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Wahlprogramm Der Fassadentrick der AfD

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Auf ihren Plakaten wirbt die Partei mit „Zeit für die AfD“, in ihrem Wahlprogramm hält sie die bürgerliche Fassade hoch. (Quelle: picture alliance / CHROMORANGE | Udo Herrmann)

Auf X, der Lieblings-Social-Media-Plattform der AfD, herrschte zuvor Spott: Ob die Partei es noch vor der Bundestagswahl schaffe, ihr Wahlprogramm zu veröffentlichen. Die AfD-Expertin des Deutschlandradios, Nadine Lindner, postet ein Meme mit einem Skelett, das mit den Fingern auf den Tisch tippelt und ungeduldig wartet, darunter steht „How long“ – Wie lange noch? Die Journalistin schreibt: „Vor drei Wochen hat die AfD beim Parteitag in Riesa ihr Wahlprogramm beschlossen. Es ist immer noch nicht komplett veröffentlicht.“ Tatsächlich erscheint am selben Tag noch das Programm der Rechtsextremen, 22 Tage nach dem Parteitag.

Keine Programmpartei

Die AfD war noch nie eine Programmpartei und wird es wohl auch so schnell nicht werden. Die Wahlprogramme wirken oft eher nebensächlich und sind vielfach in sich widersprüchlich. Manche Landesverbände schreiben auch mal das Gegenteil davon rein, was sie zur Wahl davor gefordert hatten. Allerdings betrifft das nur Inhalte, die für die AfD eher unbedeutend sind, wie der Umgang mit Menschen mit Behinderung.

Zentral für die Betrachtung der Partei ist immer eine Besonderheit: Die AfD will keine pragmatischen Lösungen, sondern Narrative setzen, Untergangsstimmung schüren und einen Kulturkampf inszenieren. Das heißt auch: Der Parteiname soll Wähler*innen austricksen. Es geht nicht um eine Alternative, für oder gegen die man sich entscheiden kann. Alternative meint hier: AfD oder Untergang. Es ist ein weltanschaulicher Kampf „Gut gegen Böse“. Alle Politiker*innen der demokratischen Parteien gelten als „Volksverräter“, die im Interesse fremder Mächte Deutschland zerstören.

„Kältebad“ für Deutschland

Der rechtsextreme Theorieansatz, nachdem erst einmal der große Zusammenbruch kommen muss, ehe ein neues System errichtet werden kann, scheint auch in der AfD – oft noch hinter vorgehaltener Hand – immer mehr Anhänger*innen zu finden. Einige hoffen, dass Deutschland in eine dramatische Lage wie einen Winter ohne Gaszufuhr komme, denn „je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD“. Der rechtsextreme Verleger Götz Kubitschek, zentraler außerparteilicher Vordenker der AfD, arbeitet schon seit 2013 an einer stetigen Radikalisierung der Partei und sagt, was die Funktionär*innen sich (noch) nicht so laut zu sagen trauen.

Jegliche Sozialmaßnahmen, auch völkische, wie die des „Solidarischen Patriotismus“, seien zum jetzigen Zeitpunkt abzulehnen: „Dieses Volk braucht ein Kältebad“, so Kubitschek. Das Soziale im Land sei ein Palliativkonzept für das gesamte Volk. Dass mit so einem Programm keine Wähler*innen zu gewinnen sind, weiß auch Kubitschek. Deshalb rät er der AfD auch davon ab, dies offen auszusprechen.

Das Fassaden-Programm

Vor diesem Hintergrund, was die AfD offen sagen kann und was nicht, muss auch das Bundestagswahlprogramm gelesen werden. Interessant ist dabei nicht nur, was drin steht, sondern auch, was nicht (mehr) drin steht, und welche Änderungsanträge bei der Programmfindung eingebracht wurden. Diese zeigen auch, welche Positionen in der Partei vorherrschen mögen, es aber teils aus taktischen Gründen nicht ins Programm geschafft haben. Aber vor allem ist das Programm wichtiger Bestandteil der „demokratischen“ Fassade der AfD.  Wenn Alice Weidel auf rechtsextreme Äußerungen, Netzwerke, Chat-Nachrichten und rechtsterroristische Aktivitäten von AfD-Mitgliedern angesprochen wird, sagt sie immer: Schauen sie in unser Wahlprogramm, wo steht da was Rechtsextremes? Hier hat die AfD von der NPD gelernt: Bloß nichts reinschreiben, was eindeutig verfassungsfeindlich ist. Das dürfte auch der Grund sein, warum der Leitantrag in manchen Passagen zum Islam entschärft wurde, damit der Verfassungsschutz nicht noch mehr Belege für die Verfassungsfeindlichkeit der AfD bekommt.

Im Vergleich zum Bundestags-Wahlprogramm 2021 fällt auf, dass das Programm um mehr als 40 Seiten dünner geworden ist. Und es setzt andere Akzente als 2021: Damals begann das Wahlprogramm mit dem Kapitel „Demokratie und Rechtsstaat“. Das Thema hat es im aktuellen Wahlprogramm nicht mal mehr unter die Top 3 geschafft. Im neuen Wahlprogramm steht stattdessen Wirtschafts- und Sozialpolitik ganz vorne und ist damit neben Migration das wichtigste Thema.

Mit Wirtschaftspolitik zum Erfolg?

Alle Analysen zu der Wirtschafts- und Steuerpolitik der AfD zeigen, welchen Ansatz sie hier verfolgt: Je reicher man ist, desto mehr soll man finanziell entlastet werden. Nur die FDP will die reichsten der Reichen finanziell noch besser stellen. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) attestiert „katastrophale wirtschaftliche Konsequenzen“, sollte die AfD-Wirtschaftspolitik umgesetzt werden. Auch andere Wirtschaftsexpert*innen kommen zu ähnlichen Ergebnisse. Das stört die AfD äußerlich wenig. Wirtschaftsinstitute werden, wie andere Parteien, Vereine und Organisationen, als Teil des zu stürzenden Systems geframed.

Ein Blick in die Änderungsanträge zum Wahlprogramm offenbart, dass die AfD noch weit radikalere Positionen in petto hat. So wurde in einem Antrag „die Privatisierung des Arbeitslosengeldes I“ gefordert. Das staatliche Solidarsystem sei ein Wettbewerbsnachteil, und solle durch private Vorsorge ersetzt werden. Ausgerechnet AfD-Wähler*innen würden stark unter der Wirtschaftspolitik der AfD leiden. Vielfach herrscht in klassisch wirtschaftsliberaler Sicht in der Partei die Ansicht vor, dass staatliche Transferleistungen korrumpieren, man dadurch klein gehalten werde, kein Potenzial entwickele und nicht von der Stelle komme. Erst wer nichts habe, besinne sich auf das eigene, vermeintlich naturgegebene, Potenzial und könne aus eigener Kraft Großes erreichen. Das „Kältebad“ im Kleinen.

Remigration

Etwas Aufsehen erregte auf dem Parteitag Weidels Kotau gegenüber den Höckes der AfD: „Wenn es dann ‚Remigration‘ heißt, dann heißt es eben ‚Remigration‘“. Mit der rechtsextremen Umdeutung des Begriffs „Remigration“ und dem inflationären Gebrauch auch durch demokratische Parteien und in der Presse, ist der AfD und deren Umfeld ein Strategieerfolg gelungen. Ein wissenschaftlicher Begriff ist zu einem rechtsextremen geworden, der nahezu das Gegenteil seines ursprünglichen Sinngehaltes bedeutet und die Grenze des Sagbaren ist wieder verschoben worden. Im Parteiprogramm und vor eher bürgerlichem Publikum suggeriert die AfD, man meine damit eigentlich nur Abschiebungen. Tatsächlich dürfte aber klar sein, dass Remigration die Vertreibung von Millionen Menschen mit und ohne deutschen Pass meint.

Wenige Tage nach dem Parteitag posteten die rechtsextremen Köpfe der AfD Thüringen Björn Höcke und Torben Braga das bekannte Zitat aus dem Interviewbuch „Nie zweimal in denselben Fluss“ von Höcke, dass ein „großangelegtes Remigrationsprojekt notwendig sei“ und man dabei nicht um eine „Politik der wohltemperierten Grausamkeit“ herumkomme.

Der Begriff der „Remigration“ steht nicht zum ersten Mal in einem Wahlprogramm der AfD. Aber mit den Correctiv-Recherchen aus dem Januar 2024 ist die Bedeutung des Wortes radikalisiert. Alle wissen jetzt, was die AfD damit meint. Hier wird deutlich: Die AfD will mehr, als im Programm steht.

Viele der Inhalte und Forderungen sind in der Welt der Rechtsextremen keine Neuigkeiten:

  • „Die AfD lehnt daher jede Politik und jede Steuer ab, die sich auf angeblichen Klimaschutz beruft, denn das Klima kann der Mensch nicht schützen. Wir wollen zudem aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen“. (S.79)
  • Alle Antidiskriminierungsgesetze streichen (S. 133)
  • „Die Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, ist die Keimzelle der Gesellschaft“. (S.144)
  • Austritt aus dem Euro (S. 61)
  • DExit, aber ohne es genauso zu sagen (S. 139)
  • Wiedereinführung der Wehrpflicht (S.88)
  • die sofortige Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland sowie die Instandsetzung der Nord Stream-Leitungen (S.92)

Andere Punkte fehlen ohne erkennbaren Grund. Sprach die AfD sich im Bundeswahlprogramm 2021 noch für „die globale Abschaffung von ABC-Waffen“ und „Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland“ aus, so finden sich beide Punkte nicht mehr im aktuellen Programm. Auch Forderungen wie „Mehr Arbeitsplätze für Schwerbehinderte“ sind nicht mehr aktuell.

Auffällig ist, dass die Spitzenkandidatin der AfD in Reden und Interviews öfters über das Wahlprogramm hinausgeht. Insbesondere, wenn sie mit rechten, ihr wohlgesonnen Medien spricht oder vor Anhänger*innen redet. Auf dem Parteitag redet Weidel sich in Rage und will alle Windräder abreißen. „Wenn wir am Ruder sind, dann reißen wir alle Windkraftwerke nieder. Nieder mit diesen Windmühlen der Schande“. Im Parteiprogramm ist „nur“ von einem Ausbaustopp (S.80) die Rede. Ähnlich agiert Weidel beim Thema WHO. Steht im Wahlprogramm, dass man die Weltgesundheitsorganisation radikal reformieren will und nur, wenn das nicht gelänge, auch austreten würde (S.29), sagt sie im Interview beim rechten österreichischen Sender AUF1, dass man unter einer AfD-Regierung sofort aus der WHO austreten werde. Das Programm ist auch hier bürgerliche Fassade.

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