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Prozess gegen die „Gruppe Freital“ – Eine erste Bilanz

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Die Angeklagten sitzen am 25.04.2017 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Dresden zu Prozessbeginn im Verhandlungssaal. (Quelle: dpa)

 

Von: RAA-Sachsen

Am 7. März 2017 startete am Oberlandesgericht in Dresden der Prozess gegen die sogenannte „Gruppe Freital“. Seither fanden 34 Verhandlungstage statt, insgesamt 55 Zeug_innen wurden gehört. Darunter waren zwölf Betroffene der Sprengstoffanschläge,Nachbar_innen,weitere Beschuldigte, die die Aussage zumeist verweigerten,eine Staatsanwältin, die mit den Ermittlungen zu den Anschlägen in Freital betraut war,ein Richter, der Hausdurchsuchungen anordnete und Beschuldigte vernommen hatte,zahlreiche Polizist_innen vom Revier Freital bis zum Bundeskriminalamt, die zuerst an den Tatorten waren, Spuren sicherten, Auswertungen, Hausdurchsuchungen, Vernehmungen oder Observationen der Angeklagten durchgeführt hatten.

Auch Sachverständige zu Sprengmitteln und möglichen Verletzungen sagten bereits aus. Zwei der Angeklagten, Justin S. und Patrick F., ließen sich vor Gericht zu den vorgeworfenen Taten ein.

Den insgesamt acht Angeklagten zwischen 19 und 38 Jahren wird zur Last gelegt, spätestens im Juni 2015 eine rechtsterroristische Vereinigung gegründet zu haben, die durch die Planung und Durchführung von Sprengstoffanschlägen sowie Überfällen „ein Klima der Angst und Repression“ gegen Geflüchtete, sowie deren Unterstützer_innen erzeugen wollte. Es ist der erste Prozess dieser Art in Sachsen. Im Falle einer Verurteilung erwarten die Angeklagten mehrjährige Haftstrafen. Dementsprechend verwunderte auch das große mediale Interesse nicht, das zu Prozessbeginn herrschte. Dass dieser Prozess kein gewöhnlicher ist, ließ sich bereits am Eingang des Gerichtes feststellen: Alle Besucher_innen mussten sich strengen Einlasskontrollen, ähnlich wie an einem Flughafen, unterziehen. Im Gerichtsgebäude selbst befinden sich die Zuschauer_innen hinter einer Panzerglasscheibe abgetrennt vom eigentlichen Gerichtssaal. Da die Berichterstattung hauptsächlich in deutscher Sprache erfolgt, möchten wir im Folgenden einen Zwischenstand zum Prozess notieren, welcher in verschiedenen Sprachen erscheinen wird.

 

Die Anklage

Sieben Männer und eine Frau werden beschuldigt, gemeinsam eine terroristische Vereinigung (§129a StGB) gegründet zu haben, welche für mindestens fünf Anschläge in Freital und Dresden verantwortlich gewesen sein soll. Gezielt sollen die Angeklagten dabei Menschen angegriffen haben, die nicht in ihr rechtes Weltbild passten, vor allem Geflüchtete und politische Gegner_innen. Zwei von ihnen sollen dabei die Drahtzieher gewesen sein. Bei sieben der Angeklagten geht es zudem um versuchten Mord in vier Fällen; die achte Person soll hierzu Beihilfe geleistet haben. Weiterhin wird den Angeklagten gefährliche Körperverletzung, versuchte gefährliche Körperverletzung, Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen sowie unterschiedlich Sachbeschädigungen zur Last gelegt. Dass bei den Anschlägen illegale Sprengkörper zum Einsatz kamen, zeigt, dass es den Angeklagten um möglichst großen Schaden und schwere Verletzungen gegangen sein muss.

 

Die Betroffenen

Die Angeklagten sollen sich ihre Anschlagsziele bewusst nach ihrer rechten und rassistischen Gesinnung ausgesucht haben. Sichtbar wird das Motiv bereits bei einem Blick auf die fünf angeklagten Straftaten: Betroffen waren Menschen aus Syrien und Eritrea, sowie Politiker_innen der Linkspartei und ein linkes Wohnprojekt. Die Betroffenen haben deutlich gemacht, warum sie ihrer Ansicht nach Opfer dieser Anschläge wurden. Sie berichteten vom rassistischen Klima in dieser Zeit in Freital, von Demonstrationen und Anfeindungen. Ein Betroffener aus der Bahnhofstraße erzählt, dass sie bereits vor dem Anschlag »ständig beschimpft« worden seien. »Wir wussten, dass die Leute gegen uns waren.« Ein Anderer berichtete davon, dass sie des Öfteren beschimpft und bespuckt worden. Auch die Geschädigten der Wilsdruffer Straße schilderten böse Blicke, Beschimpfungen und Flaschenwürfe. Die Bewohner_innen des Wohnprojekts Mangelwirtschaft erzählten von Situationen vor dem Angriff, in denen sich mehrere schwarz gekleidete Personen vor dem Haus versammelt hätten, um zu provozieren, sie seien eindeutig »nicht friedlich« gesinnt gewesen.

Michael Richter, Stadtrat für die Partei „Die Linke“ in Freital, berichtete am zehnten Verhandlungstag über den Anschlag auf sein Auto (10. Verhandlungstag). In der Tatnacht sei er durch einen sehr lauten Knall aufgewacht und habe aus seinem Auto eine »tiefschwarze Wolke« austreten sehen. Er schilderte, dass er zuvor auf Facebook von der »rechten Szene« bedroht worden sei. Da hieß es, er solle an die Wand gestellt, erschossen oder gesteinigt werden; auch auf der Straße gab es Anfeindungen. Der Anschlag und die Drohungen hätten dazu geführt, dass er seinen Tagesablauf »dramatisch umgestellt« habe, jeden Morgen einen anderen Weg zur Arbeit gehe und das auch nie zur selben Zeit. Er versuche auch an den Wochenenden nicht in Freital zu sein. Nach dem Anschlag hätten sich die Beleidigungen fortgesetzt. Insbesondere sei das von ihm genutzte Parteibüro zum Ziel von Attacken geworden. Am ehemaligen REAL-Markt sei die Parole »Richter raus« gesprüht worden. Sein Briefkasten sei kurze Zeit nach dem Anschlag mit Bauschaum zugesprüht worden. Immer wieder hätten Unbekannte dort NPD-, Anti-Asyl- und selbst gestaltete Sticker hinterlassen. Darauf habe etwa gestanden: »Richter, wir kriegen dich…« Auf die Anmeldung von Demonstrationen habe er verzichtet, auch sein politisches Umfeld sei eingeschüchtert gewesen und habe sich zurückgezogen. Im November 2015 sei es dann »relativ still« geworden. Die Verhaftungen habe er als »Erleichterung« empfunden. Es habe noch Anti-Asyl-Graffiti gegeben, aber keine Anfeindungen mehr gegen ihn als Person selbst. Heute nutze er das Parteibüro nicht mehr.

Vier junge Eritreer, die in der Bahnhofstraße gewohnt hatten, berichteten von einem lauten Knall in der Nacht zum 20. September (13. Verhandlungstag). Sie seien davon aufgewacht, hätten Splitter und Putz gesehen, sowohl in der Küche als auch im Flur, aber auch im Türbereich der Zimmer. Eine Zimmertür sei durch die Wucht der Explosion geöffnet worden. In der Küche seien das Fenster zerstört worden, die Lampe sei kaputtgegangen, Herd, Kühlschrank und Küchenschränke hätten offen gestanden und ein Stuhl sei umgekippt gewesen. Auch ein Loch in der Wand über der Küchentür wurde festgestellt, das vermutlich durch einen Splitter verursacht wurde. Alle vier berichteten davon, große Angst gehabt zu haben, geschockt gewesen zu sein, einer habe vor Angst gezittert. Die Betroffenen berichteten von weiteren Angriffen auf sie und ihre Wohnung. Einmal habe jemand geklingelt und Pfefferspray in den Wohnungsflur gesprüht. Bei einer weiteren Attacke sei eines Morgens gegen 5 Uhr das Fenster eines Zimmers mit Steinen beworfen worden. Auch eine Explosion habe es schon einmal gegeben, etwa drei Wochen vor dem Anschlag im September (25. Verhandlungstag). In der Nähe des Fensters sei ein Sprengkörper explodiert, wodurch Rauch und Papierschnipsel eingedrungen seien. Draußen unter dem Fenster habe außerdem ein Kartonstück gelegen. Die Polizei sei bei diesem Vorfall aber nicht gekommen. Leute hätten »Fuck« gesagt, wenn sie die jungen Männer aus Eritrea auf der Straße sahen. Auch im Haus selbst seien sie »ständig beschimpft« worden. Es habe Ärger mit einer Person gegeben, die über ihnen wohnte. Diese habe sie auch aus dem Fenster heraus bespuckt. »Ich war immer vorsichtig«, berichtete einer; sobald es möglich war, sei er aus Freital weggezogen.

Die vier syrischen Betroffenen des Anschlags in der Wilsdruffer Straße berichteten von drei Explosionen, von Glassplittern, zerstörten Fenstern und von den Folgen des Anschlags (18. Verhandlungstag). Einer sei am Auge verletzt worden, (19. Verhandlungstag)  einer habe im Nachgang Probleme mit Ohren und Augen gehabt, alle seien bis heute psychisch belastet und hätten Angst. Einer berichtete, dass auch sein kleines Zimmer betroffen gewesen sei und stellte fest: »Wäre ich dort gewesen, wäre ich tot.« Nervlich sei er »kaputt« gewesen, so der Zeuge. Er habe nicht mehr stehen können, weswegen er auch in ein Krankenhaus gebracht worden sei. Der Zeuge berichtete auch von einer blutigen Verletzung an seinem rechten Bein. Das Krankenhaus habe diese aber nicht bestätigen können, erklärt dazu seine Nebenklagevertreterin. Die Schmerzen hätten wohl psychosomatische Gründe. Alle vier haben sich nach ihrer Anerkennung als Flüchtlinge sofort bemüht, Freital verlassen zu können.Nach ihrer Aussage im Gericht wendeten sie sich mit einer Frage an die Angeklagten: »Warum haben Sie das gemacht? Was haben wir falsch gemacht?« Sie seien vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchtet, sie hätten gehofft, hier in Frieden leben zu können. Justin S. entschuldigte sich bei den Betroffenen, die Taten seien durch nichts zu rechtfertigen, er schäme sich dafür und sei »naiv« gewesen. Auch Patrick F. entschuldigte sich. Auf die vielfach gestellte Frage des „Warum“ antwortete er: »Das lässt sich im Nachhinein nicht erklären.«

Drei Bewohner_innen der „Mangelwirtschaft“ in der Overbeckstraße in Dresden berichteten vom Angriff auf das alternative Hausprojekt. Die ersten zwei Verhandlungstage zu diesem Thema verliefen turbulent (21. Verhandlungstag). Es gab heftige juristische Auseinandersetzungen und letztlich die Verhängung eines Ordnungsgeldes, da die erste Zeugin Angaben zu weiteren Personen, die sich im Haus aufgehalten haben, verweigerte (22. Verhandlungstag). Nach weiteren zwei Prozesstagen setzte sich dann ein Bild des Angriffs im Oktober 2015 zusammen (23. Verhandlungstag). Bereits einen Monat zuvor sollte in einer Turnhalle im Dresdner Stadtteil Übigau eine Notunterkunft für Geflüchtete eingerichtet werden, was jedoch Proteste von Anwohner*innen auslöste. Diese hätten die Zufahrt zur Turnhalle blockiert, gleichzeitig habe sich die Stimmung im Stadtteil »massiv« geändert. Anlässlich der rassistischen Blockade, habe sich eine Initiative »Willkommen in Übigau« gegründet, an der auch Leute des Hausprojekts beteiligt waren. Deshalb habe sich die Stimmung auch gegen das Haus gerichtet. Die Zeug_innen berichteten von aggressivem Auftreten, von Personen, die »Streife« gelaufen seien und das Haus fotografiert hätten, von schwarz gekleideten Personen, die vor dem Haus provozierten, auch das Grundstück sei betreten und der Briefkasten abgetreten worden. Die Zeug_innen rechneten diese Personen der rechten Szene zu.

Zum Anschlag berichteten sie, dass kurz vor Mitternacht eine Gruppe von zehn bis fünfzehn Personen auf der Straße wahrzunehmen war. Die habe sich »schnell gehend« auf das Haus zu bewegt und sich davor »aufgebaut«, zwei Personen hätten »zielstrebig« den Gartenzaun angesteuert und eine Zaunlatte herausgerissen. Es folgten sehr laute Knallgeräusche. Ein Zeuge berichtet, wie er einen Gegenstand mit brennender Lunte durch das Fenster fliegen sah, der nach einem kurzen Moment explodiert sei. Er habe auch das Klirren einer zerbrochenen Scheibe gehört, Fensterscherben und einen etwa faustgroßen Stein auf dem Fußboden gesehen. Es sei durch die eingesetzten Sprengkörper »super nebelig« und sehr laut gewesen, eine Zeugin habe außerdem Funken herumfliegen sehen (24. Verhandlungstag). Der dominante Eindruck des Angriffs sei der extreme Lärm der Explosionen gewesen, auch Blitze und Rauch haben die Zeug_innen wahrgenommen. Die Bewohner*innen hätten die Hauseingangstür während des Angriffs mit einem großen Balken von innen verriegelt. Nachdem die Explosionen nachließen, hätten sie die Tür geöffnet und seien in den Hof gegangen. Ein Fahrrad war zerstört, Fensterscheiben zerbrochen, es lagen Reste der Pyrotechnik herum und eine Flasche mit Buttersäure, an der noch ein sehr großer Sprengkörper mit Klebeband befestigt war. Am Gartentor waren die Scharniere herausgebrochen. Vor der Haustür habe es stark gestunken, der Geruch habe sich über mehrere Wochen gehalten und sich auch nicht »wegputzen« lassen. Im Haus gab es zudem Beschädigungen an einem Kachelofen. Ein Zeuge erlitt ein Pfeifen im Ohr. Die Zeug_innen berichteten, dass sie den Angriff als sehr gefährlich empfanden, was bis heute nachwirke. Dennoch wollen sie ihr Engagement für Flüchtlinge nicht einstellen.

 

Die Einlassungen der Angeklagten

Bereits im Ermittlungsverfahren machten alle Angeklagten Aussagen bei Polizei, Staatsanwaltschaft oder Ermittlungsrichter. Vor Gericht haben sich bisher Justin S. und Patrick F. geäußert.

Am zweiten Verhandlungstag äußerte sich der jüngste Angeklagte, Justin S., zu den vorgeworfenen Taten (2. Verhandlungstag). Die Mitangeklagten belastete er dabei erheblich. In seiner gut fünfstündigen Aussage berichtete Justin S., dass er im Frühjahr 2015 »ab und zu« an Demonstrationen gegen Asylsuchende teilgenommen habe. Die dort vertretenen Auffassungen teile er. Er habe sich dann regelmäßig mit den anderen Angeklagten an der Aral-Tankstelle oder in verschiedenen Freitaler Bars getroffen. Dort hätte man sich auch über Politik unterhalten; die Stimmung, so Justin S., sei »rechts angehaucht gewesen«. Es sei gesagt worden, dass Asylsuchende »hier nichts zu suchen« hätten. Linke seien ein weiteres Feindbild der Gruppierung gewesen. Der Angeklagte S. bestätigte mit seiner Aussage alle angeklagten Straftaten. Er sagte, dass die Stimmung »durch die Demos aufgeheizt« gewesen sei. Mit dem Anschlag auf den PKW von Michael Richter sei es dann losgegangen, der Anschlag sei in der Gruppe mit Freude aufgefasst worden. Er berichtete auch von den Anschlägen Bahnhofstraße, Overbeckstraße und Wilsdruffer Straße. Er gab an, wie diese geplant und durchgeführt wurden und wer sich daran in welcher Weise beteiligte. Justin S. räumte dabei ein, dass ihm bereits vor den Anschlägen bewusst war, „wie sehr gefährlich, ja tödlich“ die dabei verwendeten Sprengsätze waren. Er berichtete über die Sprengversuche der Gruppe, die durchgeführt wurden, um herauszubekommen, welchen Schaden die Sprengkörper anrichten können. Er berichtete auch von weiteren Angriffen: ein Steinwurf auf die Geflüchteten-Unterkunft im Hotel Leonardo durch Timo S. und Philipp W. und ein Angriff auf einen Linken in Dresden Laubegast, bei dem auch ein Mobiltelefon geraubt worden sein soll, um dieses auszulesen. Justin S. beschreibt auch die Rollenverteilung in der Gruppe so, dass Timo S. und Patrick F. »höhergestellt« gewesen seien. Alle anderen seien auf »gleicher Ebene« gewesen. Zur Kommunikation der Gruppe erklärte Justin S., dass es unterschiedliche Chaträume gegeben habe. Der kleinste Kreis sei im sogenannten »schwarzen Chat« zusammengekommen, er umfasste die Angeklagten, aber auch noch weitere Personen. Ein weiterer Chatraum hieß »Laber-Chat«, in dem seien ca. 40 Personen gewesen und dort sei über »allgemeine Sachen« gesprochen wurden.

Der Angeklagte Patrick F. äußerte sich am 14. Verhandlungstag15. Verhandlungstag und 31. Verhandlungstag zu den Anschuldigungen. Er schilderte, dass er mindestens zwei der weiteren Angeklagten am 25. Juni 2015 vor dem Hotel Leonardo in Freital kennengelernt habe. Dort habe er sich seine eigene Meinung bilden wollen und »Anschluss« gesucht. Mit Timo S. habe er sich »gut verstanden«. Die Gruppe hätte sich regelmäßig an der Aral-Tankstelle in Freital getroffen, die ein »zentraler Anlaufpunkt« gewesen sei. Dort habe man über Politik und Asylbewerber »diskutiert« und sei »immer mehr« ins Gespräch gekommen. Auch Patrick F. berichtete zu allen vorgeworfenen Straftaten. Für das Fahrzeug des Linken-Stadtrates füllte er eine PET-Flasche mit Schwarzpulver und Kieselsteinen, »um das Ganze zu verstärken«. Rückblickend schätzte der Angeklagte ein, dass er mit der Tat »in der Gruppe angekommen« sei. Den Anschlag Bahnhofstraße will er allein begangen haben und führt als Anlass ein vermeintliches Drogengeschäft an, das er am Tatabend beobachtet haben will. Eine Person hätte er dabei »erkannt« und vermutet, dass diese sich in der Bahnhofstraße aufhalte. Da er nun »wütend« gewesen sei, habe er »absolut unvorbereitet« einen Cobra-Sprengkörper aus der Seitenablage seines Fahrzeuges genommen. Er räumte auch einen zweiten Anschlag an diesem Ort ein. Bereits ein bis zwei Monate zuvor habe er vor der Wohnung eine Kugelbombe gezündet, da man diese testen wollte und weil dort »Asylanten« gewohnt hätten. Zum Anschlag auf das Linken-Parteibüro berichtete er, dass er »den Böller« präpariert und bereitgestellt sowie den Fahrer »gespielt« habe. Im Zusammenhang mit dem Parteibüro seien auch Rohrbomben thematisiert worden, um das »Zerstören von Innenräumen effektiver zu gestalten«. Zum Anschlag Overbeckstraße berichtete Patrick F. wie sie schon früh von den Teilnehmenden des »Protestcamps« in Übigau auf das Wohnprojekt hingewiesen worden seien. Gemeinsam mit der Freien Kameradschaft Dresden (FKD), mit der es enge Verbindungen gab, hätte man schon im Vorfeld an dem Haus provoziert. Zum Tattag schilderte er die Absprachen, das Ausspähen, seine Planungen des Anschlags und den genauen Ablauf. Auch zum Anschlag Wilsdruffer Straße berichtete Patrick F. von den Vorbereitungen, Planungen und der Durchführung. Die von Asylsuchenden genutzte Wohnung sei ihm bei einer Fahrt mit Philipp W. in der Linie F aufgefallen und schon Tage vorher im Chat mit den Worten »Codewort Bombastus« und »Codewort Kanakenbude« thematisiert worden. Auch für diesen Anschlag bereitete er die Sprengkörper vor. Darüber hinaus bestätigte er verschiedene Brandstiftungen im ehemaligen Real-Markt in Freital. Weitere Anschläge seien geplant worden, so auf das Oktoberfestzelt und das Technische Rathaus in Dresden.

In seiner Einlassung ging F. auch auf seine Gesinnung und die Motivation für die Taten ein. Befragt nach Fotos mit schwarz-weiß-roter Flagge und Hakenkreuzflagge, erklärte Patrick F., dass er keine »rein rassistische Einstellung« teilen würde. Das Foto mit der Hakenkreuzflagge sei »für den Privatgebrauch« gewesen. Patrick F. habe dort auch keinen Hitlergruß gezeigt, was aber nicht bedeute, er »distanziere sich davon in Gänze«. Er habe da eine »gespaltene Einstellung«. Bis 2015 seien »Ausländer« für ihn nicht groß Thema gewesen, durchaus habe er sich aber für linke Gruppierungen wie die Antifa interessiert, »die eine Gefahr darstellen« würden. Zur Rollenverteilung in der Gruppe beschrieb er sich selbst als »zurückhaltender« und Timo S. als »Stimmungsmacher«. In seiner Einlassung versuchte Patrick F. das politische Motiv der Taten herunterzuspielen oder gar zu leugnen. So wie er den Anschlag in der Bahnhofstraße verübt haben will, weil dort Drogendealer gewohnt hätten, sollen die Anschläge Overbeckstraße und Wilsdruffer Straßen aus ebensolchen Motiven verübt worden sein. In seiner letzten Befragung vor Gericht räumte er jedoch ein, dass die Behauptung erfunden war, dass die Wilsdruffer Straße angegriffen worden sei, weil dort ein Drogendealer wohnen würde.

 

Sachverständige und Gutachten

An den Verhandlungstagen 28 und 29 wurden zwei Sachverständige gehört. Sie haben für den Prozess notwendige Gutachten erstellt, deren Ziel es war, mittels sogenannter Vergleichssprengungen die Sprengwirkung der eingesetzten Pyrotechnik und die möglichen Folgen zu rekonstruieren. Der BKA-Sachverständige Forster (siehe 28. Verhandlungstag) hatte den Auftrag erhalten, die Anschläge in der Bahnhofstraße und in der Willsdruffer Straße nachzustellen. Rechtsmediziner Prof. Rothschild (siehe 29. Verhandlungstag) begleitete die Sprengversuche, um festzustellen, wie schwer die Betroffenen durch die Explosionen hätten verletzt werden können. Die betroffenen Wohnungen wurden möglichst exakt nachgebildet, ebenso wie die Körper der Geschädigten, die mit ballistischer Seife und Schafsleder simuliert wurden. Allerdings wurden bei der Vergleichssprengung für die Wilsdruffer Straße Sprengsätze des Typs „Super Cobra 6 Topf“ verwendet, obwohl zum Zeitpunkt des Gutachtens bereits bekannt war, dass „Cobra-12“ verwendet wurden. Trotzdem liefern die Gutachten zentrale Ergebnisse. Mit dem Schadensbild hätten die Sachverständigen nicht gerechnet, sie seien vom Ausmaß der Schäden »schockiert« gewesen. Der Rechtsmediziner geht davon aus, dass es für eine Person, die der Explosionswolke ausgesetzt gewesen wäre, wahrscheinlich gewesen sei, einen Halstreffer zu erleiden, der »potentiell tödlich« sei. Zweifel weckte das Gutachten an den Aussagen Patrick F.s, den Anschlag in der Bahnhofstraße allein verübt zu haben. Seine Schilderungen widersprächen den Schadensbildern. Dass die Sprengsätze beim Anschlag auf die Wilsdruffer Straße am Fensterbrett abgelegt und nicht ans Fenster geklebt worden seien, überzeugte den Sachverständigen angesichts seiner Versuche ebenfalls nicht.

 

Erkenntnisse aus den Ermittlungen

Im Zuge der Ermittlungen gegen die „Gruppe Freital“ wurden Beschuldigte vernommen, Wohnungen durchsucht, Computer, Datenträger und Telefone ausgewertet. Dabei wurden nicht nur Pyrotechnik, Zündschnur, Metallrohre, Bauanleitungen für Rohrbomben, Buttersäure und verschiedene Waffen, wie Teleskopschlagstöcke oder Schreckschusswaffen, gefunden, sondern auch zahlreiche Hinweise auf die rechte Gesinnung der Angeklagten. Auch Erkenntnisse zur Gruppenstruktur konnten gewonnen werden. Zu diesen Fragen berichteten zahlreiche Polizeibeamte.

Aus Vernehmungen, Observationen und Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) wurde deutlich, dass es in der „Gruppe Freital“ eine klare Aufgabenverteilung bei Planung, Vorbereitung und Tatbegehung gab. Timo S. sei die treibende Kraft, aber auch Patrick F. sei »ausschlaggebend« für die Gruppierung gewesen. Regelmäßiger Treffpunkt war die Aral-Tankstelle, zu Treffen habe man sich telefonisch oder per Chat abgestimmt, zunächst mit Whatsapp, später mit Kakaotalk. Kontakt hatte die Gruppe zur „Freien Kameradschaft Dresden“.

 

Rechte Gesinnung der Angeklagten als Tatmotiv

Die Beschuldigten spielten in den Vernehmungen ihre rechte Gesinnung, ihre Gewaltaffinität und die Tatmotivation herunter. Sie beschrieben sich als »asylkritisch«, als »weder rechts noch links«, »neutral« oder als »unzufrieden« mit »der Politik«. Dem entgegen stehen jedoch Chatauszüge, in denen unter anderem von »Kanaken aufknüpfen« die Rede war, überhaupt soll in der Gruppe oft von »Kanaken« gesprochen worden sein. In einer Sprachnachricht heißt es zum Anschlag Bahnhofstraße: »Herrlich. Jetzt stehen die ganzen Kanaken vor dem Fenster. Zehn Bimbos. Das sieht so geil aus.« Bei Zellendurchsuchungen ist bei dem Angeklagten Philipp W. eine Zeichnung gefunden worden mit einem Hakenkreuz und dem Eingang zum Konzentrations- und Vernichtungslager Buchenwald verbunden mit der Losung »Jedem das seine«. In Briefen aus der Haft hieß es »Die Taten waren nicht klug, aber geil«, oder dass »Oppositionelle wie wir« eingesperrt bleiben müssten, weil »die Juden der Justiz Angst haben, dass ich nicht zur Verhandlung antrete«.

Im Zuge der Hausdurchsuchungen bei den Beschuldigten wurden diverse Kleidungsstücke gefunden, darunter die Marke Thor Steinar, T-Shirts mit der Aufschrift »FCK Antifa« , »Freital« oder »Bürgerwehr Freital«, Pullover mit der Aufschrift „Kategorie C – Gegen alle Regeln“ oder mit dem Logo der Rechtsrockcombo „Stahlgewitter“, Schuhe, auf die Hakenkreuze gemalt worden sind, außerdem eine Reichskriegsflagge, eine Hakenkreuzflagge, Aufkleber mit „Todesstrafe für Kinderschänder“, „Einwanderung löst keine Probleme, sie schafft nur welche“, „Im Gedenken an die Gefallenen des 2. Weltkriegs“, „Tag der deutschen Zukunft“ oder „Antifa-Gruppen zerschlagen“, »Bitte flüchten sie weiter, es gibt hier nichts zu wohnen – Refugees not welcome«, »Bürgerwehr Freital« oder »HKNKRZ«. Auch eine selbstgebrannte CD mit dem Titel »Braun is beautiful« wurde aufgefunden, ebenso eine CD der Rechtsrockband »Gigi und die braunen Stadtmusikanten«.

Auf Computern und Speichermedien wurde unter anderem ein Bild gefunden, auf dem eine Gruppe vermummter Personen mit Bengalos, Hakenkreuzflagge und einer schwarzen Flagge mit »Freital«-Aufdruck posiert. Außerdem wurden gewaltverherrlichende Dateiinhalten gefunden. Allerdings wurden diese Funde im Auswertungsbericht nicht näher erläutert, da die Ermittler keine Verfahrensrelevanz gesehen hätten.

 

Fehlerhafte Ermittlungen und widersprüchliche Aussagen

Die Vernehmungen der Polizeibeamten gezeigten, dass die Ermittlungen nicht immer gründlich geführt wurden. Die Tatmotivation stand nicht im Fokus der Polizeiarbeit, entsprechend wurde verschiedenen Beweisen und Hinweisen nicht nachgegangen. Auch die Auswertung beschlagnahmter Datenträger erfolgte nur unzureichend. Immer wieder gab es außerdem Übersetzungsprobleme bei der Befragung von Geschädigten. Ungeklärt bleibt auch der genaue Gang der Ermittlungen. Hier stehen sich die Aussagen der leitenden Staatsanwältin, eines Polizeibeamten und des Justizministers gegenüber.

Ein Polizeibeamter der „Ermittlungsgruppe Deuben“, Kriminalhauptkommissar (KHK) M. (32. Verhandlungstag), kritisierte deutlich die Generalstaatsanwaltschaft (GeSta) Dresden, die die Anregungen zu einem Strukturermittlungsverfahren immer wieder abgelehnt habe. Stattdessen seien die Straftaten als Einzelstraftaten verfolgt worden. Spätestens um den 18. Oktober 2015 herum seien die Ermittler von einem organisierten Täterzusammenhang ausgegangen. Daher hätten sie »öfters« Strukturermittlungen angeregt, weil eine Struktur »klar erkennbar« gewesen sei. Die Generalstaatsanwaltschaft habe diese aber ohne Begründung abgelehnt. Staatsanwältin Kirchhoff hatte das in ihrer Aussage (12. Verhandlungstag) anders dargestellt. Ihrer Erinnerung nach habe es zwar kein Strukturermittlungsverfahren gegeben, weil erstmal Ergebnisse der laufenden Ermittlungen abgewartet werden sollten. Es habe aber einen Prüfvorgang gegeben. Es sei darum gegangen alles zu sammeln. Erst wenn »genügend da ist«, werde die Entscheidung über ein Ermittlungsverfahren getroffen. Dem widersprach KHK M. in seiner Vernehmung deutlich. Bis die Bundesanwaltschaft das Verfahren im April 2016 »endlich« übernommen hatte, habe es auch keine Änderung des Ermittlungsauftrags gegeben.

Entgegen der Aussage des KHK M., dass eine Struktur »klar erkennbar« gewesen sei, soll es in einer Hausmitteilung der GeSta im März 2016 geheißen haben, dass die Täter zwar »vernetzt« gewesen seien, aber keine »Organisation« gebildet hätten und außerdem keine »hinreichende Erkenntnis« für eine Struktur vorliegen würden. Diese Mitteilung und die Aussage der Staatsanwältin Kirchhoff stehen auch im klaren Widerspruch zur Antwort des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow auf eine Landtagsanfrage vom Mai 2016 (kleine Anfrage), in der es heißt, dass Strukturermittlungen im Freital-Komplex veranlasst worden seien.

 

Aussicht

Die umfangreiche Beweisaufnahme wurde ab 31. Juli 2017 vor dem Oberlandesgericht Dresden fortgesetzt. Hatte das Gericht ursprünglich 62 Verhandlungstage bis Ende September angesetzt, gibt es bereits jetzt weitere 26 Termine bis Ende Dezember. Das Gericht kündigte zudem am letzten Prozesstag vor der Sommerpause weitere Sitzungstermine bis Ende Februar an.

 

Zuerst veröffentlicht am 25.07.2017 auf RAA-Sachsen

 

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