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Kommentar Wo geht’s nach der Wahl hin?

Eine gute Nachricht: Die Wahlen sind vorbei! Und damit auch das Klagen darüber, wie langweilig dieser Wahlkampf war, was für viele die eigentliche Kernfrage der politischen Auseinandersetzung zu sein schien. Dass so ausgiebig über Langeweile debattiert wird, zeigt, in welcher Art materiellem und geistigem Luxus wir in Deutschland leben und wie wenig die Weltkrise daran etwas ändert. So zumindest scheint es, wenn man dem Medien- und Politikrummel zu folgen versucht. Und das stimmt auch.

 
Anetta Kahane ist Senior Consultand und ehemalige Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung.

Nur einen winzigen Blick vom dicken, deutschen Nabel entfernt sieht die Welt ganz anders aus. Selbst unter den Europäern hat es Deutschland im Ganzen gut getroffen – ganz zu schweigen von der Lage in anderen Regionen der Erde, die keine Wahl haben und wo es keine Wahlen gibt. Und dennoch: Obwohl das Lamento von der Krise in Deutschland wie ein Hohn gegenüber anderen Ländern klingt, gibt es gerade hier eine beunruhigende Entwicklung: der Rechtsextremismus ist dabei, seine Flügel – bürgerlich-rechtspopulistisch der eine und national-revolutionär der andere – ausgerechnet hier zusammenzuführen. Es ist ein europäisches Projekt, in dem sich westliche rechte Populisten und östliche nationale Sozialisten langsam einander annähern und dafür das Versuchsfeld des ehemals geteilten Deutschland beackern. Dies geht nicht ohne Kampf und Konflikte, wie man sie in der rechtsextremen Szene gerade erleben kann, doch es geht voran.

Die Frage ist nun: Was wird die neue Bundesregierung tun? Wird sie diese unrühmliche Rolle der deutschen Nazis in Europa ernst nehmen? Wird sie verstehen, welche Verantwortung sie hier wahrzunehmen hat? Wird sie sehen, dass dieser moderne Rechtsextremismus auch durchaus in der Lage ist sowohl zu linksradikalen und islamistischen Ideologien und ihren Trägern als auch zu rassistisch-islamfeindlichen Gruppen breite Querfronten aufzubauen? Anschlussflächen dafür gibt es viele, vom Antiimperialismus und dem ihm innewohnenden Antisemitismus über alternativ-ökologische Lebensphilosophien bis hin zu konservativ daherkommenden „Vaterland-Heimat-Familie“-Slogans mit ihren extrem fremdenfeindlichen und rassistischen Implikationen. Oder wird die neue Bundesregierung antithetisch handeln? Und, nur weil einst Rot-Grün Programme gegen Rechtsextremismus entwickelt hat, jetzt das Gegenteil tun und dem blöden Rechts-Links Reflex folgend, deshalb Programme gegen Linksextremismus auflegen? Obwohl das gewiss nicht besonders schlau wäre, ist es dennoch denkbar, denn in beiden der nun regierenden Parteien gibt es entsprechende Strömungen.

Die zivile Gesellschaft fordern und auch fördern

Doch hoffen wir darauf, dass sich die Moderne auch hier durchzusetzen beginnt. Die FDP ist nicht nur die Partei eines Möllemann, sondern eben auch die einer Hildegard Hamm-Brücher und etlicher anderer wirklicher Liberaler und Demokraten. Sie könnte also nicht nur für die freiheitlichen Bürgerrechte der bürgerlichen Bürger eintreten, sondern auch für die Menschenrechte in der Zivilgesellschaft. Und die CDU wäre heute durchaus imstande anzuerkennen, dass es in Deutschland Einwanderung gibt, dass sie gebraucht wird, Potenzial hat und gestaltet werden will. Sie könnte begreifen, dass Antisemitismus, Alltagsrassismus und ein wachsender, demokratiefeindlicher Rechtsextremismus kein guter Ausweis für ein starkes Deutschland im globalisierten Kontext sind. Vielleicht versteht sie sogar in der realen Politik, dass die alten Kriterien des Nationalen auf die Moderne nicht mehr so recht passen. (Die Nazis praktizieren das übrigens mit ihrem Ethnopluralismus und der engen Kooperation in Europa längst!) Die CDU ist schließlich nicht nur die Partei von Filbinger und Dregger, sondern auch die von Süssmuth und Geißler, denen auch bei allem Hang zum Nationalen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus immer ein Gräuel waren.

Nun, wir werden sehen, was geschieht. Hoffen wir, dass die Strategie, die zivile Gesellschaft zu fordern, sich auch darin niederschlägt, sie zu fördern. Und zwar im Sinne des Schutzes demokratischer Standards vor Ort. Vielleicht schafft es ja die neue Regierung auch, eine gewisse Ordnung in die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus zu bringen, ohne sie ihres Charakters zu berauben und die Integration der Einwanderer – vor allem in der Bildung – besser zu gestalten. Das wäre keine so wahnsinnig spektakuläre, sondern eher eine langweilige Aufgabe. Doch in dem Fall plädiere ich für die Langeweile. Denn nur sie kann helfen, das lautstarke Drama zu verhindern, wenn sich ausgerechnet in Deutschland die Rechtsextreme von Ost und West verbindet und weiter, von populistischer Demagogie flankiert, prügelnd und mordend durchs Land zieht.

Wir bleiben gespannt. In jedem Fall. Und hoffen aufs Langweilige.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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