
Die CSD-Saison hat begonnen. Bis Oktober werden in diesem Jahr über 200 Veranstaltungen bundesweit stattfinden, die meisten von ihnen in kleinen und mittelgroßen Städten oder im ländlichen Raum. Für gleiche Rechte, Akzeptanz, Vielfalt und Solidarität einzustehen kostet Mut: 2024 organisierten Rechtsextreme 32 angemeldete Kundgebungen gegen CSDs, unter anderem in Berlin, Dresden, Leipzig, Wolfsburg, Essen, Magdeburg, Plauen, Köln, Duisburg, Görlitz, Ketsch, Döbeln, Wismar, Freiberg, Winsen, Zwickau, Eisenach oder in Braunschweig. In weiteren Städten kam es zu zahlreichen Störungen. Rechtsextreme Jugendgruppen wie die Jungen Nationalisten, Elbland-Revolte, Deutsche Jugend Voran, oder Jung & Stark traten gemeinsam mit Anhänger*innen rechtsextremer Parteien aggressiv auf, schüchterten Teilnehmende ein, übten Gewalt aus und fielen mit trans- und queerfeindlichen sowie rassistischen Äußerungen auf. Trauriger Höhepunkt war die rechtsextreme Mobilisierung gegen den CSD in Bautzen: Rund 1.000 Teilnehmende standen fast 700 Rechtsextremen gegenüber, die Polizei reagierte zunächst zögerlich. Die geplante CSD-Abschlusskundgebung musste aus Sicherheitsgründen abgesagt werden.
Auch gezielte Falschinformationen sind geeignet, Hass zu befeuern und Ängste zu erzeugen: In Zwickau hält sich bis heute das längst widerlegte Gerücht, es sei am Rande der CSD-Kundgebung 2024 zu einer Messerstecherei gekommen. Queere Jugendliche zögern deshalb, sich in Planungen für kommende Veranstaltung einzubringen. In Sachsen-Anhalt kursierten digitale Falschmeldungen zur Absage von CSD-Veranstaltungen. Eine kurz vor der Bundestagswahl im Februar 2025 geplante Kundgebung des CSD Düsseldorf musste wegen einer akuten Bedrohungslage kurzfristig abgesagt werden. Rechtsextreme Gruppen verbreiteten daraufhin das unzutreffende rassistische Narrativ, muslimische Migranten hätten einen Angriff geplant.
Rechte Mobilisierung
Rechtsextreme Anfeindungen, Desinformationen und Übergriffe gegen queere Veranstaltungen sind nicht neu. Parteien wie der “III. Weg” und andere Gruppen fielen in der Vergangenheit durch Störungen bei CSDs auf, immer wieder wurden einzelne Teilnehmende bei An- oder Abreise verletzt. 2024 war dennoch eine Zäsur, die einen Wandel in der rechtsextremen Szene zeigt: Die Teilnehmenden der neuen Gruppen sind deutlich jünger (oft minderjährig), gewaltbereiter, digital organisiert, gut vernetzt und richten ihre antifeministischen Aktivitäten gezielt gegen queere Menschen.
Das Ausmaß der Mobilisierungen überstieg das der Vorjahre deutlich. Für die Organisation nutzen sie Social Media-Plattformen wie Whatsapp, Instagram, Telegram und TikTok. Ihre Strategien sind erfolgreich: Durch Anti-CSD-Demonstrationen steigerten sie ihre Bekanntheit deutlich und gewannen zahlreiche neue Anhänger*innen. Von einer wachsenden Attraktivität und Professionalisierung ihrer menschenfeindlichen Aktivitäten muss in diesem Jahr ausgegangen werden, erste Mobilisierungen laufen bereits. CSDs ohne Polizeischutz und Sicherheitskonzepte sind mittlerweile undenkbar.
Mehr rechtsextreme Alltagsgewalt
Die wachsende Mobilisierung gegen queere Veranstaltungen wie CSDs ist Folge eines queerfeindlichen gesellschaftlichen Klimas, das rechtsextreme Jugendliche zu Hass und Gewalt ermutigt. Viele Akteur*innen verzichten on- und offline auf Anonymität, weil sie von stillschweigender Zustimmung der Mehrheitsgesellschaft ausgehen. Die AfD-Zustimmungswerte der letzten Bundestagswahl belegen, dass rechtsextreme Entwicklungen, die vor kurzem noch als „sächsische Verhältnisse“ abgetan wurden, heute bundesweit Realität sind. Laut einem Bericht von Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt hat sich die Zahl politisch motivierter Straftaten in den Bereichen „Sexuelle Orientierung“ und „Geschlechtsbezogene Diversität“ seit 2010 verzehnfacht.
Insbesondere trans Frauen werden zur Zielscheibe von Verschwörungserzählungen und Gewalt. In strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands ist eine Normalisierung rechtsextremer Ideologien und Rhetorik festzustellen. Entsprechend steigt die Zahl der Straftaten und Hassverbrechen gegen LSBTIAQ+ und Migrant*innen, Geflüchtete und von Rassismus Betroffene deutlich an.
Queerfeindlichkeit und Antifeminismus als Brückenideologie im autoritären Trend
Rechtsextreme und rechtskonservative Gruppen, wie z.B. christliche Fundamentalist*innen haben Antifeminismus und Queerfeindlichkeit in den letzten Jahren zu ihren politischen Kernanliegen neben Rassismus und Antisemitismus gemacht. Sie lehnen Geschlechtergerechtigkeit, Feminismus sowie geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung ab. Als Brückenideologien verbinden Antifeminismus und Transfeindlichkeit Gruppen und Milieus, die sonst kaum Schnittmengen haben. Bedient werden dabei Narrative der „Bedrohung“ der traditionellen Kleinfamilie und der angeblichen Gefährdung traditioneller Rollenbilder.
Die Parallelen zu antisemitischen Verschwörungserzählungen sind deutlich: Trans Personen, queere Menschen und emanzipierte Frauen seien trotz Minderheitenstatus übermächtig, ihre „woken Ideologien“ schwächten Männlichkeit und Nation. Vermeintlich „natürliche“, autoritäre und antifeministische Geschlechterordnungen werden gegen den „Genderwahn“ in Stellung gebracht, mit dem Ziel, Ungleichheiten zu verfestigen, statt aufzuheben. Der Anti-Woke-Diskurs wird sowohl von der Trump-Administration in den USA als auch durch die AfD in Deutschland, rechten Medien und Influencer*innen vertreten und gewinnt weltweit an Einfluss. Das ungarische Parlament hat jüngst eine Verfassungsänderung beschlossen, die es der rechtspopulistischen Fidesz-Regierung erlaubt, Pride-Veranstaltungen zu verbieten. Unternehmen wie Meta, Aldi oder die Telekom streichen in den USA Diversitätsprogramme, die zur Gleichstellung von Schwarzen, Migrant*innen, Menschen mit Behinderungen oder für LSBTIAQ* im Arbeitsleben eingeführt wurden.
Kaum queere Themen im Koalitionsvertrag
Nicht nur rechtsextreme oder rechtspopulistische Parteien oder Regierungen übersetzen antifeministische und queerfeindliche Inhalte in konkrete Programme. SPD-Chefin Saskia Esken sieht in Deutschland Zeichen eines Kulturkampfes, der mit dem in den USA und anderen Ländern vergleichbar sei und an dem sich Teile der CDU beteiligten. Es sei schwer gewesen, queere Themen überhaupt im Koalitionsvertrag zu verankern. Konkrete Vorhaben zur Verbesserung der rechtlichen Situation von LSBTIAQ+ werden nicht beschrieben. Der Diskriminierungsschutz soll zwar zukünftig verbessert werden, von einer Verankerung im Grundgesetz ist jedoch keine Rede.
Das im November 2024 in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz, das die Anpassung von Namen und Personenstand für trans- und intergeschlechtliche Personen erleichtert und das diskriminierende Transsexuellengesetz ersetzt, soll evaluiert werden. In ihrem Wahlprogramm hatte die CDU gar die Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes gefordert. Die Reform des Abstammungsrechts, die Regenbogenfamilien und trans Eltern anderen Familien gleichstellen sollte, findet keine Erwähnung. Auch Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen, wie etwa die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, sucht man im Koalitionsvertrag vergebens.
Strategien gegen öffentliche LSBTIAQ+-Sichtbarkeit
In Ostdeutschland finden Kommunalpolitiker*innen und Verwaltungen Wege, um queere Sichtbarkeit im öffentlichen Raum einzuschränken. So ist der dritte CSD in Wernigerode in Sachsen-Anhalt am 7. Juni 2025 kurz vor Pfingsten geplant. Ein CDU-Stadtrat sorgt sich um das „Image der Stadt“, da der CSD eine hohe Polizeipräsenz und „Lärmbelästigung“ mit sich bringe. Ausgerechnet die Gewalt gegen Teilnehmende in den Vorjahren wird als Grund vorgebracht, eine Absage des CSDs zu fordern. Laut Bürgermeister wird der Termin wie geplant stattfinden. In Dresden versuchte die Stadtverwaltung 2023, dem an die CSD-Kundgebung angeschlossene Straßenfest den Versammlungsstatus zu verweigern, was deutlich weniger Polizeischutz und höhere Kosten für Gebühren und Security nach sich gezogen hätte. Was in Dresden scheiterte, ist in Stendal und Pirna Realität geworden und belastet die ehrenamtlichen Organisator*innen finanziell erheblich. Der erste CSD 2025 Ende April in Schönebeck (Sachsen-Anhalt) fand ein vorzeitiges Ende: Das Ordnungsamt brach das Straßenfest vier Stunden vor dem geplanten Ende ab. Angeblich waren Redebeiträge und Musik „nicht politisch genug”, um den Charakter einer politischen Versammlung zu rechtfertigen, später sprachen die Behörden von „Sicherheitsverstößen“. Dass Umstehende während des CSDs Hitlergrüße zeigten, ging angesichts des Eklats zu Beginn der CSD-Saison fast unter.
Solidarität leben, Verantwortung übernehmen
Rechtliche Gleichstellung, Akzeptanz, Sichtbarkeit, Schutz, der Abbau von Hass und Ausgrenzung sind Forderungen, für die LSBTIAQ+ seit vielen Jahrzehnten auf die Straße gehen. Seit der gewaltsamen Razzia im Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street 1969, an die die CSDs bis heute erinnern, haben sie nicht an Aktualität verloren. Die Gefahren durch rechtsextreme Gewalt sind groß, die gesellschaftliche Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt ist keine Selbstverständlichkeit. Die gute Nachricht: Noch nie haben sich so viele Menschen wie im letzten Jahr bei CSDs gegen Hass und Hetze positioniert. Immer mehr Menschen solidarisieren sich, immer mehr Unterstützer*innen fahren aus den Metropolen in die Kleinstädte, immer mehr stellen sich im Alltag Ausgrenzungen und Diskriminierung entgegen. Die Bedrohungen wachsen, der Rückhalt ebenso. „Unsere Demokratie wird auch auf den CSDs verteidigt“, sagt Sven Lehmann, ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Gerade deshalb braucht es jetzt mehr als Regenbogenflaggen auf Instagram und gut gemeinte Symbolpolitik. Es braucht kraftvolle, praktische Präsenz vor Ort, finanziellen Support, politischen Rückhalt und konsequenten Schutz für queere Lebensrealitäten, über Pride-Veranstaltungen hinaus.