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Wahlkampf als Unterhaltung Die AfD läuft sich auf TikTok warm

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(Quelle: Unsplash)

Auch wenn TikTok keine bezahlte Werbung anlässlich der Bundestagswahl 2021 zulässt, hat die AfD schon einen Weg gefunden, ihre Inhalte in dem sozialen Netzwerk zu verbreiten. Mitunter haben die Videos der Partei hunderttausende Views. Dass gerade auch jüngere Wählergruppen aufgeschlossen sind, AfD zu wählen, wurde zuletzt bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt deutlich. Wenn man eine junge Zielgruppe erreichen möchte kommt man nicht um TikTok herum — und das scheint auch die AfD erkannt zu haben.

Es ist der 2. Juli 2021, Stephan Brandner, Bundestagsabgeordneter der AfD, ist zu Gast bei einem Infostand der Partei in Braunschweig in Niedersachsen. Auch eine spontane Gegendemonstration findet statt. Die Polizei ist mit vielen Einsatzkräften vor Ort und trennt die beiden Versammlungen. Auf Seiten der AfD hat sich Brandner positioniert, der dort zu seinen Anhänger:innen reden soll. Doch der große Andrang bleibt aus. Allerdings scheint das der guten Laune von Brandner nichts auszumachen. Im Gegenteil, denn er hat bereits eine Begründung parat: Durch die Polizeiabsperrung würde die AfD nicht gesehen und Menschen würden dadurch an der Teilnahme gehindert. Das sei mittlerweile der „ganz normale Wahnsinn” in Deutschland. Knapp eine Minute dauert seine Erzählung, die das Gefühl vermitteln soll, die Meinungsfreiheit stünde auf dem Spiel. Eine Minute, eine gute Länge für die Plattform TikTok.

Das betont ironische und provokante Auftreten Brandners ist bekannt. In der Vergangenheit provozierte er größtenteils über Soziale Medien wie Facebook, Instagram oder Telegram. Im Rahmen des Wahlkampfes weitet er seine Bühne aus und erschließt sich neue Zuschauer:innen. Sie sind jünger, sie sind größtenteils noch unpolitisch und sie wollen unterhalten werden. Um dieses Publikum zu erreichen, benötigt Brandner eine andere Bühne: TikTok. Die Plattform ist das beliebteste soziale Medium unter jungen Menschen. Bereits 13-Jährigen ist die Nutzung erlaubt.

Das Erfolgsrezept der AfD funktioniert auf TikTok: Provokation

Der Geraer ist seit Ende Juni dabei. Er weiß, dass Provokation dem Algorithmus in die Hände spielt. Umgeben von Polizeikräften erzählt er seine Geschichte. Es geht nicht um die wenigen Teilnehmenden im Hintergrund, sie sind lediglich Statist:innen. Sie machen die Bühne komplett, die Brandner nutzt, um seine Nachricht auf die Bildschirme zahlreicher TikTok-Nutzer:innen zu senden: „Deutschland. Aber normal. AfD wählen, damit sowas nicht mehr passiert.” Es ist das bislang meistgesehene Video Brandners und erreicht innerhalb weniger Tage über 350.000 Aufrufe. Zum Vergleich: Auf Instagram hat Brandner lediglich 10.000 Follower:innen, auf Facebook 25.000 und auf Telegram knapp 3.000 Abonnent:innen, die seine Inhalte sehen. Die Reichweite von Brandners Wahlwerbung auf TikTok hat im Vergleich eine neue Qualität — und die AfD wittert eine Chance. Denn Brandner ist nicht der erste AfD-Politiker, der versucht, auf TikTok Fuß zu fassen.

Wer die Jugend erreichen will, kommt um TikTok nicht herum.

Zunächst hatte Jane Schulz, Jugendbeauftragte der bayerischen AfD, auf TikTok auf sich aufmerksam gemacht. Sie gibt sich als Patriotin, ist schlagfertig und Mitarbeiterin des bayerischen AfD-Bundestagsabgeordneten Peter Felser, der nach wie vor über gute Kontakte zu Akteur:innen der extrem rechten Szene verfügt und früher Mitglied der Partei „Die Republikaner” war. Mit seiner rechten Hand, Jane Schulz, hat er eine Mitarbeiterin, die sich vor allem auf die Rekrutierung junger Menschen für die AfD spezialisieren soll. Bei der Neugründung des AfD-Ortsverbandes Lindenberg-Westallgäu stellt sie sich am 30. Juli 2020 erstmals vor. Damals konstatierte sie: „Uns fehlen die jungen Menschen.” Ihre Aufgabe sei die Vernetzung. Sie habe bereits Kontakt zur AfD Jugendorganisation, der Jungen Alternative (JA), geknüpft. „Wenn ihr jemanden habt […], Jugendliche vor allem, was mir besonders am Herzen liegt, bitte ich Euch, sie an mich zu vermitteln”, gibt Schulz ihren Parteikolleg:innen mit. Ziel soll sein, ihnen bei Lagerfeuer, Wandern und Zelten „das Gefühl von Heimat” zu vermitteln und „sie zu politisieren”. Kurz nachdem ihr Aufgabengebiet als Jugenbeauftragte feststeht, erscheint ihr erstes TikTok-Video im September. Das Thema: Patriotismus und Heimatliebe.

Aktuell hat Schulz knapp 7.000 Follower:innen; ihre Inhalte haben insgesamt 75.000 Likes erhalten. Immer wieder schafft sie es bei den Views ihrer Videos in den vier-bis fünfstelligen Bereich. Die ersten Videos wirken harmlos und sollen einen Eindruck von ihrem politischen Engagement der AfD-Mitarbeiterin vermitteln: Lagerfeuer, Wanderungen und Liederabende mit der JA. Aber auch alltägliche Situationen fernab des Politikgeschehens werden zu Videos verarbeitet. Sie nimmt die Zuschauer:innen mit in ihr Zuhause mit der rosa Tapete oder ins Auto mit Hund im Hintergrund. Mittlerweile stellt sie sich in ihren Videos vermehrt Fragen aus der eigenen Kommentarspalte und gibt sich möglichst bürgernah. Eines ihrer häufigsten Themen ist Sicherheitspolitik. Die Kommentarspalten und Follower:innenliste legen nahe, dass sie auch einige Bundeswehrangehörige auf TikTok abholt, wenn sie fast schon liebevoll von „unseren Soldaten” spricht, für die sie mehr Respekt und Ressourceneinfordert.

Schulz Nähe zu Akteur:innen der extrem rechten Szene scheint dabei kein großes Thema zu sein. In einem mittlerweile gelöschten Video trug sie ein T-Shirt des Rappers „Prototyp”, der dem rechtsextremen Musiklabel „Neuer Deutscher Standard” angehört. Auch ihre Nähe zu anderen Szene-Größen ist fragwürdig. So nahm sie etwa an der „Querdenken”- Großdemonstration am 29. August 2020 in Berlin teil, neben Compact-Chef Jürgen Elsässer, dem rechtsextremen Rapper Chris Ares und der ehemaligen NPD-Aktivistin Nele Schier. Nachdem Allgäu rechtsaußen von ihrer Demonstrationsbeteiligung berichtete, distanzierte sie sich zwar von Schier und Elsässer, betont aber ihre Freundschaft mit Ares.

Wie minderjährige Influencer:innen Gleichaltrige politisieren wollen

Während Schulz versucht mit Heimat, Sicherheit und Selbstverteidigung zu punkten, gibt es auch Minderjährige, die bereits über TikTok ihre Altersgruppe ansprechen und die Werbetrommel für die AfD rühren. So wird Mitte April 2021 ein neuer Account auf TikTok aktiv. Zu dem Zeitpunkt ist die Betreiberin 15 Jahre alt und bereits Mitglied der Jungen Alternative (JA), die Jugendorganisation der AfD.

Zunächst veröffentlicht sie die auf der Plattform üblichen Playback-Videos, was wie eine „Kennenlern”- oder Testphase des Mediums wirkt. Doch noch am selben Tag taucht ein weiteres Video auf. Die Jugendliche steht mit dem AfD-Bundestagsabgeordneten Robby Schlund in der Kuppel des Bundestages. Von da an verändern sich ihre Videos. Auch die Accounts, denen die Jugendliche folgt, zeigen das Ausmaß der Radikalisierung: Einer von ihnen nennt sich „Landolf Ladig”, sein Profilbild ist eine im Fashwave-Stil gehaltene Darstellung von Björn Höcke.

Ihr meistgesehenes Video hat aktuell etwas 88.000 Views und beweist, dass die TikTokerin die Regeln der Plattform beherrscht. Im Hintergrund läuft „Jealous” von Eyedress, ein Song, der mit TikTok populär wurde. Ein Farbfilter liegt über dem Video. Darin erzählt sie von ihrem „Outing” als AfD-Unterstützerin und den teilweise negativen Reaktionen darauf. Das Video kommentiert sie mit der Aussage „Das die Leute immer gleich so agressiv werden müssen, nur weil man seine Meinung äußert”.

Es folgen weitere Videos, die gängige Narrative der Partei aufgreifen, aber dabei immer auf die persönliche Ebene der TikTokerin angewandt werden: Sie selber identifiziert sich als Teil der LGBTQ*-Community und eifert ihrem Vorbild Alice Weidel nach. Kein Verständnis habe sie jedoch dafür, überall eine Regenbogenflagge „hinzuklatschen” oder zu demonstrieren. Dadurch würden schlussendlich andere Menschen diskriminiert: Täter-Opfer Umkehr. In einem Video behauptet sie der Klimawandel sei nicht menschgemacht, ihr Kernargument: Sie glaube schlichtweg nicht daran, dass CO2 negative Auswirkungen auf das Klima habe. Mit dem Video hatte sie Fragen aus ihrer Community beantwortet. In einem anderen erklärt sie auf Nachfrage, wie man Mitglied der vom Verfassungsschutz beobachteten Jugendorganisation JA wird. Sie selbst ist dort ebenfalls Mitglied.

Ihrer Perspektive, die sie als eine von Vielen verkauft, wird auf der Plattform mit Neugier begegnet, liefert sie doch einen jugendlichen Blick hinter die Kulissen der AfD. Etwa wenn sie einen Platz in der ersten Reihe des Parteitages der AfD-Thüringen ergattert und die Kandidaten aus nächster Nähe filmen darf oder den Infostand der AfD mit Robby Schlund begleitet. Das Konzept hat Erfolg: Aktuell verzeichnet ihr Kanal ungefähr 3.500 Follower:innen und etwa 40.000 Likes. Vor wenigen Tagen hat die Jugendliche  ihren Nachnamen gegen den Parteinamen ausgetauscht, ihr Titelbild ist jetzt ein AfD-Sharepic. Auf Instagram gibt es ein inhaltlich identisches Profil, beide sind miteinander verknüpft. Alles ist darauf ausgelegt, junge Menschen für die AfD zu gewinnen und das auch über die Wahl 2021 hinaus.

Algorithmus belohnt Social Media-Strategie der AfD

Die AfD hat es längst geschafft, sich durch Provokation in sozialen Medien eine eigene Medienrealität aufzubauen.  Gerade hier funktioniert aber die demagogische Sprache der Partei besonders gut, da sie viele Reaktionen hervorruft und so durch die Algorithmen größere Reichweite erhält. Nachdem es den Rechtsradikalen auf Facebook, Twitter und Instagram gelungen ist, Unterstützer:innen zu finden, heißt das neue Ziel TikTok. Inwiefern rechtspopulistische Akteur:innen dort ihren Einfluss geltend machen können, bleibt abzuwarten.

Auf Anfrage von Belltower.News betont eine Unternehmenssprecherin von TikTok, dass man sich entschieden habe, „keine bezahlten Anzeigen, die für oder gegen Kandidat:innen, eine aktuelle Führungsperson, eine politische Partei oder Gruppe oder ein Thema auf Bundes-, Landes- oder lokaler Ebene werben” zuzulassen. Jedoch dürften individuelle Accounts wie der von Politiker:innen Wahlwerbung als Teil der freien Meinungsäußerung schalten. Was Fehlinformationen und mögliche Desinformationen im Zuge des Wahlkampfes anbelange, arbeite man mit dem Faktencheck der Deutschen Presseagentur (dpa) zusammen, kennzeichne Videos, die Falschinformationen beinhalten und schränke sie in ihrer Reichweite ein.

Ob das ausreicht, werden die kommenden Wochen zeigen. Auch der Einfluss rechtspopulistischer Inhalte auf vorwiegend junge Menschen auf einer Plattform die Blasenbildung begünstigt, weil es leicht ist, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen, ist noch nicht absehbar. Dass die AfD den Wahlkampf nutzt, um sich auch auf TikTok zu etablieren, scheint offensichtlich.. Für den Bundestagsabgeordneten Brandner mag TikTok lediglich seine ohnehin schon große Reichweite erweitern, für Nachwuchspolitiker:innen wie Schulz oder Mitglieder der Jungen Alternative ist TikTok eine Aufstiegsmöglichkeit: Schnell erreichen sie hier mehr Menschen, als auf anderen Social-Media-Plattformen.

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