2005 gründete Johannes Hartl mit seiner Ehefrau das „Gebetshaus Augsburg“. Das Gebetshaus steht an der Spitze der neocharismatischen und überkonfessionellen Gebetshaus-Bewegung. Sie orientiert sich am „International House of Prayer“ in Kansas City, einer Megachurch, in der permanent gebetet wird, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. In Deutschland hält dies nur das Gebetshaus Augsburg von Johannes Hartl durch.
Bekanntheit erreichte das US-amerikanische Vorbild etwa durch die Kampagne „Exodus Cry“, die sich für ein Verbot der Website PornHub einsetzt. Ab 2016 gehörte ihr Star-Pastor Mike Bickle zum sogenannten „POTUS Shield“ einem Bündnis der christlichen Rechten, das die Nähe zu Donald Trump suchte und hoffte durch seinen Einfluss ein „Great Awakening“ einzuleiten – eine Neuauflage der spirituellen Erweckungsbewegung, die im 18. Jahrhundert in den USA stattfand. In seinen Predigten verbreitete Bickle radikale Thesen, etwa, dass der Holocaust eine Strafe Gottes für die Verweigerung des Glaubens an Jesus als den Messias sei. Mit Massen-Events erreicht die Kirche Tausende. Seit das Gebetshaus in Kansas City ab 2023 mit schweren Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs konfrontiert ist, bezieht man sich in Deutschland weniger offen auf das Vorbild.
Doch auch hier gelingt der Gebetshaus-Bewegung eine breite Mobilisation von Anhänger*innen. 2017 organisierte Hartl das Lobpreis und Gebets-Event „MEHR“ mit über 10.000 Teilnehmer*innen online. Die „WENIGER-Konferenz“ schloss 2022 mit ähnlicher Beteiligung an. Für die Online-Kampagne „Deutschland betet“, die Menschen 2020 während der Corona-Pandemie zum Beten animieren sollte, konnte Markus Söder als Schirmherr gewonnen werden. Hartl, promovierter Theologe mit katholischem Hintergrund, profiliert sich durch solche digitalen Massenevangelisationen auch als Gesicht der charismatischen Erneuerung in der katholischen Kirche.
Durch die Massenveranstaltungen schafft er auch eine Bühne für den rechten und konservativen Kulturkampf. Bei der MEHR-Konferenz trat etwa auch Gabriele Kuby auf, bekannt für ihre Befürwortung von Konversionsbehandlungen und die Verdammung von Harry Potter als Ausdruck eines Schubs des globalen Heidentums. Bei der Konferenz wetterte sie gegen den „Genderismus“.
Der Theologe Bernd Wannenwetsch konnte im Gebetshaus einen Vortrag über den „höchst aggressiven Trans-Aktivismus“ halten und Constantin Freiherr von Maasburg, der inzwischen Geschäftsführer des bundesweiten Vereins Gebetshaus e.V. ist, referierte über die Männer als „Opfer einer Femokratie“.
2018 wurde zum ersten Mal die „SCHØN-Konferenz“ organisiert. 2015 und 2023 organisierte Hartl auch das „Eden-Fest“ mit bekannten Intellektuellen und Kulturschaffenden wie Navid Kermani oder Donata Wenders. Veranstaltungen wie diese sollen eine spezifisch christliche Kunst und Ästhetik fördern, Hartl spricht auch von einer Eden-Culture-Bewegung. Wohlklingende, aber banale Sprüche wie „Tiefe Beziehungen statt schleichender Vereinsamung“ werden in diesem Konzept mit einem Anspruch zur Transformation der Gesellschaft verknüpft. Feindbild ist die „Pornographisierung der Gesellschaft“, die den Mensch „zur Ware werden“ lasse, geraunt wird über eine angebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit und „diffuse Beliebigkeit“.
Was man sich unter dieser neuen Kultur vorzustellen hat und wie die Transformation der Gesellschaft aussehen soll, kann man erahnen, wenn man Hartls YouTube-Videos ansieht. In der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Frankreich meint Hartl die Beleidigung der heiligsten Symbole des Christentums zu erkennen, weil in einer Kunst-Performance die Szene des letzten Abendmahls durch Drag-Queens reinszeniert wurde, die dann auch noch mit Kindern tanzen. Unterschwellig unterstellt er sexuelle Übergriffigkeit.
Hartl sieht darin Hass auf den Westen und die eigene Kultur. Woher kommt aber dieser Hass? Im Video verweist Hartl auf eine „Absicht“, die hinter solchen Symbolen stehe. So würden etwa beim Eurovision-Song-Contest aus dieser „Absicht“ okkulte, satanische und trans Themen gepusht. Wer oder was genau hinter dieser „Absicht“ stehen soll, wird unklar gelassen. Das Programm der Eden-Cultur ist klar: Gott, Familie, Westen!
Beim Eden-Fest in diesem Sommer traten auch die rechtskatholischen Politiker*innen Gudrun Kugler und Hermann Binkert auf. Binkert war bis 2014 in der Thüringer CDU aktiv und gründete das Meinungsforschungsinstitut INSA. Er steht im Verdacht, in dieser Funktion von der AfD bestochen worden zu sein, um Umfrageergebnisse zu ihren Gunsten zu manipulieren. Kugler, eine Nationalratsabgeordnete der ÖVP, wird im Rechtsextremismus-Bericht des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands im Kontext von Rechtskatholizismus und christlichem Fundamentalismus erwähnt. Ihr Wahlkampf sei maßgeblich von diesem Milieu getragen worden.
Die Theologin Maria Hinsenkamp hat sich in ihrem Buch Visionen eines neuen Christentums ausführlich mit der Gebetshaus-Bewegung beschäftigt und besonders den Anspruch einer Transformation der Gesellschaft im Sinne eines „Königreich Gottes“ herausgearbeitet, der alle Teilbereiche der Gesellschaft umfassen und in jedem davon eine „christliche Hegemonie“ herstellen soll. Hartls Eden-Culture-Bewegung ist ein Beispiel für ein solches Projekt im Bereich der Kultur.
Auf YouTube ist der Theologe reichweitenstark. Sein Kanal hat 128.000 Abonnent*innen. Sein Auftreten entspricht nicht dem Bild eines Radikalen, wie man es angesichts des US-amerikanischen Vorbilds und seines Netzwerks vielleicht erwarten könnte. In seinen Life-Coaching Videos geht es nicht um zur Schau gestellte Hypermaskulinität und zugespitzte Polemik. Hartl wirkt eher schüchtern und sensibel. Statt Dating-Tipps gibt es Erziehungsratschläge für junge Eltern.
Im gleichen ruhigen Stil, in dem er auf YouTube über den Umgang mit Stress oder die Erziehung von Kindern erzählt, verteidigt er aber auch die Rede des US-amerikanischen Vizepräsidenten JD Vance vor der Münchener Sicherheitskonferenz. Darin hatte Vance Europa vorgeworfen, durch eine Tabuisierung von rechten Parteien wie der AfD die Meinungsfreiheit zu verraten. Hartl stimmt ihm zu. Die Meinungsfreiheit sei etwa in Gefahr, weil es in Großbritannien nicht möglich wäre, vor Abtreibungskliniken zu protestieren.
Breit diskutiert er dazu auch ein Buch von Raphael Bonelli, einem ehemaligen Laienmitglied der fundamentalistischen katholischen Einrichtung Opus Dei. Der Psychiater ist heute beim nicht weniger fundamentalistischen katholischen Orden der Legionäre Christi aktiv und hält auch im Gebetshaus Augsburg Vorträge. Auch er sieht die Meinungsfreiheit in Gefahr: Weil nach dem Zweiten Weltkrieg ein „Schuldkomplex“ entstanden sei, der bestimmte Dinge unsagbar mache und weil man nicht mehr über Migration, die demografische Entwicklung, Abtreibung, „Gender“ und Gott reden dürfe. In einem Video zur Bundestagswahl warnt er vor einer Dämonisierung der AfD, erzählt, dass Freiheit in erster Linie zu Überforderung führe und erinnert die Zuschauer*innen daran, dass die Demokratie auf einem christlichen Fundament aufbaue.
Nephthys Morgenstern ist Teil des Recherchekollektivs von FundiWatch.
Anmerkung der Redaktion: In der früheren Version des Textes war von „freikirchlicher Bewegung“ die Rede. Dies wurde nun präzisiert in „neocharismatisch“.


