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Seitenblick „In Deutschland töten sie uns ohne Blut“

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© Amadeu Antonio Stiftung

Farid, der aus Afghanistan geflüchtet ist, lebt seit 29 Monaten in Würzburg, wo der Refugee Protest March am 8. September begann. Die Geflüchteten setzen sich mit ihrem Marsch über die ihnen auferlegte Residenzpflicht hinweg und fordern unter anderem die Gewährung der freien Aufenthaltswahl, die Abschaffung der Lagerpflicht sowie die Aufhebung des Arbeitsverbots. Farid ist wütend darüber wie er und andere Geflüchtete in Deutschland behandelt werden: „In unserem Land töten sie Menschen mit Waffen, in Deutschland töten sie uns ohne Blut“.

Das Schlimmste an ihrem Leben in Deutschland sei das Warten. Das Warten auf den nächsten Bescheid, die nächste Duldung oder die drohende Abschiebung. Die Prozesse der Asylbleiberechtsverfahren sollen theoretisch drei bis sechs Monate dauern. In der Praxis warten Menschen eineinhalb bis zu acht Jahre. Darüber verzweifeln viele. Die Selbsttötung eines Flüchtlings in Würzburg war unter anderem Auslöser für die Geflüchteten sich auf den Weg zu machen.

Ali Reza, 22 Jahre alt und ebenfalls Afghane, musste den Iran wegen der Verfolgung aufgrund seiner politischen Überzeugung vor fünf Jahren verlassen. Nach einer zweieinhalbjährigen Odyssee kam er nach Deutschland. Ali Reza lebt seit Mai 2010 in Schweinfurt und beschloss sich dem Refugee Protest March anzuschließen, um für die Rechte der Geflüchteten zu kämpfen.

„Der Staat will nicht, dass wir uns wohlfühlen“

Als die beiden jungen Männer nach Deutschland kamen sprachen sie kein Deutsch und verstanden die geltenden Gesetze nicht, die sie zu Menschen zweiter Klasse machten. „Der Staat will nicht, dass wir uns wohlfühlen.“ Als sie verstanden wo die Grenzen zwischen den Menschen gezogen werden, beschlossen sie für ihre Gleichbehandlung zu kämpfen. Die Lager sind Gefängnisse, die sich nicht so nennen. Sie sind Käfige, die für Flüchtlinge gebaut werden, um sie von der Gesellschaft fern zu halten. „Die Behörden behandeln uns wie wilde Tiere“, stellt Farid fest. Die Lebensbedingungen in den Lagern sind mehr als prekär. Zwei Großfamilien müssen sich eine Drei-Zimmer-Wohnung mit einer Toilette teilen. Ali Reza lebte mit sieben anderen jungen Männern aus vier verschiedenen Staaten auf engstem Raum.

Die beiden Asylsuchenden beschlossen am Flüchtlingsmarsch teilzunehmen um ihr Schicksal wieder in ihre eigenen Hände zu nehmen. Die Flüchtlinge fühlen sich allein gelassen und sind zum Beispiel auf die Caritas angewiesen, die sie zum Warten auffordert und die Flüchtlinge gleichzeitig als billige Arbeitskräfte ausnutzt. Viele Geflüchtete glauben, dass die Caritas alles wisse und ihnen unterstützend zur Seite stehe. Ali Reza, der selbst für die Caritas gearbeitet hat sagt, dass „die Caritas bei der staatlichen Unterdrückung mitarbeitet“. Auch die Diakonie wolle keinen Protest. Die beiden kirchlichen Organisationen sind für eine Beibehaltung der geltenden menschenverachtenden Asylpraxis.

Alltägliche Dinge werden zu einem Spießrutenlauf

Die rassistische Alltagspraxis macht den Geflüchteten das Leben zusätzlich schwer. Arztbesuche werden zu einer stundenlangen Erniedrigung, denn zuerst werden die wartenden Deutschen behandelt. Die Gesellschaft erwarte, dass die Geflüchteten über ihre vorübergehende Aufnahme in Deutschland glücklich sein müssen und die bestehenden Ausgrenzungen ruhig hinzunehmen haben. Aufgrund der fehlenden Deutschkenntnisse und der wenigen Möglichkeiten für Geflüchtete Deutschkurse zu besuchen werden alltägliche Dinge wie ein Ticket am Schalter zu kaufen schon zu einem Spießrutenlauf. Ihnen schlagen offene rassistische Ressentiments entgegen.  „Ohne die Sprache zu beherrschen, kann keine Kommunikation stattfinden.“ Es gibt Fälle, in denen Geflüchtete bereits acht Jahre in Deutschland leben, aber seitens der Behörden keine Möglichkeit bekommen Deutsch zu lernen.

Farid und Ali Reza haben sich auf dem Marsch kennen gelernt, sie unterscheidet vieles, aber auf die Frage nach ihren Wünschen antworten beide, dass sie sich wünschen ohne Schikanen, grundlegende Hilfestellungen seitens der Behörden zu erfahren. Sie möchten die Probleme aus ihrer Heimat vergessen und in Deutschland ein neues Leben beginnen.

Ali Reza muss nächste Woche nach Schweinfurt. Das Amt hat seine Leistungen gekürzt: er muss seine Wohnung ausräumen. Wo er schläft, wenn das Camp vorbei ist, weiß er nicht. Aber er ist sich sicher: In das Lager zurück geht er nicht.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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anettam

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