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Warum ich das nicht mehr hören will „Schwuchtel“

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Netz gegen Nazis hat zu diesem Thema eine Serie erstellt: ?Warum ich das nicht mehr hören will!? Hier geht es nicht darum, Schimpfwörter zur Diskussion zu stellen, sondern Menschen, die nicht darüber hinweg hören wollen, die Gelegenheit zu geben, zu erklären warum. Denn wie der deutsche Schriftsteller Victor Klemperer in seinen ?Notizen eines Philologen? schrieb: ?Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.?

Heiko Jessen ist Facharzt für Sportmedizin und Infektiologie und arbeitet in einer HIV-Schwerpunktpraxis. Jessen lebt in Berlin-Schöneberg und ist schwul.

„Für Jugendliche auf dem Weg zum Erwachsenwerden ist das Wort ein Schimpfwort für Schwule. Es ist ein Schimpfwort, das nie zeitgemäß war. Leute benutzen es, weil sie Angst haben, sich nicht ausreichend von dem anderen Geschlecht abgrenzen zu können. Schwule überschreiten diese Grenzen und werden beschimpft, weil sie durch die Grenzüberschreitung Unsicherheit schaffen. Deswegen ist es vor allem in sozial schwächeren Gruppen, beispielsweise in rechtsextremen Gruppen üblich. Und deswegen will ich es nicht mehr hören.

Auch in nonverbalen Situationen findet diese Art von Diskriminierung statt: Das betrifft vor allem das Berufsleben, wie es ja auch Frauen gegenüber schon immer der Fall war und wahrscheinlich nur marginal besser geworden ist. Ein gutes Beispiel dafür ist mein eigener Beruf: Es gibt wenig Chefärztinnen und genauso ist es ganz eindeutig, dass Männer, die offen schwul sind, solche Positionen immer noch nicht bekommen in Deutschland. Die werden Oberärzte, und als solche auch teilweise toleriert, bekommen aber keine Chefarztstelle.

Wenn Klaus Wowereit, bevor er zum Bürgermeister von Berlin gewählt worden ist, offen schwul gewesen wäre, ist es die große Frage, ob er dann diesen Posten bekommen hätte. Er hat sich aus einer sicheren Position geoutet: Das war sicherlich gut so und hatte auch seine Gründe darin, dass die „Bild“-Zeitung geplant hatte ihn zu outen. Mit seinem Satz: „Ich bin schwul und das ist auch gut so“, hat er die Luft raus genommen. Das ist ja sowieso eine gute Art der Entgegnung von Diskriminierungen oder Diffamierungen: zu seiner Identität zu stehen und zu sagen: „Ja ich bin schwul ? und, was jetzt? Ich fresse kleine Knaben oder was?“

Das ist natürlich dann nicht mehr möglich, wenn es eine gewaltbereite Gruppe ist, die vor einem steht. Das kommt ja immer wieder vor und in letzter Zeit wieder deutlich häufiger berichtet „Maneo“, das schwule Überfalltelefon. Angeblich ist es an den Stadträndern von Berlin schlimmer, aber auch mitten in der Stadt nimmt die Gewalt gegenüber Schwulen zu. Die Zunahme der Beschimpfung „Schwuchtel“ oder auch „schwul“ ist dafür ein trauriger Indikator.“

Hintergrund: Wo kommt das Wort eigentlich her?

Etymologisch stammt das Wort von dem Verb „schwuchteln“ ab, ein altes deutsches Wort für schwenken, in den Hüften wiegen oder tänzeln. Heutzutage ist damit im Bedeutungshorizont der männlichen Homosexualität ein gekünsteltes weibliches Benehmen gemeint, das sich in einem trippelnden, wiegenden Ganges zeigt – der schwuchtelnde feminine homosexuelle Mann. Das ist die seltenere wertneutrale ironisierende Selbstbezeichnung zur Differenzierung untereinander.

Neben „Tunte“ wird es jedoch außerhalb homosexueller Sprachzirkel auch in abwertender Form für Schwule generell als homophobes Schimpfwort verwendet. Vor allem Jugendliche benutzen es, um auf ihre eigene Männlichkeit hinzuweisen und sich offensiv von femininen Verhaltensmustern bei anderen Jungen abzugrenzen.

Aber auch Erwachsene, vermeintlich gebildete Menschen wie beispielsweise der Entertainer Harald Schmidt sind nicht vor missbräuchlicher Benutzung gefeit: Während der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 bezeichnete er den Nationalspieler Jürgen Klinsmann als „Schwabenschwuchtel“ und „Warmduscher“.

Gerne wird der Begriff aber auch von Rechtsextremen benutzt: Im Juli 2007 erschien in der FPÖ nahen, rechtsnationalen österreichischen Wochenzeitung „Zur Zeit“ ein Artikel mit dem Titel „Die Homoletten-Opfer-Lüge“. Darin wurden dumpfe Vorurteile über Homosexuelle verbreitet und Gery Keszler, Gründer und Organisator der Benefiz-Veranstaltung „Life-Balls“, als „Berufsschwuchtel“ bezeichnet. Er klagte – und verlor in erster Instanz, da die österreichische Justiz der Meinung war, dass man sich als in der Öffentlichkeit stehender Mensch „Kritik“ gefallen lassen müsse.

Nachdem der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche 2006 Patriotismus für notwendig hielt, „um endlich vom Schuldkult runterzukommen“ ? und damit „Deutschland nie wieder von Multikulti- Schwuchteln in Berlin regiert wird“, biederte sich die NPD sofort an und motivierte ihn zum Überlaufen.

Obwohl das „SZ-Magazin“ Schwule im September als „neue Mitte“ und „Vorreiter einer neuen Spießbürgerlichkeit feiert“ ? „von praktisch allen geliebt, geschätzt und toleriert“ – gibt es nach wie vor noch eine Schattenseite: Die Berliner Anti-Gewalt-Initiative „Maneo“ hat 2007 in einer Umfrage unter fast 24.000 Schwulen festgestellt, dass mehr als jeder Dritte innerhalb eines Jahres ein Opfer von Gewalt geworden ist; bei den unter 18-jährigen waren sogar 63 Prozent. 90 Prozent der Taten werden nicht bei der Polizei angezeigt.

Aufgezeichnet und erstellt von Pamo Roth.

| Teil 1 Warum ich das nicht mehr hören will!
Petra Rosenberg zu „Zigeuner“

| Teil 2 Warum ich das nicht mehr hören will!
Abini Zöllner zu „Neger“

| Teil 3 Warum ich das nicht mehr hören will!
Mark Terkessidis, Erfinder der Wortschöpfung ?rassistisches Wissen? zu „Kanake“

| Teil 4 Warum ich das nicht mehr hören will!
Die Kommunikationswissenschaftlerin Hong Nga Nguyen Vu zu „Fidschi“

Zum Thema:

| Berufsschwuchtel zur homophoben Beleidigung Gery Keszlers

| Maneo-Toleranz-Kampagne zur Zunahme homophober Übergriffe

| Maneo: Schwulenfeindlichen Überfall melden:

| Maneo-Wanderanderausstellung „Zeugnisse schwulenfeindlicher Gewalt“.

| Schule ohne Homophobie

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