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Verfassungsschutzbericht 2014 Weniger Nazis, mehr Gewalt

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Die "Analysefähigkeit" des Verfassungsschutzes soll ausgebaut werden - leider erst in Zukunft: Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen und Innenminister Thomas de Maizière bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2014 in Berlin. (Quelle: ngn / SR)

So viel Gewalt

990 rechtsmotivierte Gewalttaten in 2014, ein Anstieg um satte 24 Prozent und der höchste Stand seit 2008 – das sicherte dem Rechtsextremismus wird in diesem Jahr bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2014 in Berlin wieder mehr Beachtung als in den vergangenen Jahren. Rechtsextremismus steht sogar als erstes auf der Vortragsliste von Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen. Jeder zweite der vom Verfassungsschutz gelisteten 21.000 Rechtsextremen in Deutschland gelte inzwischen als „gewaltorientiert“, sagt de Maizière. Die Zahl der in Behördensprache immer noch „fremdenfeindlich“ genannten rassistischen Gewalttaten ist mit 512 auf dem höchsten Stand seit Änderung der Definition zur „politisch motivierten Kriminalität“ (PMK) im Jahr 2001.  Doch am erschreckendsten ist der Anstieg der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte: 2013 waren es 55, 2014 schon 175 (!) – und im ersten Halbjahr 2015 ist diese Zahl mit 150 Übergriffen schon fast erreicht. Und das, obwohl in dieser Statistik nur die Taten erfasst werden, die die Polizei auch als „rechts motiviert“ klassifiziert – also nicht zwingend der Brandanschlag des Nachbarn, der seinen Rassismus als „Sorge um die Familie“ verbrämt. 

„Klare Kante“ – schön wäre es

Diese Gewaltsituation führt, stellt de Maizière richtig fest, zu einem Klima von Angst und Bedrohung, das nicht hinnehmbar sei und einer „klaren Kante“ aus der Gesellschaft und der Politik bedürfe. „Das hat nichts mit Sorgen zu tun“, sagt er, „es darf kein stilles Verständnis oder gar Einverständnis mit diesen Taten geben. Es ist ein Angriff auf den Rechtsstaat und damit auf jeden Bürger dieses Landes.“ Auch kontroverse Diskussionen um Flüchtlinge und ihre Behandlung dürfe nicht dazu führen, dass Gewalt angewendet würde. Die Flüchtlinge, die gerade in Deutschland wären, hätten Anspruch auf dein sicheres, unbeschadetes Leben.

Später wird ein Journalist fragen, ob die CDU in Sachsen das gerade gut macht mit der „klaren Kante“ – die mangelnden Stellungnahmen der führenden Politiker dort wirkten eher wie Aussitzen, die Stellungnahmen lokaler Politiker_innen, die es gibt, feuern eher die Ressentiments an. Nein, findet de Maizière, das läuft gut in Sachsen. Das muss er vielleicht sagen, aber es untergräbt seine Kompetenz.

Analysefähigkeit wird nächstes Jahr ausgebaut

Stolz wird die Aufdeckung der „Old School Society“ berichtet, einer „Terrorgruppe“, die über Anschläge im Internet debattierte. Da habe der Verfassungsschutz doch aus den Fehlern im Umgang mit dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) gelernt, findet der Innenminister. Später wird der Verfassungsschutzpräsident Maaßen ergänzen, es sei gelungen, eine „What’s App“-Gruppe aufzuklären, so konnte die Aufdeckung gelingen. Es ist einer, aber nicht der einzige Punkt, an dem Besorgnis über die Aufklärungsfähigkeit des Verfassungsschutzes aufkommt. Wenn im Bericht 2014 zu lesen ist, dass viele „Skinheadbands“ auf Videoportalen ihre Auftritte und Songs hochlüden, fragt man sich doch still, ob Beobachtung oder Vorurteile über die Szene hier die Beschreibung leiteten – „Skinheadbands“ sind schon lange nicht mehr relevant für die musikalische Nazi-Szene. Auch, dass sich viele Neonazis im Internet auf „Altermedia“ informieren, ist schon mehrere Jahre her – seit Inhaftierung des Betreibers Axel Möller 2011 hat die Seite jede Relevanz verloren. Nun, immerhin will der Staat ja noch mehr aus dem NSU-Versagen gelernt haben und dies im Gesetz zur Reform des Verfassungsschutzes kommenden Freitag beschließen. Dann soll unter anderem auch die „Analysefähigkeit ausgebaut“ werden. Das ist klar zu begrüßen!

Wichtigste Tendenzen: Nicht Pegida. Nein.

Als ersten Vorteil der neuen Strukturen preist Hans-Georg Maaßen die neue Form des Verfassungsschutzberichtes, der nun kürzer ist und somit weniger Informationen enthält. Eigentlich schade. Dann kommt Maaßen zu den Erkenntnissen über die wichtigsten Tendenzen im Rechtsextremismus. Da sieht er:

Die Gewaltorientierung hat zugenommen.Die Rechtsextremen suchen Anschluss an „bürgerliche“ Sorgen-Themen, weil die eigene Propaganda scheitert.Die NPD ist in der Krise – der Rechtsextremismus verlagert sich wieder mehr in weniger organisierte (das heißt auch schlechter zu beobachtende) Kreise.

All dies ist zweifelsohne richtig und besorgniserregend – und es rührt an ein grundlegendes Problem des Verfassungsschutzes. Wenn sich Rassismus, Gewalt und Demokratiefeindlichkeit aus dem originären „Rechtsextremismus“ entfernen – und der ist beim Verfassungsschutz recht streng gefasst – können viele Gefahren aktuell gar nicht vom VS beobachtet werden. „Pegida“ ist entsprechend kein „Beobachtungsobjekt“ – aber wenn Rechtsextreme versuchten, darauf Einfluss zu nehmen, das dürfe der VS beobachten, erklärt Maaßen. Und er tue das angeblich auch, was allerdings bezweifelt werden darf, wenn er dann zu der Erkenntnis kommt, die Hans-Georg Maaßen auf der Pressekonferenz wiedergibt: „In Dresden bei Pegida gab es das aber nicht, Beeinflussung von Pegida durch Rechtsextreme.“ Bei den Demonstrationen, die Belltower.news besucht hat, sah das anders aus.

Fremdschäm-Antworten

Im Frageteil – nach der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes in der Bundespressekonferenz dürfen die Journalist_innen Fragen stellen – gibt es mehr verwunderliche Antworten. Solle man nicht die Kategorie der „Fremdenfeindlichkeit“ endlich aufgeben für die staatlichen Statistiken, da sie doch Menschen zu „Fremden“ mache, die größtenteils Bürger_innen dieses Landes seien? Da kommt de Maizière ins Plaudern. Statt als Zeichen von politischer Analyse oder schlicht Empathie zu begreifen, dass es verletzend ist, wenn Deutsche mit Migrationshintergrund als Opfer rechtsextremer Straftaten permanent erleben müssen, wieder als „Fremde“ klassifiziert zu werden, ergeht sich der Innenminister in (schlicht falschen) Erklärungen, mit der „Fremdenfeindlichkeit“ sei ja nicht „der Fremde“, sondern „das Fremde“ gemeint, Angst vor Islam und Globalisierung und ähnliches, „fremdartige“ Entwicklungen, die die „Geborgenheit bedrohen“. Dann kommt immerhin der Satz, das Fremde und Neue gehöre aber zum Leben und wir müssten lernen, damit umzugehen. Später allerdings nimmt er das fast wieder zurück: Die Menschen im Osten seien einfach „veränderungsmüde“, deshalb die „gewisse höhere Aggressivität“ im Osten gegenüber den Flüchtlingen. Die Menschen dort müssten ja schon mit Globalisierung, Digitalisierung, vielen Religionen klarkommen müsse – im Westen sei ja in den letzten 25 Jahre praktisch nichts passiert, das könne man sich besser an Neues anpassen. Stimmt, Globalisierung und Digitalisierung betreffen natürlich nur Ostdeutschland…

Und wie gelänge es, die Flüchtlinge in Deutschland vor den dramatisch angestiegenen Übergriffen zu schützen? Da sagte de Maizière mit großer Geste: „Vor jeder Synagoge steht in Deutschland Polizeischutz. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem Polizeischutz vor jedem Flüchtlingsheim steht.“ Was er meint: Politik und Gesellschaft müssen deutlich zeigen, dass Gewalt gegen Flüchtlinge völlig inakzeptabel ist und keine „Sorgen und Fragen“ der Welt diese rechtfertigen. Trotzdem wirkt es seltsam einfühlungslos, nur so zu argumentieren. Deshalb Nachfrage: Aber wie werden die Flüchtlinge konkret geschützt? Ländersache, sagte de Maizière, Sicherheitsdienste, und überhaupt wolle man ja Flüchtlinge lieber dezentral unterbringen: „Soll denn vor jeder Wohnung ein Polizist stehen?“ fragt er rhetorisch. Er denkt wohl nicht an Flüchtlinge, die aus Angst vor rassistischen Nachbarn ihre Wohnung höchstens zum Einkaufen verlassen. Die Wahrnehmung des Problems in der Innenpolitik kann wohl noch geschärft werden.

| Der Verfassungsschutzbericht 2014 zum Download als PDF

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