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„Es gibt offenen Hass gegen Sinti und Roma“

Armut, Arbeitslosigkeit und rassistische Vorurteile bestimmen das Leben vieler Sinti und Roma in Südosteuropa. Zusammen mit dem Journalisten Timo Robben und den Fotografen Florian Manz und Gustav Pursche hat der Journalist Sebastian Heidelberger eine audiovisuelle Reportage über das Schicksal einer Roma-Familie in Tschechien erstellt. Ein Interview.

 
(Quelle: Florian Manz/ Kollektiv 25)

Netz gegen Nazis: Wie seid ihr auf das Thema aufmerksam geworden und wie kam es dann zur eurer Reportage?

Sebastian Heidelberger: Nun, das war eher Zufall. Eine Freundin aus Tschechien von mir hat berichtet, dass eine Roma-Familie aufgefordert worden ist, ihre Wohnung zu verlassen. Die dortige Polizei wolle in weniger als 24 Stunden die Wohnung räumen. Es war also eine Art Hilferuf.

Wie war es dann, als ihr dort angekommen seid?

Zunächst war die Situation ziemlich angespannt. Wir sind ohne fundierte Vorkenntnisse hingefahren, wurden aber von Aktivisten dort sehr unterstützt, indem sie für uns übersetzten und uns die Umstände sehr genau beschrieben haben. Da war uns klar, dass wir genug Inhalt und Substanz hatten, um eine Reportage über dieses Thema zu schreiben und mit Fotos bildlich zu dokumentieren.

Gibt es in Tschechien denn ein Bewusstsein für die Situation der Sinti und Roma?

Es gibt offenen Has gegenüber den dort lebenden Sinti und Roma. Sie müssen oft in regelrechten Ghettos leben, wo es kein warmes Wasser oder Strom gibt. Es ist der klassische Fall von Ausgrenzung.

Und wie ist die Rolle der Medien dort zu beurteilen?

Die dortigen Medien haben bei den Sinti und Roma kein großes Vertrauen. Im Gegenteil, die Medien hetzen gegen sie, indem die Sinti und Roma beispielsweise als „Schmarotzer“ denunziert werden. So bildet sich in der Öffentlichkeit natürlich kein positives Bild.

Welche Beobachtungen dort waren für euch am eindrücklichsten?

Der erste Eindruck war ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit. Die Armut, die dort vorherrscht, kann man sich hier in Deutschland nicht vorstellen. Die Sinti und Roma werden teilweise wie der letzte Dreck behandelt. Es ist ein wahrer Teufelskreis. Denn bereits die Kinder bekommen keinen Zugang zu vernünftiger Bildung. Roma-Kinder werden auf Sonderschulen geschickt. Dementsprechend bekommen sie keinen Arbeitsplatz und bleiben so in mehreren Generationen in der Armut gefangen. Es macht mich wütend, wenn ich sehe, wie Menschen systematisch ausgegrenzt werden und ihnen grundlegende Dinge wie Wohnung, warmes Wasser oder Strom vorenthalten werden, weil Vorurteile die Entscheidungen beeinflussen.

Kein Platz für Roma from Sebastian Heidelberger on Vimeo.

Etwas was mich positiv beeindruckt hat, war der Umstand, dass es trotz der rassistischen Ressentiments gegen Sinti und Roma Gruppen in der Bevölkerung gibt, die sich mit der Situation nicht abfinden. Viele Aktivistinnen und Aktivisten haben in unserem konkreten Fall dafür protestiert, dass die Familie nicht aus ihrer Wohnung geschmissen wird. Eine dortige Wohnungsbaugesellschaft hat der Familie dann zumindest Wohnraum überlassen. Trotzdem bleibt die Lebenssituation für diese Menschen insgesamt unwürdig.

Am 24. Oktober 2012 ist in Berlin das Mahnmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma eingeweiht worden. Kann man das als Zeichen bewerten, dass es in Deutschland ein öffentliches Bewusstsein für die Situation der Sinti und Roma gibt, auch angesichts der Tatsache, dass nach einer Umfrage bei 60 bis 70% der deutschen Bevölkerung Vorurteile gegen Sinti und Roma vorherrschen?

Ich finde, dass die Einweihung ziemlich spät kommt. Natürlich begrüßt der Zentralrat der Sinti und Roma die Einweihung als positives Zeichen. Trotzdem gibt es für die Sinti und Roma keine positive Öffentlichkeit. Nicht zuletzt die deutschen Medien bedienen Vorurteile und Klischees. Auch, wenn unsere Reportage die Situation in Tschechien thematisiert, kann man leider auch in der deutschen Gesellschaft eine beinahe feindliche und ablehnende Atmosphäre gegenüber Sinti und Roma beobachten.

Das zeigt sich auch an Bundesinnenminister Friedrichs Forderungen, härter gegen Zuwanderung in die Sozialsysteme vorzugehen.

So ist es. Das führt die öffentliche Diskussion leider in eine negative Richtung und trägt wenig zur Lösung des Problems bei.     

Was wollt ihr mit eurer Reportage erreichen?

Wir wollen Aufmerksamkeit für eine Gruppe von Menschen schaffen, die von Politik und Öffentlichkeit ungerecht behandelt wird. Es geht uns darum, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, denen sonst niemand zuhört. Wir wollten keine abstrakten politischen Ereignisse beschreiben, keine trockene wissenschaftliche Abhandlung verfassen, die sowieso keiner liest. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Gefühle und Emotionen von Menschen, die menschenunwürdig behandelt werden.

Das Interview führte Dennis Wellmann

 

Die Macher:

Sebastian Heidelberger, geboren 1986, arbeitet als freier Journalist und Filmemacher in Hamburg. Er studierte Internationale Fachjournalistik an der Hochschule Bremen und Film und Fernsehen an der Istanbul Bilgi University (Türkei).

Gustav Pursche, geboren 1987 in Zittau, arbeitet als freier Fotojournalist. Er studierte  Soziologie & Geschichte in Potsdam sowie Fotojournalismus & Dokumentarfotografie in Hannover. Seit 2013 ist er Teil des Fotografenkollektivs „Visual-rebellion„. 

Florian Manz, geboren1982 in Stuttgart, ist u.a. im Kollektiv 25 aktiv . Nach seiner Ausbildung zum Fotografen nahm er 2007 das Fotojournalismus-Studium an der Fachhochschule Hannover auf. Er lebt und arbeitet in Bremen.

Timo Robben arbeitet als freier Journalist für diverse Zeitungen und Zeitschriften in Bremen. Er studierte von 2009 bis 2013 Internationale Fachjournalistik in Bremen und verbrachte ein Semester am Manipal Institute of  Communications in Indien.

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