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Meinung Gefahr für die Demokratie von Links wie Rechts?

Rechte Gewalt erreicht neue Rekordmarken. Die Verfassungsschutzbehörden benennen immer deutlicher die extremistische Gefahr durch die AfD. Doch dem politischen Personal in Berlin fehlt es bezüglich der Gefahrenlage an Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit. Ein Kommentar von Michael Kraske.

 
Auch Julia Klöckner, Bundestagspräsidentin, fehlt es an Ernsthaftigkeit im Umgang mit der bedrohten demokratischen Stabilität. (Quelle: picture alliance/dpa | Katharina Kausche)

Der vorpolitische Raum wird in seiner Bedeutung kontinuierlich unterschätzt. Schließlich werden politische Entscheidungen weder in Interviews noch auf Bühnen getroffen, sondern in Regierungen und Parlamenten. Gleichwohl entscheidet sich in der politischen Kultur, wohin eine Gesellschaft steuert. Was als relevant, wichtig, gefährlich und dringlich angesehen wird – oder eben auch nicht. Wird in TV-Talks permanent über „irreguläre Migration“ diskutiert, wächst Abschiebung zum politischen Top-Thema. Wenn Jugendliche auf Partys zu einem Pop-Song die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ grölen, wird Rechtsextremismus im Alltag zunehmend normal. Die Bundesregierung hat den ehemaligen Cicero-Chefredakteur Wolfram Weimer quasi zum Sonderbeauftragten für politische Kultur ernannt. Als Kulturstaatsminister ist sein mächtigstes Werkzeug das öffentliche Wort. Damit setzt er Ton und Themen. Leider nutzt er sein Amt bislang primär für ideologische Polemik.


Michael Kraske lebt als Journalist und Buchautor in Leipzig. Zuletzt erschien von ihm bei C.H.Beck „Angriff auf Deutschland – Die schleichende Machtergreifung der AfD“ (mit Dirk Laabs). Der Autor wurde mehrfach für seine publizistische Arbeit ausgezeichnet, zuletzt mit dem Spezialpreis der Otto-Brenner-Stiftung für kritischen Journalismus.


Wenn der Kulturstaatsminister in einem Interview AfD und Linke in einem Atemzug als „gleichermaßen schlecht für Deutschland“ anprangert und daraus die politische Forderung ableitet, beide Parteien „mit allen demokratischen Mitteln“ von der Macht fernzuhalten, dann ist das keine Einzelmeinung, sondern gibt die ideologische Marschrichtung der Regierung vor. Die Stilisierung von Linkspartei und AfD als ebenbürtige Gefahren für die Demokratie ist jedoch mehr als hufeisenförmige Polit-Folklore. Vielmehr zeichnet Weimer ein Zerrbild, das von der realen Gefahr in diesem Land ablenkt und dringend notwendiges politisches Handeln zum Schutz der Demokratie erschwert.

Ein nüchterner Blick auf die Fakten zeigt, wen und was der Kulturstaatsminister da gleichsetzt. Ja, die Russland-Politik der Linken ist so falsch wie widersprüchlich. Zwar solle diplomatischer Druck auf Putin ausgeübt werden, den Krieg gegen die Ukraine zu beenden, zugleich lehnt die Linke aber „immer mehr Waffenlieferungen“ ab, um aus der „Logik von Krieg und Eskalation auszubrechen“. Zwar habe die Ukraine ein „Recht auf Selbstverteidigung“. Doch die Linke drückt sich vor den Konsequenzen ihrer Politik, denn ohne Waffenlieferungen wäre das Land dem russischen Vernichtungskrieg gänzlich schutzlos ausgeliefert. Das ist zynisch, aber durchaus kein Alleinstellungsmerkmal. Weimer selbst hatte kurz nach dem russischen Überfall verkündet, für die Ukraine sei der Krieg ohnehin verloren. Warum also weiterkämpfen? Auch das war kalt und zynisch, aber genauso wenig extremistisch wie linker Pazifismus.

Innenpolitisch hat die Linke mit Bodo Ramelow in Thüringen nicht nur einen respektablen Ministerpräsidenten gestellt, sondern tritt in etlichen Kommunal- und Landesparlamenten als linke, mitunter radikale, aber auch pragmatische Opposition auf. Zumal nach der Abspaltung des autoritären, populistischen Wagenknecht-Lagers. Im Bundestag war es am Tag der Kanzlerwahl auch die Linke, die Friedrich Merz nach dem gescheiterten ersten Wahlgang den schnellen Weg zur erneuten Abstimmung freimachte. Sie übernahm damit staatspolitische Verantwortung, um von der Union anschließend daran erinnert zu werden, dass ihr Unvereinbarkeitsbeschluss weiterhin gleichermaßen für die AfD wie für die Linke gelte. Davon, dass Politologen wie Hans Vorländer, Direktor des Zentrums für Demokratieforschung an der TU Dresden, die Linke „unzweifelhaft auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ verorten, lassen sich weder die Union noch Scharfmacher wie Wolfram Weimer beirren.

Die AfD ist hingegen als Gesamtpartei vom Bundesamt für Verfassungsschutz zur rechtsextremistischen Bestrebung hochgestuft worden, wogegen die Partei seither erwartbar klagt. Bis zur endgültigen juristischen Klärung lässt die Behörde den Akt wie üblich ruhen. Nach Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hat auch der Brandenburger Verfassungsschutz den dortigen Landesverband als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden decken sich mit dem wissenschaftlichen und journalistischen Lagebild: Demnach greift die Partei die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes und damit das Fundament unserer demokratischen Ordnung an. Sie propagiert völkischen Nationalismus mit einer ethnisch-kulturellen Homogenität, die Minderheiten ihrer Rechte berauben würde. AfD-Personal macht Migrant*innen nicht nur verächtlich und würdigt sie herab, sondern propagiert auch, diese massenhaft gegen ihren Willen aus dem Land zu schaffen („millionenfache Remigration“). Muslim*innen werden dämonisiert, queere Personen verächtlich gemacht. In Parlamenten, sozialen Netzwerken und auf der Straße lassen AfD-Leute dem Rassismus freien Lauf und würdigen die demokratische Konkurrenz herab. Nach der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemannn sind weitere AfD-Kader unter Rechtsterrorverdacht geraten. Mitarbeiter für ihre Büros rekrutiert die AfD gern aus der extrem rechten Szene, die sie auf diese Weise mitfinanziert. Immer wieder werden AfD-Kader wegen Gewaltstraftaten verurteilt.

Mit Verschwörungserzählungen (u.a. „The Great Replacement“), NS-Verharmlosung und übler Hetze bereitet die AfD seit Jahren ein politisches Klima, das zunehmend in Gewalt umschlägt. Der Aufstieg der Partei wird von immer neuen Höchstständen rechter Straf- und Gewaltstraftaten begleitet. Im vergangenen Jahr wuchs die politisch motivierte Kriminalität zum sechsten Mal in Folge, auf nun über 84.000 Taten – ein neuer Rekord. Mehr als die Hälfte aller Delikte sind rechts motiviert. Bei der politisch motivierten Kriminalität von rechts gibt es auch die höchsten Zuwachsraten (plus 47,8 Prozent). Politische Gewaltdelikte, Hasskriminalität, Antisemitismus – überall liegen rechte Tatmotive vorn. Die ideologische Saat des Rechtsextremismus geht auf. Das bekommen schmerzhaft all jene zu spüren, die nicht dem grausamen völkischen Reinheitsideal entsprechen, darunter auch immer mehr Kinder und Jugendliche. Jahrelang betonte die ehemalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mantrahaft, die größte Bedrohung für die Demokratie gehe vom Rechtsextremismus aus. Aus diesem Lagebild folgte: so gut wie nichts. So geht es mit der neuen Regierung weiter.  Ein Demokratiefördergesetz? Macht die SPD in der Koalition gar nicht erst zum Thema. Ein AfD-Verbotsverfahren? Lehnt Kulturstaatsminister Weimer genauso ab wie Kanzler Merz oder Innenminister Dobrindt. Der hat im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Faeser im Vorwort des aktuellen Verfassungsschutzberichts sogar darauf verzichtet, Rechtsextremismus als größte Gefahr zu benennen.

Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Demokratie auf der Straße, digital und in den Parlamenten aggressiv von rechts angegriffen wird, wärmt nun Wolfram Weimer in offizieller Mission einen konservativen Klassiker auf: das Hufeisen der Extremismus-Theorie. Links wie rechts. Linke wie AfD. Das Kalkül dahinter ist klar. Profil schärfen mit klarer Kante gegen alte Feindbilder, die Konservative wie Weimer eben traditionell links verorten. In den ostdeutschen Bundesländern, wo die AfD stark ist und Regierungsbildungen zunehmend schwierig werden, braucht es künftig alle Optionen, um überhaupt noch demokratische Mehrheiten organisieren zu können. Der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, der Linke und AfD gleichermaßen ächtet, wird dauerhaft nicht zu halten sein. Wer die rechtsextreme AfD aufhalten will, wird zu schmerzhaften Bündnissen unter Demokraten bereit sein müssen. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, die reale Bedrohung zu erkennen und beim Namen zu nennen.

Die Links-Rechts-Sehschwäche des Kulturstaatsministers fügt sich in eine Reihe konservativer Irrungen, die dafürsprechen, dass wichtigen Repräsentant*innen dieses Staates die Ernsthaftigkeit im Umgang mit der bedrohten demokratischen Stabilität fehlt. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) kämpft zwar im Namen der Neutralität gegen das Regenbogen-Symbol, hat aber kein Problem damit, dem Geldgeber des rechtspopulistischen Wut-Portals „Nius“, Frank Gotthardt, ihre Aufwartung zu machen.  Um bei dieser Gelegenheit den Journalismus der taz mit den Krawall-Kampagnen von Nius in einen Topf zu werfen, was der Chef des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Mika Beuster, dann auch als „inhaltlich falsch und geschmacklos“ kritisiert. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) wiederum begründet seine Ablehnung eines AfD-Verbotsverfahrens mit einer falschen Darstellung der Sachlage. Es fehlt nicht nur an Ernsthaftigkeit, sondern auch an Wahrhaftigkeit.

Und die SPD? Hat zwar nach endlosem Zaudern und Zögern auf ihrem Parteitag die Vorbereitung eines AfD-Verbotsverfahrens beschlossen, aber das war es dann auch. Ernsthafte Versuche, eine parlamentarische Mehrheit dafür zu organisieren, sind nicht bekannt. Trotz dramatischer Befunde bei Wahlen und in Kriminalitätsstatistiken wird die rechte Gefahr politisch von höchster Stelle vernebelt, verharmlost, kleingeredet und ausgesessen. Der Schutz der Demokratie hat in der fragilen Koalition offenbar keine Priorität. Für alle, die von Rassismus, rechter Gewalt und völkischen Drohgebärden betroffen sind, sind es schlechte Nachrichten. Das Lager der Demokratiefeinde ist wild entschlossen. Die Gegenseite leider nicht.

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