Swipe: „Die brutale Realität über männliche Einsamkeit & toxischen Feminismus.“ Swipe: „Männer sind die Verlierer von heute.“ Swipe: „3 Gründe, warum Männer lieber einsam bleiben.“ Solche Inhalte liefern keinen Blick auf tatsächliche Lebenssituationen. Sie funktionieren über ein klares Rollenbild: Männer als Opfer, Frauen als Ursache, Feminismus als Gegner.
Denise Graupner ist Bildungsreferentin mit Schwerpunkt digitale politische Bildung und Geschlechterforschung. Sie arbeitet zu Antifeminismus, Desinformation und digitaler Radikalisierung.
Der Begriff „male loneliness epidemic“ („Epidemie der männlichen Einsamkeit“) klingt wissenschaftlich, wird aber in maskulinistischen Kontexten vor allem genutzt, um Krisenerzählungen zu verstärken und gesellschaftlichen Wandel in Frage zu stellen. Ja, viele Männer fühlen sich einsam, das zeigen einzelne Studien. Aber Einsamkeit betrifft alle Geschlechter. Problematisch ist nicht, dass das Gefühl benannt wird, sondern dass es zugespitzt und für andere Zwecke verwendet wird.
Neben Inhalten, die Einsamkeit ernsthaft thematisieren – etwa mit Blick auf psychische Belastungen, finanzielle Unsicherheit oder fehlende Räume für Austausch – gibt es auch Beiträge, die die Verantwortung dafür einseitig Frauen zuschreiben. Besonders in antifeministisch geprägten Formaten wird ein Bild von männlicher Unabhängigkeit als Ideal verkauft oder Feminismus als Ursache festgelegt.
Antifeminismus als Angebot
Das zeigt sich vor allem in der Manosphere, einem Sammelbegriff für Online-Räume, in denen Männer frauenfeindliche Ansichten teilen. Dort werden Erfahrungen wie Einsamkeit oder Überforderung oft nicht als Anlass für Reflexion genutzt, sondern als Argument gegen Rollenwandel und Feminismus.
Ein Beispiel dafür liefert der TikTok-Kanal „Master Your Mind“ (4,1 Mio. Likes). In Clips mit Aussagen wie „Was keiner versteht, ist, dass wir Männer ein extrem hartes Leben haben“ oder „Du bist traurig? Niemanden interessiert es, komm drüber hinweg“ wird Schmerz zwar benannt, aber sofort in Durchhalteparolen übersetzt. Eine Auseinandersetzung mit Ursachen findet nicht statt. Stattdessen gibt es Coachings, die mehr Kontrolle und Leistung versprechen.
Ähnlich funktioniert die Erzählung vom „Sigma Male“: „Ein Sigma braucht keine Unterstützung.“ Solche Aussagen klingen nach Freiheit, greifen aber Unsicherheiten auf. Viele Männer haben gelernt, Gefühle für sich zu behalten. Heute wird genau das als Männlichkeit vermarktet, indem Einsamkeit glorifiziert statt hinterfragt wird.
Auch Frauen werden in diesen Erzählungen verantwortlich gemacht. Die Publizistin Tamara Wernli (TikTok-Profil mit 242.800 Likes) beschreibt den „sozialverträglichen Mann von heute“ als jemanden, der „kochen können, Windeln wechseln, Begonien einpflanzen, humorvoll, intelligent, sensibel, rücksichtsvoll, im Job kompetitiv und erfolgreich sein, aber ja nicht zu dominant, und dabei immer genug Zeit für die Familie haben [soll].“ Das wirkt nachvollziehbar, weil es echte Zweifel trifft, führt aber eher dazu, dass Veränderung als Überforderung wahrgenommen wird.
Und am Ende haben viele dieser Inhalte vor allem eines gemeinsam: Aus männlicher Unsicherheit wird ein Geschäftsmodell.
Warum gerade Feminismus kritisiert wird
In vielen antifeministischen Formaten geht es nicht darum, dass es Männern besser gehen soll, sondern darum, alte Rollenbilder zu erhalten. Männlichkeit wird dort darüber definiert, keine Hilfe zu benötigen und allein klarzukommen. Wer scheitert, war „nicht stark genug“.
Feminismus stellt dieses Verständnis infrage. Er nimmt Männern nichts weg, sondern erweitert, was möglich sein kann: Fürsorge zeigen, Unterstützung annehmen oder Beziehung aktiv gestalten. Alles Dinge, die lange überwiegend Frauen zugeschrieben wurden. Genau deshalb wird Feminismus als Bedrohung dargestellt.
Das hat einen praktischen Effekt: Man muss nicht fragen, wie eigene Muster entstanden sind oder was sich verändern könnte. Stattdessen lässt sich die Verantwortung nach außen verschieben.
Antifeministische Inhalte bieten einfache Antworten, lösen aber kein einziges Problem. Sie lenken von dem ab, was wirklich helfen könnte: dass Männer Unterstützung suchen dürfen und Beziehungen nicht als Schwäche gelten. Wer Einsamkeit als Stärke verkauft, sorgt dafür, dass sie bestehen bleibt.


