Weiter zum Inhalt

Unmut in der AfD AfD streitet über Abwehrstrategie gegen die Verfassungsschutz-Einstufung

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD am Freitag als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft. Obwohl mit dieser Einstufung seit langem gerechnet wurde, wirkt die Partei überrumpelt und sucht nach einer Abwehrstrategie. Die Parteiführung steht parteiintern in der Kritik.

 
Die Parteispitze um Alice Weidel und Tino Chrupalla steht aktuell in der parteiinternen Kritik. (Quelle: picture alliance / Flashpic | Jens Krick)

Es ist wieder passiert: Wie schon bei den Neuwahlen zum Bundestag, auf die die AfD lange hingearbeitet hat, ist sie auch von der Einstufung des Bundesamtes für Verfassungsschutzes überrascht worden – obwohl das Gutachten seit Monaten erwartet wurde. Das zeigt, wie unprofessionell die AfD unter Führung von Alice Weidel und Tino Chrupalla teilweise agiert. Auch parteiintern stößt das auf Kritik. Schon länger steht das Duo Chrupalla/Weidel massiv in der Kritik. Über eine Ablösung zumindest von Chrupalla wird öffentlich spekuliert. Umso überraschender ist es, dass in einer der größten Krisen der Partei nur Parteisprecher Tino Chrupalla von Interview zu Interview tingelte, um auf die VS-Einstufung zu reagieren. Co-Parteisprecherin Alice Weidel ist abgetaucht. Sie äußerte sich nur schriftlich, sprang ihrer Partei mit keinem Interview oder öffentlichen Auftritt am Wochenende zur Seite. Gegenüber dem ZDF sprach ein hoher Parteifunktionär der AfD von einem „Unding“, dass Weidel sich nicht blicken ließ. Ein anderer stellte die rhetorische Frage, ob man sie als „bürgerlichen Anstrich“ überhaupt noch brauche, angesichts der Hochstufung durch den Verfassungsschutz.

Dieses unprofessionelle Verhalten der Parteiführung, insbesondere von Alice Weidel, überrascht schon deshalb, weil die Partei sich auf dieses Szenario seit Jahren bis ins kleinste Detail hätte vorbereiten können. Die AfD hatte bereits im September 2018 eine „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ einberufen, die die Partei vor dem Szenario von Freitag schützen sollte. Die Arbeitsgruppe entwickelte unter anderem eine Liste mit Aussagen, die Funktionäre der AfD vermeiden sollten, um einer Hochstufung zu entgehen. Im Jahr 2020 wurde die Arbeitsgruppe aber wieder aufgelöst.

Kritik an der Parteiführung

In der AfD herrscht teils Fassungslosigkeit über diese Nicht-Strategie vom Parteivorstand vor – auch bei Benedikt Kaiser. Kaiser, Ex-Neonazi, gilt als einer der wichtigsten parteinahen Vordenker. Er arbeitet für die AfD im Bundestag und im Europaparlament, u.a. als Mitarbeiter des ehemaligen Büroleiters von Björn Höcke, Robert Teske, und für die Europaparlamentsabgeordnete Irmhild Boßdorf. Kaiser empört sich auf X: „Jahrelang war vollkommen klar absehbar, was kommt und wie es kommt. Jahrelang hätte man demzufolge eine Task-Force installieren können und müssen, die die Pläne A, B und C formuliert. Es muss daher m. E. vom Bundesvorstand mehr kommen als Empörung, Stasi-Vergleiche und Larmoyanz“. Wenn da nicht sehr bald mehr komme, dann dränge „sich der Eindruck auf, dass manche den Herausforderungen sowohl politisch-strategisch als auch weltanschaulich nicht in jeder Situation gewachsen wären“, so Kaiser. Das ist als klare Kampfansagen an den AfD-Bundesvorstand zu verstehen.

Selbstverharmlosung als Strategie

Strategien für den jetzigen Ernstfall scheinen eher im Parteiumfeld, so von der rechtsextremen parteinahen Organisation „Ein Prozent“, entworfen worden zu sein, statt im Parteivorstand. Die Ende 2024 erschienen Analyse „Die Angst vor dem Verbot“ von „Ein Prozent“ reduziert sich allerdings auch nur auf zwei wesentliche Aspekte, die es zu beachten gelte und als Strategie der Selbstverharmlosung zusammengefasst werden kann:

Man soll nicht den Fehler der NPD/Die Heimat wiederholen und das eigene Weltbild im Parteiprogramm zu deutlich ausformulieren: Die AfD ist gut beraten “keine krassen Thesen in die Parteiprogramme aufzunehmen und sich mit “parteioffiziellen” Statements auf vermintem Gelände nicht allzu weit aus dem Fenster zu lehnen“, so „Ein Prozent“.

Diese daraus resultierende Taktik, das Parteiprogramm als Beleg zu nehmen, dass man nicht demokratiefeindlich ist, bemüht die AfD regelmäßig. Führende Parteifunktionär*innen wie Alice Weidel betonen daher auch immer gebetsmühlenartig, wenn sie auf den Rechtsextremismus der AfD angesprochen werden: „Wo steht denn in unserem Parteiprogramm was Rechtsextremes? Zeigen Sie es mir!“.

Die Rechtsprechung zur Einstufung von Demokratiefeindlichkeit von Parteien guckt jedoch nicht nur auf das jeweilige Parteiprogramm, um zu entscheiden, ob diese extremistisch ist. Sie zieht auch Verlautbarungen aus der Partei, insbesondere durch Funktionsträger*innen, heran.  Daher empfiehlt „Ein Prozent“ der AfD eine weitere Strategie, um sich vor einem Verbotsverfahren zu schützen. „Ein Prozent“ schreibt: Bei sprachlichen Ausfällen und Zuspitzungen einzelner Mitglieder, also, wenn rechtsextreme Positionen zu deutlich hervorstechen, solle die Parteispitze Sachen „geraderücken“. Das sei nicht unwichtig, „wenn man sich die Aktenarbeit eines Richters vor Augen führt, der die Frage zur Entscheidung vorliegen hat, ob die AfD nun verboten, beobachtet oder wie auch immer eingestuft werden soll“, erläutert „Ein Prozent“.

Radikalisierung der Parteiführung

Dies gelingt der Partei jedoch zunehmend schlecht. Eine stetige Radikalisierung der Partei findet statt, und nicht nur in untergeordneten Parteigliederungen, sondern auch in der Parteispitze. Und das mit voller Absicht, denn die Parteivorsitzenden Weidel/Chrupalla haben aus der eigenen Parteigeschichte gelernt. Vorherige Parteivorsitzende sind durch die Radikalisierung der Partei aus dieser herausgedrängt worden. Das soll Weidel und Chrupalla nicht passieren. In der letzten Legislaturperiode wurde beispielsweise Matthias Helferich, der sich als „das freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet, nicht in die AfD-Bundestagsfraktion aufgenommen. In die aktuelle Fraktion wurde er hingegen, ebenso wie der Verharmloser der SS, Maximilian Krah, aufgenommen. Selbst Krah zeigte sich danach überrascht, von der durch Weidel und Chrupalla abgesegneten Aufnahme. Die Radikalisierung der AfD, auch die von Alice Weidel, lassen sich auch an der Haltung zu dem thüringischen AfD-Chef Björn Höcke gut aufzeigen. Die Aussagen von Höcke in seiner Dresdner Reden von 2017, in der er das Holocaustmahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnet hat, von einer „dämlichen Bewältigungspolitik“ sprach und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ einforderte, waren damals ein Skandal und Höcke galt als der Radikale, dem einige, auch Weidel, aus der Partei werfen wollten. Jetzt ist Höckes Position Konsens in der Partei. Inzwischen erklärt Parteichefin Alice Weidel, dass sie keine Probleme mehr mit den Aussagen von Höcke in der Dresdner Rede habe und ihn auch zum Bundesminister ernennen würde. „Wir sind zusammengerückt. Ich halte sehr viel von Björn Höcke„, so Weidel im Jahr 2025.

Hauptstrategie: Kampf um die öffentliche Meinung

Die Radikalisierung der Partei ist ein Erfolgsmodell für die AfD und wird daher auch von Parteispitze aus betrieben. Vom taktischen „geraderücken“ ist nur noch selten was zu spüren. Dies zeigt sich auch im Umgang mit der VS-Einstufung. Hier ist eine Doppelstrategie im Umgang erkennbar. Die Hauptstrategie heißt „Kampf um die öffentliche Meinung“. Die AfD stellt sich als Opfer und wahre Hüter von Demokratie, Rechtsstaat und Meinungsfreiheit dar. Einher geht es mit einer Diskreditierung der Gegenseite. Ziel ist die Diskreditierung derjenigen, die als Akteure hinter der Einstufung des Verfassungsschutzes gesehen werden. In erster Linie Politiker*innen der Rechtstaatsparteien, kritischen Journalist*innen, Richter*innen und vor allem selbstverständlich der Verfassungsschutz selber. Die Unabhängigkeit von Justiz und Presse wird bei Urteilen und Berichten, die sich gegen die AfD richten, als nicht gegeben dargestellt – das Bild von Deutschland als Diktatur wird gezeichnet. Im Hauptfokus bei der Diffamierung steht aber der Verfassungsschutz. Er wird seit Jahren nur noch als „Regierungsschutz“ diffamiert, der im Auftrag der Politiker*innen, die angeblich einzig wahre Oppositionspartei zu Grunde richten solle. Einen gefährlichen Schritt weiter ging mal wieder Björn Höcke, der nahezu unverhohlen den Mitarbeitenden des Verfassungsschutzes drohte. Er riet am Wochenende allen Mitarbeitenden sich schnell einen neuen Job zu suchen und mündete in der gewaltvollen Drohung: “Am Ende wird es immer in der Geschichte heißen: Mitgehangen – mitgefangen“. Kurze Zeit später löschte Höcke diese Drohung. Diesmal erinnerte er sich etwas zu spät an die Strategie der Selbstverharmlosung.

Der Beitrag von Björn Höcke auf X, mittlerweile gelöscht. (Screenshot)

Die AfD möchte wenn, dann zurück zu einem Verfassungsschutz, wie unter Hans-Georg Maaßen, der sich mit der damaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry mindestens zweimal, ausgerechnet im Vorfeld von möglichen Neubewertungen der Partei durch den Verfassungsschutz, traf. Der AfD geht es nicht um eine berechtigte Kritik an einer Behörde mit vielen Skandalen, die den rechtsterroristischen NSU zumindest in Teilen gedeckt hat, sondern um die Deligitimierung einer Behörde, die in Bezug auf die AfD ihren Verfassungsauftrag nachkommt.

Verfahrensverschleppung

Neben der Diskreditierung von Justiz, Presse und staatlichen Behörden ist es Strategie der AfD anhängige Verfahren vor Gerichten durch unzählige Beweisanträge in die Länge zu ziehen, womöglich so lange bis sie an der Macht ist. Führende AfD-Politiker*innen empören sich am Wochenende, dass die Hochstufung als „gesichert rechtsextrem“ erfolgte, obwohl die Einstufung als „Verdachtsfall“ noch nicht abschließend vor Gericht geklärt sei. Bislang verlor die AfD jedoch alle ihre Prozesse gegen Einstufungen des Bundesamtes oder von Landesämtern für Verfassungsschutz. Dass auch nach Entscheidungen von Oberverwaltungsgerichten, wie zuletzt des OVG Münster, der Partei immer noch ein Recht auf Revision eingeräumt wird, ist Ausdruck von Demokratie und Rechtsstaat, die die AfD Deutschland gerne in Abrede stellt. So ein Prozess, wie aktueller jener der AfD-Bundespartei versus Bundesamt für Verfassungsschutz samt aller Revisionsmöglichkeiten, zieht sich über viele Jahre. Laut Gesetz ist der Verfassungsschutz aber verpflichtet bei einer Einstufung, als extremistischer Verdachtsfall zeitnah zu überprüfen, ob sich der Verdacht konkretisiert hat oder nicht. Dies dient in erster Linie dem Schutz der Partei, damit diese nicht wegen womöglich nur alter Äußerungen und Positionen immer mit dem Vorwurf eines Extremismusverdachtes leben muss. Daher ist eine Neubewertung der AfD rechtsstaatlich unabdingbar gewesen. Dies hat das Bundesamt für Verfassungsschutz nun getan. Es lag in der Macht der AfD sich durch Mäßigung und Ausschluss radikaler Mitglieder einen demokratischen Weg einzuschlagen. Sie haben sich aber schon vor langer Zeit dagegen entschieden.

Belltower.News macht gemeinnützigen Journalismus, denn wir klären auf und machen das Wissen von Expert*innen zu Antisemitismus, Rassismus und
Rechtsextremismus und allen anderen Themen der Amadeu Antonio Stiftung für ein breites Publikum zugänglich.
Unsere Reportagen, Recherchen und Hintergründe sollen immer frei verfügbar sein und nie hinter einer Paywall verschwinden.
Dafür brauchen wir aber auch Ihre Hilfe.
Bitte unterstützen Sie unseren Journalismus, Sie helfen damit der digitalen Zivilgesellschaft!

Weiterlesen

Nils-Leon-Brauer-Idahobit-2022-scaled

Interview Deutschlands erster Queerbeauftragter über AfD, Bedrohungen und Chancen für Merz 

Drei Jahre lang war Sven Lehmann der erste Queerbeauftragte der Bundesrepublik. Jetzt geht seine Amtszeit zu Ende. Das Interview.

Von
515276036

Strategie Was hilft wirklich gegen AfD-Rekordergebnisse?

Die AfD erreicht 25 Prozent und mehr, besonders im Osten. Ungläubiges Kopfschütteln reicht nicht mehr als Reaktion: Eine starke AfD ist kein Ausnahmefall mehr, sondern politische Normalität.

Von
505388207

Strategie Warum die Demokratie ein Projekt2029 braucht

Die Erfolge von Trump und der AfD erfordern eine strategische, resiliente und breite Antwort der demokratischen Zivilgesellschaft: Ein „Projekt 2029“.

Von

Schlagen Sie Wissenswertes in unserem Lexikon nach.