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Rechtsextremismus und Corona „Freie Sachsen“ – die Radikalisierungs-Beschleuniger

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(Quelle: BTN)

Der Messengerdienst Telegram ist das zentrale Vernetzungstool der antidemokratischen Coronaleugner:innen-Proteste. Besonders für die Vernetzung und Mobilisierung in Sachsen scheint ein Telegram-Kanal besonders relevant zu sein: „Freie Sachsen“. Der offene Kanal, das bedeutet, jeder kann ihm beitreten, verzeichnet mittlerweile über 100.000 Abonnent:innen. Hinter den „Freien Sachsen“ stehen teils überzeugte Rechtsextreme.

Die rechtsextremen Hintermänner der „Freien Sachen“

Bei den „Freien Sachsen“ handelt es sich eigentlich um eine Regionalpartei, die am 26. Februar 2021 in Schwarzenberg im Erzgebirge gegründet wurde. Der Vorstand der neu gegründeten Partei setzt sich überwiegend aus namhaften sächsischen Rechtsextremen aus dem Raum Chemnitz und dem Erzgebirgskreis zusammen.

Chef der „Freien Sachsen“ ist Martin Kohlmann, Anwalt und Kopf der extrem rechten Wählervereinigung „Pro Chemnitz“. Er wurde 2018 deutschlandweit bekannt, als er die rassistischen Proteste in Chemnitz im Spätsommer 2018 mit anführte. Oder Kohlmanns Stellvertreter, der Rechtsextreme Stefan Hartung aus Aue-Bad Schlema. Auch er hat Erfahrung mit der Organisation von menschen- und demokratiefeindlichen Protesten. Der sächsische Verfassungsschutz zählt Hartung „zu den relevantesten rechtsextremistischen Akteuren im Erzgebirgskreis und im Großraum Chemnitz“. 2013 hat Hartung in Schneeberg die rassistischen „Lichtelläufe“ organisiert, einer Art Vorgänger-Demonstration von Pegida. Oder Michael Brück, ein überzeugter Neonazi aus Westdeutschland, mit einer rechtsextremen Karriere bei der NPD, der NWDO und schließlich bei „Die Rechte“. Von Dortmund-Dorstfeld aus betrieb der Propangadist einen Onlineversandhandel, der lange den unzweideutigen Namen „Antisem Versand“ trug, mit der Webadresse antisem.it. Ende 2020 wurde bekannt, dass Brück nach Chemnitz gezogen ist, dort ist er als Angestellter für den Chef der „Freien Sachsen“, Martin Kohlmann, tätig.

Die „Freien Sachsen“ fungieren derzeit als Sammelbecken, um menschenfeindlichen Protest wirkmächtig zu organisieren. Zentrale Figuren haben es bereits in der Vergangenheit erfolgreich geschafft, Unmut und Ressentiments auszunutzen und in Protestformen umzuwandeln. Den Frust über die Corona-Schutzmaßnahmen versuchen sie dabei zu nutzen. Und das machen sie vor allem mit Hilfe ihrer großen Haupt-Telegram-Gruppe und mehreren regionalen Ablegern.

Endkampfrhetorik: Schnelles Radikalisierungstempo

Optisch merkt man auf den ersten Blick in den Telegram-Kanal der „Freien Sachsen“ vielleicht nicht unbedingt, dass hier extrem rechte Aktivist:innen hetzen. Reichskriegsfarben fehlen, genau wie gängige rechtsextreme Codes. Die Sprache die sie in ihrem Kanal verwenden ist hingegen eindeutig. Immer stärker radikalisieren sie ihre über 100.000 Abonnent:innen. Sie bedienen eine gewaltvolle Rhetorik, die immer auf einen Kampf „Gut gegen Böse”, „Wir gegen die“, „Unten gegen Oben”, hinausläuft. Quasi in Echtzeit posten sie Bilder und Videos von Demonstrationen. So bekommen die Abonnent:innen den Eindruck, sie seien tatsächlich die Mehrheit.

In einem Post vom Montag, den 6. Dezember schreiben die Administrator:innen:

„Wir werden siegen! Zum vielleicht letzten Mal hat das Regime heute Stärke zeigen wollen – mit tausenden Polizisten, die aus ganz Deutschland in Sachsen eingefallen sind. Doch überall wachen die Menschen auf. Den Herrschenden steht die Panik im Gesicht. Sie werden in den nächsten Tagen weiter gegen uns vorgehen, ihre eigenen Gesetze brechen, skrupellos und in Panik, dass ihre Zeit als politische Entscheidungsträger abläuft. Spätestens mit dem heutigen Tag ist aus den Massenprotesten in Sachsen ein Flächenbrand in Mitteldeutschland geworden. Und mit jedem Knüppelschlag, jedem Kessel, verliert die herrschende Clique an Akzeptanz. Es ist WENDEZEIT. Jetzt erst recht!“

Diese Kriegsrhetorik ist wahrscheinlich bewusst gewählt: Die „Freien Sachsen”  wollen ihre Abonnent:innen radikalisieren. Es klingt, als würden die Follower:innen auf einen drohenden Bürgerkrieg vorbereitet, auf den in der rechtsextremen Szene viel beschworenen „Tag X“, an dem die Demokratie zerbricht und ein Bürgerkrieg über die Frage entscheiden wird, wie es mit Deutschland weitergeht. Den „Freien Sachsen“ geht es jedoch erst einmal um Sachsen. Sie phantasieren in ihrem Parteiprogramm von einem Säxit ​​– dem Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik, außerdem solle das sächsische Königshaus bei der Gestaltung der Zukunft Sachsens einbezogen werden – Ideologien der Reichsbürgerbewegung spielen bei den „Freien Sachsen“ auch eine zentrale Rolle. In dem Post vom 6. Dezember sprechen die „Freien Sachsen“ von „Wendezeit“, sie wollen nichts weiter als eine Revolution und ihre 100.000, sie sollen alle mitmachen.

Altes Potential, das Rechtsextreme jetzt reaktivieren

Doch woher kommen die 100.000 Abonnent:innen und die Menschen, die täglich auf den Demonstrationen gegen die Infektionsschutzmaßnahmen in Sachsen auf die Straße gehen? Extrem rechte Aktivist:innen, die viele der bundesweiten „Corona-Demos“ anführen, zehren von einem Potential, das vor einiger Zeit aktiviert wurde. Im Falle Sachsens ist es wohl die rassistische Mobilisierung von Pegida. Anfang 2015 zog es bis zu 25.000 Menschen auf die Straße, um gegen Migrant:innen und die Demokratie zu hetzen. Auf einmal waren Dinge sagbar, die vorher nicht sagbar waren. Viele Menschen wendeten sich damals von klassischen Medien ab und vertrauten stattdessen lieber extrem rechten Journalist:innen, radikalen Hetz-Blogs, verschwörungsideologischen Magazinen und YouTuber:innen die schlicht Falschnachrichten in die Welt posaunten.

Viele der Menschen, die nun gegen die Maßnahmen demonstrieren, wurden wohl schon vor Jahren radikalisiert und verabschiedeten sich schon damals vom demokratischen System. Die derzeitigen Demonstrationen schaffen es dieses Potenzial wieder aufzugreifen und zu mobilisieren. Das tun sie in dem sie, wie die „Freien Sachsen“ behaupten, jetzt sei die letzte Gelegenheit, um für die „Heimat“ (in einem völkischen Verständnis) auf die Straße zu gehen.

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