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Gegen Rechtsextremismus Platzverweis in Dresden

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c www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / fs / hk

 

Die Jüdische Gemeinde zu Dresden hat zu einem öffentlichen Gottesdienst eingeladen. Sie wollen gemeinsam mit vielen anderen „gegen Geschichtsverfälschung und die Präsenz der Rechtsextremen protestieren“. Diese hatten nämlich angekündigt, ihren „Trauermarsch“ direkt an der Synagoge vorbeizuführen.

Mit einer wirklich ehrenwerten und gelungenen Aktion startete also der Tag der zivilgesellschaftlichen Initiativen: Um viertel vor zehn steht eine überschaubare Schlange vor dem Eingang der neuen jüdischen Synagoge. Unter ihnen viele Christen. Sie alle wollen an diesem Samstag einen Ort der Begegnung schaffen. Nicht so sehr zwischen Juden und Christen: vielmehr von Menschen, die gemeinsam für etwas stehen.

Schnell füllt sich die Synagoge: Kopfbedeckung für die Männer, die sich dann auf die rechte Seite setzen. Links die Frauen. Überall Kameras.

Von dieser Kulisse sichtlich ergriffen bedankt sich Landesrabbiner Dr. Salomon Almekias-Siegl für die Solidarität aller Bürger mit den Juden. Seine Aufgeregtheit kann er nicht verheimlichen. Während des Gottesdienstes dreht er sich immer wieder zur Gemeinde, um typische Prozeduren zu erklären. In einer Abschlusspredigt zeigt er auf das ewige Licht der Synagoge: nie wieder soll es erlischen. Eine nachdenkliche Stimmung verbreitet sich unter den Anwesenden. Schließlich wissen alle, dass sich in der Stadt derzeit mehrere Tausend Nazis befinden.

Auf dem morgensonnigen Hof der Synagoge reden die Vertreter der christlichen Kirchen. Es gibt einen Imbiss.

Am Ende dieser schönen Auftaktveranstaltung von Bürgern gegen Rechtsextremismus hat sich die Umwelt auf den Aufmarsch der Rechtsextremen eingestellt. Die Synagoge ist ringsum abgesperrt.

Doch nicht nur die polizeilichen Einsatzkräfte bereiten sich an diesem Morgen vor. In der Neustadt, auf der anderen Seite der Elbe findet gerade eine Kennenlernrunde statt. In der Friedrich-Ebert-Stiftung sind Vertreter der Jusos Sachsen und des Projektes Endstation Rechts Mecklenburg-Vorpommern zusammengekommen: In Sachsen soll endlich etwas getan werden. Das in Mecklenburg-Vorpommern erfolgreiche Projekt „Endstation rechts“ soll es jetzt auch in Sachsen geben. Es werden noch die letzten Plakate geklebt, Artikel für die Sachsener Website von Endstation rechts verteilt.

Sebastian Vogel ist aufgeregt, fröhlich. Er freut sich, etwas tun zu können gegen den alljährlichen Aufmarsch der rechten Systemgegner. Seit Jahren versuchen zivilgesellschaftlich Engagierte eine große bürgerliche Demonstration auf die Beine zu stellen. Schließlich ist Dresden die einzige große Hauptstadt, die mit bürgerlichem Engagement nicht gerade glänzen kann, wenn die Rechtsextremen „trauernd“ durch die Innenstadt ziehen. Doch er sieht Fortschritte: „Es gab einen Aufmerksamkeitsschub nach der ersten Demo 2005“, erklärt Sebastian. Er war Mitorganisator der Demo 2005. Das große Problem sieht er in der Politik: „Die Stadt an sich tut sich schwer. Was für ein Kampf wir mit denen hatten, bis wir erstmal Plakate aufhängen durften.“ Er findet es gut, dass die Stadt jetzt an dem Projekt beteiligt ist. Vor allem, dass Oberbürgermeister Dr. Lutz Vogel auf der Kundgebung der Demonstration sprechen wird. Genug ist das für ihn trotzdem nicht: „Warum lässt die Stadt die Rechtsextremen durch die gesamte Innenstadt laufen? Man könnte ihnen auch eine andere Route geben.“

Aber es bleibt keine Zeit zum Aufregen. Aufbruchsstimmung. Rund 30 Leute treffen sich jetzt an der Carolabrücke, um den Riesenbanner vom Netzwerk Courage zu bestaunen: „Kein Sex mit Nazis“ steht drauf. Eine Aktion vom Netzwerk Courage, deren damalige Projektleiterin für Sachsen, die spätere SPD-Bundestagsabgeordnete Susann Rüthrich (2013-2021) routiniert ist. Sie findet die Kooperation der Stadt auch unzulänglich, aber wenigstens ist sie jetzt an dem Projekt beteiligt. Ein kleiner Fortschritt ist schließlich trotzdem ein Fortschritt.

Transparentträger „Geh denken“

Als sich die Bürger*innen am Goldenen Reiter hinter dem Frontbanner „Geh Denken“ sammeln, herrscht komische Stimmung. Es scheint nicht so, als wären alle wegen eines gemeinsamen Ziels hier. Es ist ein gemischtes Publikum: Viele Bürger sind gekommen: gebürtige Dresdner. Sie sind zerrissen. 1945 sahen sie die Stadt brennen und können heute nicht fassen, dass die braune Ideologie wieder in den Köpfen so vieler steckt.

Neben diesen Bürger*innen trifft man Vertreter*innen aller Parteien. Doch hier ist Cliquenbildung. Die Jusos und die SPD, die Grünen, Die Linke – und fleißig wird gezählt, wer mit mehr Fahnen auftrumpfen kann. Der Koloss setzt sich in Bewegung. Doch diese Stimmung, die während der Fußball-WM Millionen verband, dieses Gemeinsame, was Fremde eint, kommt nicht auf. Überhaupt scheint diese Veranstaltung mehr als Werbeplattform genutzt zu werden. Christian Demuth, aktiv bei Bürger Courage verteilt ganz fleißig kleine Buttons. Er ist überwältigt vom diesjährigen Engagement: „Letztes Jahr war das Durchschnittsalter viel geringer. Es sind viel mehr Bürger hier heute.“

Bei der ersten Zwischenkundgebung rollen Wasserwerfer, Schieber und mehrere Hundertschaften an: es wird lauter, keiner hört mehr richtig zu.

Wird jetzt die bürgerliche Gegendemo auf den rechtsextremen „Trauermarsch“ treffen?

Eine dritte Demonstration an diesem Tag: die Antifa

Trotz Antrag, wurde der Antifa keine eigene Demonstration gestattet. Das hielt sie nicht davon ab, mit 1000 Leuten spontan den Marsch der Rechten zeitlich hinauszuzögern. Eingekesselt von der Polizei treffen sie auf die bürgerlichen. Dort erklären sie ihre Demonstration für beendet. Mehrmals bitten sie die Polizei, den Kessel aufzulösen. Anscheinend ist die Polizei skeptisch. Die Gewaltbereitschaft der Antifa ist kein unbeschriebenes Blatt. Doch schließlich gibt die Polizei nach. Der schwarze Block mischt sich mit der bürgerlichen Gegendemonstration.

Bei strahlend blauem Himmel und Sonnenschein ergibt sich ein Anblick, der einen mit Stolz erfüllen kann. Rund 3000 Menschen, die ein Zeichen setzen wollen gegen Rechtsextremismus, gegen die Gegner der Demokratie, gegen Ausländerfeindlichkeit.

Die Antifa löst sich innerhalb von fünf Minuten auf: der Kundgebungsort der Nazis ist raus. Am Postplatz wird die große Kundgebung stattfinden. Der schwarze Block ist weg. Und als hätte dieser emotionale Moment, das Wetter, die Umgebung sein übriges getan, wird auch die bürgerliche Gegendemonstration „Geh denken“ an diesem Ort aufgelöst.

Die Truppe der Jusos macht ein Foto und los geht’s, Fahnen wegbringen – schließlich ist Wochenende. Nach so einer erfolgreichen Kampagne strahlen alle.

Das Wetter ist an diesem Samstag Vorbote – am Postplatz ist die Stimmung eine andere. Hundertschaften, soweit das Auge reicht. Eine Mauer mit Polizeiwagen. Es fängt an zu regnen wird kalt. Es ist still. Hier und dort sieht man einen vermummten mit Sonnenbrille. Die Polizisten schicken alle weg. Der Postplatz ist für die Nazis reserviert. Wo sind die ganzen Leute alle hin, die vor einer Stunde noch am Carolaplatz Teil eines Zeichens gegen Rechtsextremismus waren? Doch es bleibt keine Zeit darüber nachzudenken, denn man hört schon von weitem, was man gar nicht sehen will. Gute alte, deutsche Blasmusik. Und dann nahen sie heran. Sehen kann man nicht viel – die Polizei hat alles dicht gemacht. Und in dem Moment kommen viele schwarze aus allen Richtungen und pfeifen. Die Kaiserreichsflagge wird gehisst. Gefangen zwischen Erinnerungspropaganda an den sogenannten „Bombenholocaust“ und „Halt die Fresse“ von der anderen Seite, erreicht einen eine ganz andere Stimmung. Hilflosigkeit.

Die volle Breite bürgerlichen Engagements gegen Rechts

Nach 10 Stunden Kälte zeigt sich an diesem Ort die volle Breite bürgerlichen Engagements gegen Rechtsextremismus in Dresden. Niemand ist mehr da. Dabei hätte es auf diesem großen Platz so viele Möglichkeiten gegeben, ein wirkliches Zeichen zu setzen. Die einzigen, die sich nicht unterkriegen lassen, sind die treuen Überbleibsel der Antifa. Das ist also die neue bürgerliche Scheinheiligkeit. Am schönen Samstagnachmittag für eine halbe Stunde spazieren gehen. Pünktlich zu Kaffee und Kuchen wieder daheim. Ein Zeichen gesetzt. Flagge gezeigt. Während 2000 Rechtsextreme, Gegner der Demokratie, Gegner von jedem einzelnen von uns, die erste Strophe des Deutschlandliedes erhaben von sich geben, flanieren auf der Prager Straße Jung und Alt. Traurig ist das. Noch viel trauriger ist allerdings, dass man noch nicht mal genau sagen kann, ob das Desinteresse wirklich Desinteresse ist oder stille Zustimmung.

Je weiter sich das Drama auf dem Postplatz zuspitzt, desto aggressiver reagieren auch die Beamten der Polizei. Die Anspannung ist groß. Immer wieder schleppen sie Gegendemonstranten ab. Sie schützen, wie falsch das auch klingen mag, die rechtsextremen Demonstranten. Vor dem völlig zertrümmerten Thor-Steinar-Laden gehen sie sogar gegen die Presse vor. Während der Ermittlungen dürfen keine Fotos gemacht werden. Denjenigen, die dieser Anordnung widersprechen, wird gedroht.

Tage wie dieser zeigen die Absurdität von rechtsextremen Veranstaltungen. Die Polizei eines demokratischen Staates schützt eine Demonstration von Menschen, die dieses System und alles, was dazugehört, verabscheuen und abschaffen wollen. Diese Situation führt sogar so weit, dass die Polizisten völlig unverhältnismäßig aggressiv gegen Zivilisten vorgehen, Fotos müssen gelöscht werden.

Weiter geht die verkehrte Welt in Dresden an diesem Abend. Fotos sind nicht gestattet. Mit allem Nachdruck verbieten die Beamten Fotographien. Dass jedoch hinter fast jedem Auto Rechtsextreme platziert sind, die jedes Gesicht fotografieren, bleibt unkommentiert.

Die Brutalität, der die Stadt in dieser Nacht ausgesetzt war, ist die eine Sache, gegen die nichts zu machen ist. Doch die bürgerliche Gegendemonstration „Geh denken“ ist ein zu kleiner Schritt in die richtige Richtung. Inkrementale Politik, die Politik der kleinen Schritte, ist an der Stelle erforderlich, wo man sonst nicht weiterkommt. Doch diese Politik ist in einer deutschen Großstadt, deren Narben auf die schreckliche Vergangenheit hinweisen, nicht angebracht. Schon gar nicht, wenn einem bizarrerweise vom Gegner vorgeführt wird, was richtiges Engagement heißt.

Franziska Schwarzmann

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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