Fußball ist mehr als Sport. Es gibt nur wenige Räume in der Gesellschaft, wo so viele unterschiedliche Menschen regelmäßig zusammenkommen, um gemeinsam ein Spiel zu erleben, zu diskutieren, zu singen, zu feiern und auch mal zu streiten. Jedes Wochenende strömen Hunderttausende Fans in die Stadien, Millionen Menschen verfolgen die Spiele im Stream, per Ticker oder am Radio. Dazu kommen noch Tausende Spiele im Amateurbereich, wo Zehntausende Menschen ehrenamtlich aktiv sind und die Gesellschaft in Bewegung bringen.
Angesichts der immensen Relevanz und Reichweite tragen insbesondere Profi-Fußballclubs auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Dazu gehört beispielsweise das Eintreten gegen Diskriminierung, gegen Phänomene wie Antisemitismus und Rassismus oder für die Gleichstellung aller Menschen. So unterstützten mehrere Vereine zuletzt Aufrufe zu Christopher-Street-Day-Demos bzw. Paraden.
Der Hamburger SV veröffentlichte auf X ein Statement. Inhalt: Solidarität mit queeren Menschen und der Hinweis auf die bevorstehenden Pride-Veranstaltungen. Was folgte, war – neben positiven Rückmeldungen — eine digitale Hasswelle: Hunderte Kommentare voller Spott, Wut, offener Homo- und Transfeindlichkeit – flankiert von Desinformation, Abwertungen und klassischen rechtspopulistischen Talking Points.
Einige Anhänger des HSV kritisierten eine vermeintliche Überpolitisierung des Sports und warnten, man könnte ja gleich mit dem Stadtrivalen FC St. Pauli fusionieren. Der FC St. Pauli hatte zu Beginn der Pride Week auf mehreren Social-Media-Kanälen zur Teilnahme am CSD aufgerufen – und sah sich in der Folge auf Facebook einem Ansturm von Hass-Kommentaren ausgesetzt. Über mehr als 24 Stunden moderierte das Kommunikationsteam Kommentare, löschte queerfeindliche Hetze, sperrte Accounts. Letztlich jedoch war es nicht mehr zu leisten: Die Kommentarfunktion musste deaktiviert werden, weil die Flut an Hasskommentaren nicht mehr einzudämmen war; und die Kommentare stehen zu lassen, war keine Option.
Diese Angriffe markieren keinen Einzelfall, sind in der Vehemenz aber ein weiteres klares Indiz für eine beunruhigende gesellschaftliche Entwicklung: Queerfeindlichkeit wird wieder öffentlich, laut und aggressiv artikuliert – und das zunehmend enthemmt. Was früher in anonymen Foren und hinter vorgehaltener Hand geäußert wurde, erscheint heute auf offiziellen Seiten großer Fußballvereine, oft unter Klarnamen, im Ton der absoluten Selbstverständlichkeit.
Rechte Mobilisierungsmaschine Queerfeindlichkeit
Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung ist die politische Mobilisierung von rechts. Die AfD hat sich in den vergangenen Jahren zur Speerspitze einer aggressiven Anti-Gender-, Anti-Trans- und Anti-Queer-Rhetorik entwickelt. Auch für religiöse Fundamentalisten und erzkonservative Milieus außerhalb der AfD sind diese Kampagnenthemen anschlussfähig. Was mit polemischen Kampagnen gegen „Frühsexualisierung“ oder „Genderwahn“ begann, ist längst zu einer systematischen Delegitimierung queerer Identitäten geworden.
Diese Rhetorik fällt auf fruchtbaren Boden. In Kommentarsektionen, Telegram-Kanälen oder rechtsoffenen Medienplattformen wird das Bild gezeichnet von queeren Menschen als angeblich privilegierter Minderheit, die „der Mehrheit etwas aufzwingen“ wolle. Die Regenbogenfahne wird zum Symbol eines „kulturellen Krieges“, CSDs zu „Sexparaden“, Sichtbarkeit zu „Propaganda“. Wer dem widerspricht, wird als Teil einer „woken Ideologie“ diskreditiert.
Straftaten gegen queere Menschen nehmen drastisch zu
Die Folgen dieser Hetze sind nicht nur digital spürbar. Sie schlagen sich auch in der realen Welt nieder: in handfester Form von Gewalt, Bedrohungen und Diskriminierung. Die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) belegt einen besorgniserregenden Anstieg queerfeindlicher Straftaten in Deutschland. Die Zahlen haben sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Insbesondere Angriffe gegen Transpersonen nehmen zu.
Dies kann auf der einen Seite mit mehr Sichtbarkeit zu tun haben, aber das macht die Sache nicht besser. Zudem handelt es sich lediglich um die erfassten Fälle; die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Queere Menschen werden beleidigt, verfolgt, angegriffen, auf der Straße, im Netz, in Schulen, im beruflichen Umfeld. Die Botschaft ist eindeutig: Wer sichtbar ist, wer für seine Rechte eintritt, wird zum Ziel. Die Regenbogen- und Progress-Pride-Flagge wird dementsprechend als Symbol stellvertretend angegriffen. Beim FC St. Pauli verbrannten im Gästebereich Fans eine Regenbogen-Flagge, um zu demonstrieren, was sie von Slogans wie „Lieb doch wen Du willst“ halten.
Vielfache Bedrohung: Rechte Hetze und patriarchale Gewalt
Besonders gefährdet sind Transpersonen – sie stehen im Zentrum zahlreicher Hetzkampagnen und sind zugleich häufig Ziel physischer Gewalt. Die Bedrohungslage ist dabei vielschichtig. Neben rechtsextremen Akteuren gibt es auch aus anderen patriarchal geprägten Milieus Gewalt und Ablehnung gegenüber queeren Menschen. Gerade in Ballungsräumen kommt es zu Übergriffen, die aus unterschiedlichen ideologischen und kulturellen Kontexten gespeist werden.
Diese Realität darf weder gegeneinander aufgerechnet noch ausgeblendet werden. Wer queere Menschen schützen will, muss sich der Komplexität der Bedrohungslage stellen; ähnlich wie beim Antisemitismus verbinden Queerfeindlichkeit und Anti-Gender-Agitation unterschiedliche Milieus in ihren Feindbildern.
Politisches Vakuum statt Schutzversprechen
Angesichts dieser Situation steht der Staat insbesondere in der Pflicht, den Schutz von potenziell bedrohten Menschen zu garantieren. Doch anstatt sich klar zu positionieren, hat sich die Politik zuletzt auf vermeintliche Neutralität zurückgezogen – so, als könne man gegen Diskriminierung „neutral“ sein. Die Entscheidung des Bundestagspräsidiums, in der Pride-Saison 2025 erstmals seit Jahren keine Regenbogenflagge zu hissen, ist ein herausragend negatives Beispiel für das Verstecken hinter der vermeintlichen Neutralität, bei der vermutet werden darf, dass einige Akteur*innen die Auffassung, das gehe doch „irgendwie alles etwas zu weit mit der Gleichstellung“, vielleicht eher teilen. Tief blicken ließ die dazugehörige Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz, das Parlamentsgebäude sei kein Zirkuszelt.
Diese Formulierung spricht Bände. Sie offenbart nicht nur ein massives Unverständnis für die Symbolkraft von Sichtbarkeit, sondern auch eine tiefsitzende Geringschätzung für queeres Leben in Deutschland. Der vermeintliche Rückzug auf Neutralität ist in Wahrheit eine Parteinahme – zugunsten des Status quo, der queere Menschen angreifbar lässt.
Starke Zeichen setzen: Fußballclubs zeigen Haltung
Vor diesem Hintergrund ist es umso bedeutsamer, wenn gesellschaftliche Akteure wie Fußballclubs Haltung zeigen. Wenn sie queeren Menschen in einem oft sehr männlich dominierten Umfeld ihre Solidarität aussprechen, ihre Reichweite nutzen, um Sichtbarkeit zu schaffen, und sich nicht beirren lassen – auch wenn der digitale Hass laut ist.
Der FC St. Pauli ist mit seinem Partner Congstar und St. Pauli Pride beim Hamburger CSD mit einem eigenen Truck vertreten. Darüber hinaus wird auf dem Dach einer Tribüne des Millerntor-Stadions derzeit gemeinsam mit dem Partner Lichtblick eine Solaranlage in den Farben des Regenbogens installiert.
Die Anlage ist nicht nur ein ökologisch-nachhaltiges Projekt, sondern auch ein symbolisches Statement: Vom benachbarten Hochbunker aus, auf dem sich ein öffentlicher Park mit tausenden Besucher*innen täglich befindet, ist das Regenbogenmuster gut sichtbar – ein farbenfrohes Signal für Vielfalt mitten in der Hamburger Stadtlandschaft und künftig auf tausenden touristischen Schnappschüssen zu sehen.
Radikalisierte Realität
Queerfeindliche Hasswellen in sozialen Netzwerken sind kein Zufall, sondern Ausdruck einer radikalisierten gesellschaftlichen Realität. Digitale und reale Welt lassen sich nicht trennen, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Die Radikalisierung und Polarisierung treffen nicht nur Fußballclubs, sondern vor allem jene Menschen, deren Existenz hinter diesen Debatten steht.
Es ist Aufgabe aller demokratischen Kräfte – in Politik, Medien, Sport und Zivilgesellschaft – klar Stellung zu beziehen. Es braucht mehr als Symbolpolitik, mehr als Regenbogenlogos im Juni. Es braucht Schutz, Haltung, Konsequenz. Wer Vielfalt verteidigt, darf sich nicht zurückziehen, wenn der Gegenwind zunimmt. Im Gegenteil: Jetzt ist der Moment, um Flagge zu zeigen: digital, auf der Straße, im Stadion.
Transparenzhinweis: Der Autor ist freier Journalist und arbeitet als Vereinssprecher des FC St. Pauli


