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Rechtsaußen Digitale Reaktionen nach der Bundestagswahl 2025

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AfD. Propaganda: KI-Videos, in denen sich AfD-Politiker*innen in Tiere verwandeln – etwa in Dobermänner, Wölfe, Adler oder glorreich inszenierte Löwenkönige (Quelle: Screenshot)

Nach der Bundestagswahl versuchen antidemokratische Kräfte, das Wahlergebnis für sich umzudeuten und damit zu polarisieren. Die aktuellen Online-Debatten aus dem rechtsextremen und verschwörungsideologischen Milieu spiegeln nicht nur den metapolitischen Kampf um die Diskurshoheit wider, sondern offenbaren auch tiefgreifende strukturelle Veränderungen in einem bereits angegriffenen Informationsraum. 

Menschenfeindliche Takes gehören zum festen Arsenal antidemokratischer Akteur*innen. Der beständige Versuch, komplexe Realitäten brutal in Menschenfeindlichkeit umzudeuten und Skandale zu inszenieren, dominiert auch nach der Bundestagswahl 2025 die Agenda der Rechten. Dabei wird die deutsche Innenstadt als Kampffeld inszeniert, während Anschläge in Aschaffenburg, Magdeburg und München als Beweise für eine angebliche „Überfremdung“ herangezogen und von einem Deutschland der Deutschen geschwärmt wird.

Die aktuellen Dynamiken werden zusätzlich durch ein Kaleidoskop an Astroturfing (der Versuch künstliche Graswurzelbewegungen zu erschaffen), Agenda Setting, KI und Augmented Reality (computergestützte Erweiterungen; z. B. Instagram 3D Filter), Hashtags, Emojis und viralen Songs befeuert. Beispielsweise kursieren auf YouTube rechtsextreme Wahlsongs wie von der rechtsextremen Rap-Gruppe NDS „Systemausfall“, „Wenn du Links wählst“ oder „Wählt blau“, die – oftmals in Verbindung mit brachialen Texten – den politischen Diskurs anheizen. Auf TikTok dominieren Hashtags wie „German brainrot“ (zu Deutsch: Gehirnverrottung, beschreibt einen Meme-Trend), die mit KI-gerenderten Tieren und einer deutschen KI-Stimme arbeiten, um die Wahl sowie deutsche progressive Politiker*innen ins Lächerliche zu ziehen. Einige dieser Brainrot-Videos erhalten bis zu einer Million Likes und erreichen teilweise sogar hohe zweistellige Millionenzahlen. 

Dabei zeigt sich, dass Hashtag-Aktivismus im Allgemeinen wohl eher zu den alten Medienstrategien gehört, da Rechte im Netz eine unglaubliche strategische Vielseitigkeit vor der Bundestagswahl an den Tag gelegt haben. So setzen viele etwa auf memefizierte Verstärkungsstrategien wie Dogpiling (eine Form des kollektiven, organisierten Trollings), arbeiten mit Trending Sounds und Meme-Mitschnitten von Politiker*innen oder veröffentlichen KI-Videos, in denen sich AfD-Politiker*innen in Tiere verwandeln – etwa in Dobermänner, Wölfe, Adler oder glorreich inszenierte Löwenkönige. Auch hymnenartige Soundmemes entstehen, wie Triene, einer zur Influencerin gewordenen AfD-Sympathisantin, mit ihrem „sich deutsch fühlen“-Song eindrucksvoll demonstriert.

Im Zentrum der digitalen Reaktionen stehen zahlreiche Akteur*innen, die teils anonym oder über Schattenaccounts (Sekundärprofile) crossmedial agieren und mit gezielten Botschaften spezifische Zielgruppen erreichen wollen. Persönlichkeiten wie Alice Weidel (1 Mio. Followerinnen auf X) oder Influencer*innen wie Ketzer der Neuzeit (über 500.000 Follower*innen auf YouTube) oder die eben erwähnte Triene (auf TikTok mit 1,5 Mio. Likes) erzielen online enormen Zuspruch. Ihren Erfolg verdanken diese Akteur*innen auch ihren Formaten, wie etwa den Meme-Songs von Triene, speziellen Straßenumfragen wie denen von Ketzer der Neuzeit oder der Aktivistin Eingollan, die mit passgenauen Fragen wie „Wen wählen?“ den Puls der Wählerschaft einfangen wollen. Andererseits verdanken Politiker*innen wie Alice Weidel ihren digitalen Erfolg nicht etwa ihrer ausgetüftelten Medienstrategie, sondern dem Einwirken von Tech-Giganten wie Elon Musk, der nach seinem Interview sehr direkt Einfluss auf ihre Reichweite genommen hat. Insgesamt lässt sich erneut feststellen, dass rechte Inhalte durch ihre emotionsgeladene, skandaliserende Art von den Plattformen nach wie vor belohnt werden, überproportional ausgespielt werden und deutlich mehr Interaktionen generieren. 

Parallel dazu gewinnen Wahlfälschungs-Narrative auf allen Plattformen an Sichtbarkeit und werden nur mühsam und mit Nachdruck von diversen Faktenchecker*innen gelöscht. Wahlbetrugs-Beweisvideos, in dem vermeintliche Belege für die Aussortierung von AfD-Briefen präsentiert werden, geistern weiterhin ungehindert durch das Netz. Egal ob auf Telegram, X, TikTok oder WhatsApp – dieses Video verbreitet sich selbst nach Löschung des ursprünglichen Accounts weiter. Verstärkeraccounts wie Bots oder Fans teilen Screenshots oder sekundär hochgeladene Versionen, um die Wahlsicherheit zu diskreditieren. Das Video verfängt derart, dass selbst AfD-Abgeordnete wie Nicole Jordan sich zu Wort melden, um sich als persönlich Betroffene des vermeintlichen Wahlbetrugs auf X zu echauffieren. So veröffentlichte die Politikerin aus Hamburg wenige Tage vor der Wahl ein Video, in dem sie aus dem Auto heraus über die Zustände im Land berichtete und davon sprach, wie stinksauer sie über den Wahlbetrug sei. 

Die Narrative rund um das Thema Wahlbetrug verschärfen sich im Vergleich zur vergangenen Bundestagswahl, da immer mehr rechte Politiker*innen und Akteur*innen bereits entkräftete Lügen erneut aufwärmen und brühwarm weiter posaunen. 

Dazu immer wieder der Aufruf, sich als Wahlhelfer*in zu engagieren. Denn nur so ließe sich die Wahl im Nachhinein anfechten. Konkret übersetzt: Wem das Ergebnis nicht passe, solle alles daran tun, den demokratischen Prozess zu erschweren. 

Andere, wie etwa das verschwörungsideologische Portal AUF1 aus Österreich – setzen auf eine andere Strategien und jubeln über ein Fantasieergebnis: „26 % für die AfD!?“, heißt es im Livestream mit Stefan Magnet und Mario Müller Mertens. Wenn sich die Information später als blanke Lüge und Übertreibung herausstellt, kann immer noch im Nachhinein über Wahlbetrug gejammert werden. Gleichzeitig füllt sich das Netz mit Irrtümern, Halbwissen und ignoranter Haltung. 

Abschließend lässt sich sagen, dass die digitalen Reaktionen nach der Bundestagswahl 2025 ein Spiegelbild der gesamtgesellschaftlichen Spannungen darstellen. Der digitale Raum ist längst zum zentralen Schauplatz politischer Meinungsbildung geworden, in dem Narrative gleichermaßen als Waffe und als Dissensstrategie eingesetzt werden. Die strategischen Inszenierungen – sei es durch virale Videos, gezielte Wahlfälschungsnarrative oder die algorithmische Verstärkung extremistischer Inhalte – zeigen, dass der Kampf um die Deutungshoheit im Netz kein vorübergehendes Phänomen, sondern ein fester Bestandteil unserer politischen Wirklichkeit ist. Man fragt sich nur, wie lange wir es uns als Gesellschaft leisten können, diesen Schauplatz dermaßen politisch zu bagatellisieren, wie es derzeit geschieht.

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