für Palanca heute

Palanca steht auch heute, 35 Jahre nach Amadeu Antonios Tod, weiterhin vor strukturellen Hürden: fehlende Räume, unsichere Finanzierung, politische Blockaden und institutioneller Rassismus, der sich zwar subtil, aber ungemein nachhaltig zeigt. Der zuvor beschriebene Ort des Lachens und Tanzens ist damit nicht nur Erinnerungsort der 1990er Jahre, sondern nach wie vor notwendiger Überlebensraum, ein Raum, der stets neu erkämpft und finanziert werden muss. Wie Munjunga schildert, zeigt sich rassistische Kontinuität heute an Stellen, die weit weniger sichtbar sind als offene Beleidigungen oder körperliche Angriffe, nämlich dort, wo Schwarze Menschen und ihre Selbstorganisierung an institutionelle Grenzen stoßen.

Während Palanca seit Jahrzehnten Verantwortung in der Stadt übernimmt, zeigt sich an vielen Stellen, wie gering die tatsächlichen Auswirkungen selbst breit geführter gesellschaftlicher Debatten geblieben sind. Auch auf die Frage, ob die öffentliche Aufmerksamkeit nach Black Lives Matter zu besseren Zugängen oder politischer Unterstützung geführt habe, antwortet Munjunga knapp: „Das hat nichts verändert.“ Weder gestiegene Sichtbarkeit noch die mediale Auseinandersetzung mit Anti-Schwarzem Rassismus haben dazu geführt, dass sich die Anliegen des Vereins leichter durchsetzen ließen. Vieles bleibe, so lässt sich aus Munjungas Schilderungen lesen, symbolische Anerkennung ohne strukturelle Konsequenzen.

So scheiterten etwa die Versuche, eine Straße nach Amadeu Antonio zu benennen, über Jahre hinweg am Widerstand von Bürger*innen. Munjunga erinnert sich, was dass ihm damals vorgeworfen wurde: ‘Jetzt fangt ihr mit der Straße an und später wollt ihr uns noch die Stadt wegnehmen.’ Und selbst die Einrichtung eines Bürgerbildungszentrums, welches Amadeu Antonios Namen trägt, hat bis heute nicht dazu geführt, dass Palanca dort Räume erhält. Ein weiteres Beispiel dafür, dass würdige Gesten zwar möglich sind, sich aber die materiellen Bedingungen für Betroffene kaum ändern.

Ähnliche Erfahrungen macht Palanca im Kontakt mit Behörden. Für ihn ist das ein Beispiel für institutionellen Rassismus. Auch innerhalb der Förderlandschaft verweist Munjunga auf eine Ungleichbehandlung, die sich entlang von Hautfarbe und rassifizierter Zugehörigkeit einschreibt. Munjunga verweist hier auf eine Dynamik, welche in der Forschung zu Anti-Schwarzem Rassismus vielfach beschrieben wurde: Schwarzsein wird innerhalb ohnehin marginalisierter Gruppen zusätzlich markiert und abgewertet. Anti-Schwarzer Rassismus wirkt damit nicht nur innerhalb der weißen Mehrheitsgesellschaft, sondern hierarchisiert auch rassifizierte Communities selbst.

Hinzu kommt ein politisches Klima, in dem rechte Akteure wie die AfD Rassismus normalisieren und gleichzeitig antirassistische Arbeit ganz konkret behindern. Munjunga betont: „Die AfD versucht manchmal unsere Anträge zu blockieren, die wollen nicht, dass Palanca gefördert wird.“ Gleichzeitig verweist er darauf, dass staatliche Sparpolitik ausgerechnet jene Projekte schwächt, die vor Ort gegen Rassismus arbeiten.

Zwar gibt es inzwischen einzelne Förderungen, etwa durch das Bundeskanzleramt, doch auch diese reichen nicht aus, um die Arbeit zu verfestigen: „Wir wollen noch mehr machen, aber das können wir nicht, wenn wir keine Mittel haben.“

Die Folgen dieser dauerhaften Prekarität sind auch innerhalb der Community spürbar. „Das ehrenamtlich zu machen, das kostet viel Kraft und viele von uns gehen dann weg, weil sie hier keine Perspektive haben.“

Es wird deutlich, dass viele Orte des Überlebens, welche in den 1990er-Jahren entstanden sind, nicht einfach gesichert sind, sondern in einem ständigen Spannungsverhältnis von symbolischer Anerkennung, strukturellem Ausschluss und prekären Förderbedingungen stehen. Gerade weil Palanca bis heute Eberswalde als eine „Stadt für alle“ einfordert, braucht es diese Räume und zugleich verlässliche politische und finanzielle Strukturen.

„Dass wir für unsere Kinder etwas schaffen“

Beim Blick in die Zukunft fokussiert Munjunga zwei Aspekte. Geprägt von seiner eigenen, persönlichen Geschichte, sowie in Anbetracht des aktuellen Erstarkens rechter Kräfte hat er Angst davor, dass die rechtsextremen Ausschreitungen und Übergriffe der 1990er-Jahre wiederkehren.

Nichtsdestotrotz bewahrt sich Munjunga die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft, was allerdings viel Kraft und Mut kostet. Trotzdem müsse man diese Anstrengungen auf sich nehmen für die Zukunft der eigenen Kinder. „Die gehen jetzt in die Schule und da müssen wir als Eltern wirklich am Ball bleiben, dass wir für unsere Kinder etwas schaffen.“

Belltower.News macht gemeinnützigen Journalismus, denn wir klären auf und machen das Wissen von Expert*innen zu Antisemitismus, Rassismus und
Rechtsextremismus und allen anderen Themen der Amadeu Antonio Stiftung für alle zugänglich.
Unsere Reportagen, Recherchen und Hintergründe sind immer frei verfügbar und verschwinden nie hinter einer Paywall. Dafür brauchen wir aber auch deine Hilfe.
Bitte unterstütze unseren Journalismus, du hilfst damit der digitalen Zivilgesellschaft!

Weiterlesen

Amadeu Antonio in jungen Jahren.

Todestag Amadeu Antonio Erschlagen vom Nazi-Mob, während die Polizei zusah

50 Rechtsextremen jagen den jungen Amadeu Antonio in der Nacht zum 25. November 1990 durch Eberswalde. Die Polizei beobachtet alles und greift nicht ein. Ein Rückblick auf den Mord.

Von
Mit Akzent und ohne Kiowa: Der Pass von Amadeu António

Amadeu Antonio Eine Zeitungsente namens Kiowa

Immer wieder wird Amadeu Antonio „Kiowa“ genannt. Belastbare Belege für den Namen gibt es bislang keine. Auch seine Freund*innen und…

Von
DSC01264

Preis gegen Rassismus Dessau Afro Festival gewinnt Amadeu Antonio Preis 2025

Die Amadeu Antonio Stiftung würdigt Initiativen, die sich im ländlichen Ostdeutschland engagieren. Angesichts zunehmender rechter Mobilisierung richtet der Preis seinen Fokus neu aus.

Von

Schlagen Sie Wissenswertes in unserem Lexikon nach.