
Die Union hat ihr Ziel erreicht. Trotz eines historisch schlechten Ergebnisses von 28 Prozent der Stimmen wird sie als stärkste Kraft in den 21. Deutschen Bundestag einziehen und voraussichtlich den Bundeskanzler stellen. Die AfD, die ihren Zweitstimmenanteil verdoppeln konnte, steigt mit 20,8 Prozent zur zweitstärksten Kraft auf und zählt so zu den Gewinnern dieses Wahlkampfes. Die Linke überraschte mit bundesweit 8,8 Prozent und einem Wahlsieg in Berlin. Dieser Wahlkampf hat viele Wähler*innen mobilisiert. Doch er hat auch ein neues Niveau rassistischer Narrative und politischer Polarisierung hervorgebracht – eine Entwicklung, die vor allem eine polarisierte Gesellschaft zurücklässt.
Unterzeichnen Sie hier die Petition der Amadeu Antonio Stiftung für die Koalitionsverhandlungen: Demokratie verteidigen – Kein Platz für Hass und Hetze
„Von wegen 70 Prozent mehr: Hier ist Scholz‘ ungeschönte Abschiebe-Bilanz“, titelte der Focus am Tag nach dem Kanzlerduell vom 9. Februar 2025. Diese Schlagzeile steht beispielhaft für die gefährliche Normalisierung rassistischer Positionen, die den Wahlkampf 2025 prägten. Es ist der Ton, den Politiker*innen selbst in der Debatte vorgeben. Menschenleben werden auf statistische Werte reduziert.
Wer das Kanzlerduell zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz verfolgt hat, konnte sich beim darauffolgenden Quadrell, zusätzlich mit Robert Habeck und Alice Weidel, am 16. Februar beinahe erholen. Während das Duell in einen Wettstreit darüber ausartete, wer die meisten Menschen am schnellsten abschieben würde, blieben die Diskussionen über Migration mit den Spitzenkandidat*innen vergleichsweise kurz. Selbstverständlich wurde „das drängendste Problem“ (WELT vom 15. Januar 2025) der Wähler*innen direkt zu Beginn der Runde angesprochen, doch die Widmung mit nur 20 Minuten fiel vergleichsweise knapp aus. Die Positionen der Parteien zeichneten ein einheitliches Bild: Gegen Abschiebungen etwa ist niemand. Friedrich Merz will mit den Taliban sprechen, um Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen. Olaf Scholz ist schon einen Schritt weiter und berichtet von Kontakten, um einen „Abschiebeflieger“ zu ermöglichen. Robert Habeck schließt Abschiebungen nach Afghanistan ebenfalls nicht aus.
Das Quadrell brachte also wenig Neues, sondern wiederholte vor allem die rassistischen Diskurse, die den Wahlkampf 2025 prägten. Auch die Moderation, geführt von Pinar Atalay und Günther Jauch, nahm keine Einordnung vor. Zwar wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass die Forderungen unrealistisch seien. Wie etwa die Forderungen nach dauerhaften Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen, wie sie von der CDU und der AfD gefordert wurden. Doch diese Feststellung wurde weder vertieft noch in einen kritischen Kontext gesetzt. Ein Faktencheck zu den Aussagen wurde zwar veröffentlicht, doch dieser war lediglich online zugänglich und fand keinen Eingang in die Diskussion selbst. Stattdessen erhielten die kaum unterscheidbaren rassistischen Positionen der Parteien, wenig bis gar keinen Widerstand, weder von den Moderator*innen noch von den Medien in der Nachbereitung.
Einer der größten Aufreger des Bundeswahlkampfes war die gemeinsame Abstimmung von Union, FDP und BSW mit der AfD, um einen gemeinsamen Bundestagsbeschluss der CDU durchsetzen. Besonders pikant war dabei die Nähe der CDU zu einer Partei, die zuvor noch mit sogenannten „Abschiebetickets“ für Aufsehen sorgte. Eine besonders geschmacklose Aktion, die jedoch nicht allzu weit entfernt ist von den Äußerungen, mit denen Friedrich Merz in der Welt am Sonntag vom 20. Dezember für Empörung sorgte. Den Anschlag auf einen Magdeburger Weihnachtsmarkt vom 20. Dezember 2024 nahm er zum Anlass, um eine grundsätzliche Kehrtwende in der Migrationspolitik zu fordern – unter anderem die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft bei Straffälligen.
Von allen im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien übt lediglich die Linke eindeutige Kritik an Merz. Parteivorsitzender Jan van Aken unterstellte dem CDU-Chef Doppelmoral und Rassismus. SPD-Innenministerin Faeser äußerte sich vorsichtiger und bezeichnete Merz‘ Aussagen als „nicht umsetzbar“, während Saskia Esken die Worte „rechtspopulistisch“ wählte, um Merz zu kritisieren. Auch die restlichen Reaktionen auf die Zusammenarbeit von CDU und AfD, konzentrierten sich fast ausschließlich auf den Fall der sogenannten Brandmauer und die Unzuverlässigkeit der CDU. Und nicht um das von Merz vorgebrachte „Zustrombegrenzungsgesetz“, das den Rassismus schon im Namen trägt.
Die Debatte im Wahlkampf 2025 hat sich derart zugespitzt, dass sich alle Parteien – mit Ausnahme der Linken – darauf geeinigt haben, Geflüchtete nur dann zu akzeptieren, wenn sie dem deutschen Staat nützlich sind, sprich, wenn sie arbeiten. Für diese Sichtweise werden sogar eigene Jugendorganisationen verprellt. Ein Beispiel dafür ist die Reaktion der Grünen Jugend, nachdem Robert Habeck im Januar über den Deutschlandfunk erklärte, Geflüchtete, die nicht arbeiten, müssten in ihr „sicheres Herkunftsland“ zurückkehren und kurz darauf in der BILD seinen 10-Punkte-Plan für Asyl- und Sicherheitspolitik veröffentlichte. Die Grüne Jugend übte daraufhin Kritik bei Instagram: „Habeck oder Merz, wo ist der Unterschied?“ (taz vom 4. Februar 2025) und stellte kurzerhand einen eigenen 10-Punkte-Plan unter dem Motto „Humanität durch Sozialstaat“ vor. Angekündigt wurde dieser mit den Worten: „Unser Sicherheitsbegriff ist breiter als die Ausweitung von Polizeirechten und Abschiebung“. Auch der Ton in den Medien wurde zunehmend empathieloser. Die Zeit schrieb diesbezüglich von einer „Ansage an die Syrer hierzulande“ – und reiht sich damit in eine polemische Rhetorik ein, die den Wahlkampf medial begleitet.
Auch die CSU instrumentalisiert rassistische Narrative für ihre Agenda. Ihr Wahlprogramm 2025 ist geprägt von Forderungen nach härteren Strafen für „Messerattacken“, nach der „Sicherung der Grenzen“ und immer wieder von der Drohung vor „illegaler Migration“. Was neu ist: Diese Angst- und Bedrohungsnarrative, die bestimmte Bevölkerungsgruppen stigmatisieren, werden nicht mehr ausschließlich von Akteuren des rechten politischen Spektrums genutzt. Sicherlich auch, um in den Medien Gehör zu finden. Die Medien wiederum greifen diese Themen dankbar auf, ohne der Entmenschlichung der Betroffenen ausreichend entgegenzuwirken.
Die rhetorischen Tiefpunkte, die den Wahlkampf prägen, verlieren schnell ihre Schlagkraft. Kaum ein Thema bleibt hängen, weil der nächste Skandal bereits vor der Tür steht. Derartige Aussagen wurden von Politik wie Medien so routiniert und ohne nennenswerte Kritik wiederholt, dass sie nahezu unbemerkt in den politischen Alltag übergehen.
Es ist dieser gefährliche Trend, der den Wahlkampf 2025 von seinen Vorgängern unterscheidet. Die Wahlkampfdebatte nahm nicht mehr nur rassistische und diskriminierende Züge an, sondern war von diesen definiert. Diese Entwicklung zeigt sich nicht nur in den Positionen von rechtspopulistischen Parteien wie der AfD, sondern auch in den zunehmend rassistisch geprägten Aussagen etablierter Parteien. Es fehlt entschieden an einer kritischen Reflexion darüber, wie diese Rhetorik nicht nur in Wahlprogrammen, sondern auch im alltäglichen politischen Diskurs immer mehr an Einfluss gewinnt. Und es stellt sich die Frage, wie das Wahlergebnis ohne die mediale Überpräsenz dieser unwidersprochenen rassistischen Narrative im Wahlkampf ausgefallen wäre.