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Kommentar Ein November ohne Ressentiments?

Vielleicht ist es nicht möglich, aber wünschen kann man es sich doch: eine Welt, ein Land, ein Ort, einen politischen Moment ganz ohne Ressentiments. Der November ist der Monat, in dem dieser Wunsch bei mir immer wieder stark wird und nach einem Ausdruck sucht.

 
Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung (bis Ende März 2022); Foto: MUT

Er betrifft vor allem mich selbst und die Freunde, Kollegen, Mitstreiter. Wir mögen engagiert sein gegen Rassismus und andere demokratiefeindliche Widerlichkeiten, und haben dennoch zuallererst uns selbst zu prüfen. Das ist nicht so einfach. Schwieriger jedenfalls als sich auf der moralisch sicheren Seite zu wähnen. Dieser November ist voller Konflikte, die Welt scheint ein weiteres Mal aus den Fugen zu geraten und überall regen sich Proteste gegen die Finanzindustrie. Und ich stehe da und wünsche mir vor allem, dass Ressentiments ausbleiben mögen. Zorn ja, Empörung, Ratlosigkeit, das alles brauchen wir, um uns in den Konflikten unserer Zeit zu orientieren. Aber Ressentiments – nein: die ersticken jeden Gedanken, jede Aktion, jede gute Idee.

November: Monat der Erinnerung

Im November erinnern wir uns an die Pogromnacht von 1938, bei der in Deutschland vom aufgeheizten Mob Synagogen angezündet und jüdische Geschäfte zerstört wurden. Dieser Erinnerung wegen organisiert die Amadeu Antonio Stiftung jeden November die Aktionswochen gegen Antisemitismus. Auch dieses Jahr zeigen Menschen überall in Deutschland auf hunderten Veranstaltungen, dass sie sich erinnern und sich auch der Herausforderungen des modernen Antisemitismus in Gestalt der Israelfeindschaft bewusst sind. Und ein weiteres Ereignis beschäftigt uns: Am 9. November vergeben die Amadeu Antonio Stiftung, die Freudenberg Stiftung und die Sebastian Cobler Stiftung den Sächsischen Förderpreis für Demokratie. Hier nimmt die Erinnerung realpolitische Züge an, denn es werden Projekte und Initiativen ausgezeichnet, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Sie tun das mit viel Mut und Kreativität, denn die Lage in Sachsen ist schwierig. Nazis sitzen in Parlamenten, in Kommunen wird die NPD oft als ganz normaler Partner behandelt und gleichzeitig wächst deren Gewaltbereitschaft. Und während sich der Freistaat in Theorien über Extremismus verheddert und die Demokratieinitiativen dabei behindert und beschädigt, dringen die Rechtsextremen immer tiefer in den Alltag ein.

Die eigenen Ressentiments überprüfen

Bei beiden Ereignissen scheinen die Rollen klar verteilt zu sein. Es ist gut, sich an den Holocaust zu erinnern und vor Antisemitismus heute zu warnen und es ist richtig, sich mit den Neonazis von heute auseinanderzusetzen und diejenigen herauszufordern, die es nicht oder nicht genug tun. Doch auch unter Nazigegnern gibt es Antisemitismus und unter Israelfreunden Rassismus. So klar ist es also nicht, denn dem Ressentiment kann man auch mit einer einmal gefundenen „guten“ oder „richtigen“ Einstellung zu den Fragen der Zeit nicht entrinnen. Und unsere Zeit ist sehr aufregend, ständig geschehen Dinge in der Welt, die in unsere gewohnten Klischees nicht passen wie der Aufbruch im Nahen Osten. Und selbst wenn sie in bekannte antikapitalistische Formeln zu passen scheinen, wie die Finanzkrise, entziehen sie sich den altbackenen schwarz-weiß-Kategorien.

Wir müssen also unsere Ressentiments jeden Tag überprüfen, so wie wir es auch bei anderen tun. Das ist nötig, damit beispielsweise die Occupy-Bewegung sich nicht von antisemitischen Verschwörungstheoretikern beeinflussen lässt. Oder unsere Arbeit gegen Rechtsextremismus oder Antisemitismus uns nicht so selbstgefällig werden lässt, wie wir es dem politischen Gegenüber zu Recht oft anlasten. Diese Zeit ist eine Herausforderung an uns alle. Sie verlangt uns viel ab und wir sollten erwachsen genug sein, gerade jetzt auf Ressentiments zu verzichten.

Das sind wir dem November schuldig.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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