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Antijüdische Stereotypen „Antisemitismus ist weiterhin schreckliche Realität …“

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Die Veranstaltung fand im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus statt und wurde von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und dem Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus organisiert. Im Folgenden wird das Grußwort von Lala Süsskind, von 2008 bis 2012 Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, dokumentiert.

Mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wollten Deutschland und Israel heute in Berlin eine gemeinsame Kabinettssitzung abhalten. Diese ist wegen einer Erkrankung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf Anfang 2010 verschoben worden. Die Kabinettsitzung wurde von Neonazis heftig angegriffen. In dem antisemitischen „National Journal“ wurde die BRD bereits als „neues Israel“ herbeiphantasiert: Israel solle auf dem deutschem Boden entstehen und das Treffen sei eine „Probesitzung der israelischen Regierung in Berlin“. Da Israel im Nahen Osten nicht langfristig existieren könne, sei man inzwischen „in einem fortgeschrittenen Stadium des Planes zur Errichtung eines neuen Judenstaates auf deutschem Boden“ angelangt.

Doch auch unter Aktivisten, die aus der linken Szene hervorgegangen sind, sorgte die Sitzung für Unmut. So mobilisierte der Publizist Jürgen Elsässer, Gründer der so genannten „Volksinitiative“, zu einer Demonstration unter dem Titel „Keine Steuergelder für Israels Kriegspolitik!“, die heute Mittag in Berlin stattfand. Interessant ist an dieser Stelle auch, wer noch zu der Veranstaltung aufrief: Zum einen der Journalist Christoph Hörstel, der bis 2006 Beiratsmitglied der „Deutsch-Arabischen Gesellschaft“ (DAG) gewesen ist, mit seiner Gruppe „Bürgerbewegung Neue Mitte“. Zum anderen die islamistische Gruppe „Quds-AG“, die jährlich am Al Quds-Tag zu einer antiisraelischen und antisemitischen Demonstration in Berlin aufruft.

Unheimliche Allianzen

Allein diese Demonstration mit ihren Organisatoren zeigt, dass Antisemitismus unheimliche Allianzen bilden und Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen zu Verbündeten machen kann. Dass Antisemitismus – oft getarnt als Israelkritik – in allen Teilen der deutschen Gesellschaft zu finden ist, möchte ich im folgenden noch näher erläutern.

Das Hamburger Kinokollektiv B-Movie und die linke Gruppe „Kritikmaximierung“ plante, Ende Oktober den Film „Warum Israel“ von Claude Lanzmann zu zeigen. Dies wurde von Mitgliedern eines ebenfalls links stehenden antiimperialistischen Zentrums mit Gewalt verhindert. Die vermummten Demonstranten versperrten das Kino und hinderten die Besucher am Betreten. Sie wollten auf das angebliche Apartheids-Schicksal der Palästinenser aufmerksam machen, wobei sie einen Checkpoint simulierten und Zuschauer mit Holzgewehren und Schlaghandschuhen angriffen und verletzten. In ihrer pauschalen Verurteilung Israels und einäugigen Solidarität schreckten die selbsternannten Antifaschisten auch nicht vor antisemitischen Klischees zurück. So sollen die Kinobesucher unter anderem als „Judenschweine“ beschimpft worden sein.

Auch der islamische Antisemitismus nimmt immer gewalttätigere Züge an. So gab es in Deutschland Anfang dieses Jahres im Zuge des Gaza-Konflikts unzählige anti-israelische Demonstrationen, auf denen „Tod Tod Israel“ und weitere antisemitische Parolen gerufen wurden, Israelflaggen verbrannt wurden und der israelische Staat mit Nazi-Deutschland gleichgesetzt wurde.
Außerdem werden zunehmend muslimische Jugendliche durch islamistische Organisationen wie Hisbollah oder Hamas aufgehetzt. Einige dieser demokratiefeindlichen und antisemitischen Gruppierungen sind in Deutschland bis heute nicht verboten.

Eine nicht zu unterschätzende Gefahr

Natürlich darf auch die rechtsextreme Szene nicht aus dem Blickfeld geraten, in der Antisemitismus nach wie vor eines der wichtigsten Ideologiefragmente ist. Die Zahl der Neonazis in Deutschland ist laut Verfassungsschutzbericht im vergangenen Jahr gestiegen, ebenso kam es zu deutlich mehr rechtsradikal motivierten Delikten. Überdies kann die NPD weiterhin legale Strukturen nutzen, um ihre menschenverachtende Ideologie zu verbreiten.

Doch wie sieht es in der deutschen Mehrheitsgesellschaft aus? Betrachtet man gegenwärtige Studien, sind auch hier die Ergebnisse alarmierend. Eine in diesen Tagen erschienene Studie des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld zeigt, dass Antisemitismus sich nicht auf die vermeintlichen Randgruppen der Gesellschaft beschränkt und nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Demokratie darstellt. Laut der im Rahmen der Studie getätigten Umfragen stimmt ein Viertel der Europäer der Aussage zu, dass „Juden zu viel Einfluss“ in ihrem Land haben – ein traditionelles antisemitisches Stereotyp. Auch die Aussage, dass Israel einen Krieg der Vernichtung gegen die Palästinenser führt, ist mit knapp 50 % unter den Europäern zustimmungsfähig. Zudem vermuten über 42 %, dass Juden einen Vorteil daraus ziehen wollen, dass sie während der Zeit des Nationalsozialismus Opfer waren – bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass Deutschland hier mit fast 50% deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegt.

Leider ist Antisemitismus nach der Shoa nicht, wie viele gehofft haben, verschwunden, sondern weiterhin schreckliche Realität – in Deutschland und weltweit.
Wie soll die Bundesregierung mit diesen demokratiefeindlichen, antisemitischen Tendenzen umgehen? Welche Akzente müssen gesetzt werden? Und was können wir als Demokraten tun, um Antisemitismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen wirksam entgegenzutreten?
Wir haben Vertreter*nnen aus Politik und Medien eingeladen, um über diese Fragen zu diskutieren.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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